Kulturphilter

„Wir Menschen gelten als vernünftige Wesen, Wer das behauptet ist nie Mensch gewesen.“

Vernunft, Egoismus und Tugend gehören zu den zentralen Schlüsselworten des 1666 uraufgeführten Theaterstücks „Der Menschenfeind – Le Misanthrope“ des Dramatikers Molière. Nun hat der Hausregisseur des Münchner Volkstheaters Philipp Arnold die Komödie aufgegriffen und zusammen mit einem jungen Team eine Inszenierung, geprägt von Leichtigkeit und Wehmut, entwickelt.

Ein Moment der Fragen aufwirft: Wie wird die Liebe zwischen Alceste und Célimène enden? Foto: Arno Declaire

Von Hannah Heß

Alceste, die Hauptfigur des Theaterstücks “Der Menschenfeind- Le Misanthrope” von Molière, empfindet große Abneigung gegen die Bourgeoisie und die damit verbundene Heuchelei. Er ist direkt und wertet jene ab, die es ihm nicht gleichtun. Als er das Gedicht eines Bekannten bewerten soll, legt Alceste offen dar, dass er nichts davon halte. Selbst bei dem daraus entstehenden Rechtsstreit, bleibt er vehement bei seiner Einstellung, nur das sagen zu wollen, was er auch denkt. Einzig der jungen Witwe Célimène, scheint er noch etwas Gutes abgewinnen zu können. Doch auch sie spielt ein falsches Spiel. Während Alceste, sie trotz ihrer etlichen Liebhaber, für eine aufrichtige Person hält, kristallisiert sich immer mehr heraus, wie auch Célimène nicht vor der Heuchelei und dem Egoismus der Gesellschaft gefeit ist.

Ästhetik und Harmonie ermöglichen den Zuschauer*innen einen leichten Zugang

Das von Viktor Reim entwickelte Bühnenbild erscheint auf den ersten Blick eher zurückhaltend. Die außergewöhnliche Aufteilung der Ebenen, beispielsweise durch das Verwenden der ersten Reihe, ermöglicht es jedoch die Zuschauer*innen, auf besondere Weise in die Inszenierung, zu integrieren. Durch den ästhetischen Einsatz von Licht, Nebel und Konfetti, sowie des Bühnenvorhangs, welcher nur zu Beginn und am Schluss geöffnet wird, entsteht eine zusätzliche Tiefe, die schon in der ersten Szene für Gänsehaut sorgt. Das Zusammenspiel von Ernsthaftigkeit, Witz und Emotion wird auch im weiteren Verlauf durch die, von Licht und Ton erzeugte Atmosphäre, unterstützt. Adel Akram Alameddines bedient sich für sein musikalisches Konzept hauptsächlich elektronischen Klängen zu denen traditionelle Tänze aufgeführt werden. Eine Dynamik zwischen Altem und Neuen entsteht, die sich durch das ganze Stück hindurch zieht. Neben dem ursprünglichen Dialog des Stückes, sorgen einzelne Passagen in moderner Sprache für zusätzlichen Witz. Ob diese moderne Auffassung dem Klassiker guttut, darüber lässt sich streiten. Dadurch wird die Inszenierung jedoch gerade für ein junges Publikum interessant.

Klare Muster sorgen für gedanklichen Freiraum 

Ebenso gelungen sind die Besetzung und das Kostüm. Julia Dietrich kleidet das gesamte Ensemble in hochwertigen, edlen Anzügen und Kleidern, die die gesellschaftliche Stellung der Figuren widerspiegelt. Dabei wurde besonderen Wert auf die Details gelegt:

Célimène, die begehrte Witwe, gespielt von Anne Stein, wirkt in einem grünen Ballkleid und dezenter Halskette anmutig. Der stets leicht spöttische Blick, sowie die Haltung der Schauspielerin betonen dies. Dennoch hat ihr Wesen einen verruchten als auch kindlichen Charakter. Das rote Haar, welches dem Klischee der feurigen Liebhaberin gerecht wird, und ihre Leichtigkeit, stellen einen Gegensatz zu der anmutigen Erscheinung Célimènes dar und verleihen ihr Ausdruckskraft.

Alceste, gespielt von Janek Maudrich, fehlt es nicht an Ernsthaftigkeit. Während andere Charaktere, teils skurrile Hemdkrägen oder bunte Jacketts tragen, ist der Menschenfeind schlicht in zurückhaltendem Schwarz gekleidet. Passend zu seiner Weltanschauung, die Menschheit sei zu gekünstelt. Im Verlauf des Stücks erweckt er einen zunehmend aufgelösten Eindruck: Das aufgeknöpfte Hemd sowie aufgemalte Tränen visualisieren seine wachsende Verzweiflung hinsichtlich seiner Liebe zu Célimène. Durch die zusätzliche Arroganz sowie die aufbrausende Art wird seine Rolle als selbstgewählter Außenseiter unterstrichen. 

Auch die anderen sechs Charaktere wurden mit Liebe zum Detail, teils überspitzt klischeehaft eingekleidet. Wie auch der Schauspielstil ist hier mit klaren, nachvollziehbaren Mustern gearbeitet worden, was der Inszenierung jedoch nicht den Interpretationsraum nimmt. Im Gegenteil: Der Fokus liegt auf der inhaltlichen, stets aktuellen Problematik des Themas.

Wie ehrlich soll ich sein?

Die Inszenierung von Philipp Arnold ist eine gelungene Adaption des Klassikers von Molière. Maske, Kostüm und Bühnenbild spielen sich gegenseitig zu und formen ein gelungenes Gesamtbild. Die Dynamik zwischen Humor und Melancholie reißt die Zuschauer*innen mit in die Welt des Menschenfeindes und stellt sie auf die Probe. Sympathien wechseln fortlaufend und die Problematik der unechten Freundlichkeit wird bewusst: Wann ist es angebracht, höflich zu lügen? Oder ist man doch lieber direkt, vielleicht sogar unverschämt? Was ist moralisch und tugendhaft? 

Das Stück zeigt die vielen Facetten zwischen Schwarz und Weiß, es zeigt die Fehler der menschlichen Natur auf eine liebevolle Art und Weise. Es regt zum Nachdenken an und verliert trotzdem nicht an Leichtigkeit. 

Weitere Aufführungen:

09.05.2022 / 16.05.2022 / 23.05.2022 / 03.06.2022 / 04.06.2022

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