Viele studieren zwischen Regelstudienzeit, Nebenjob und anderen sozialen Verpflichtungen am Limit. Kommt zu dem normalen Arbeitspensum ein Krankheits- oder Pflegefall in der Familie, kann das in einer Überforderung münden. Die Pflegelots*innen der TU München stehen Studierenden in dieser Situation beratend zur Seite.
Von Vinzenz Gabriel
Das Studium ist für viele mehr als in überfüllten Hörsälen Vorlesungen zu verfolgen, in der Bibliothek Bücher zu wälzen und Hausarbeiten kurz vor Abgabeschluss noch in nächtlichen Aktionen fertigzustellen. Es ist für sie eine Zeit der Freiheit, der Eigenverantwortung und des Sich-Ausprobierens. Das Studienfach kann selbst gewählt, eine neue Stadt erkundet und das Leben vergleichsweise spontan gelebt werden. Die meisten haben noch Zeit, bis Zwänge, wie Geld verdienen und Kindererziehung sie einholen. Ein Studium verbindet man daher eher mit Erasmus-Semestern, WG-Feiern und langen Semesterferien als mit Alltag, Pflicht und Beständigkeit.
Doch während die einen ihr Auslandssemester planen, gibt es auch Studierende, die diese Freiheit nicht haben. Sie müssen nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Verantwortung tragen. Nachdem die Möglichkeiten und Beratungsstellen für Studierende mit Kindern inzwischen gut ausgebaut sind, hat die Technische Universität München (TUM) nun innerhalb des TUM Familienservice eine Beratungsstelle für eine Gruppe eingerichtet, die in der öffentlichen Wahrnehmung weit weniger präsent ist: Studierende, die neben dem Studium Pflegeverantwortung für nahe Angehörige übernehmen. Diese Studierenden haben mit Marion Friederich, der Pflegelotsin für München und Garching, eine direkte Ansprechpartnerin, von der sie Unterstützung erhalten.
Die Studierenden sind oft komplett überfordert, wenn sie zur Pflegelotsin kommen
Friederich hat sich über eine betriebliche Weiterbildung zur Pflegelotsin qualifiziert und ist nach eigenen Worten die erste Anlaufstelle für Studierende, die Hilfe bei der Pflege von Angehörigen benötigen. „Wir haben festgestellt, dass die Studierenden oft komplett überfordert sind, wenn sie zu uns kommen“, erklärt sie. In der Regel wendeten sich die Studierenden erst an sie, wenn sie bereits verzweifelt seien, nicht mehr weiter wüssten und ihr Studienerfolg beispielsweise durch das Überschreiten von Fristen gefährdet sei. Friederich sieht ihre Aufgabe darin, die Studierenden dabei zu unterstützen, wieder mehr Struktur in ihr Leben zu bringen und ihnen gebündelte Erstinformationen zu liefern. Dazu gehört das Sichtbarmachen von Möglichkeiten, die den Studierenden zuvor oft nicht bewusst waren und sie in der angespannten Situation entlasten können. Dafür eröffnet sie den Studierenden zum Beispiel die Möglichkeit eines pflegebedingten Urlaubssemesters, in dem zwar Prüfungen abgelegt werden können, das aber nicht auf die Fachsemester angerechnet wird. Wenn aufgrund der Belastung Fristen überschritten wurden, telefoniert sie auch mal mit dem Studentenwerk, um sich dafür einzusetzen, dass auf die Betroffenen Rücksicht genommen wird.
„Die Betroffenen sollen Zeit haben, ihre Situation zu erklären“
Außerdem kooperiert die Beratungsstelle deutschlandweit mit der awo lifebalance und hilft bei der Vermittlung von Pflegediensten. Besonders wichtig ist es für Friederich, den Hilfesuchenden das Gefühl zu geben, dass ihnen geholfen wird und dass sie mit ihrer Geschichte wahrgenommen werden. „Aus diesem Grund mache ich keine Gespräche zwischen Tür und Angel. Die Betroffenen sollen Zeit haben, ihre Situation zu erklären. Oft hilft es den Studierenden bereits, dass ihnen aufmerksam zugehört wird und sie merken, dass man ihre Situation ernst nimmt.“ Für viele sei die Ungewissheit eine große Belastung, da sich die Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen oft nicht auf absehbare Zeit bessere.
Ein Krankheitsfall in der Familie stellt die Betroffenen schlagartig vor große Herausforderungen
Studierenden, die psychisch besonders belastet sind, bietet die TUM mit der Einrichtung TUM4Mind weitere Hilfsangebote an.
Friederich hat im Gebiet München und Garching etwa 20 Fälle pro Jahr, in denen sich Studierende an sie wenden. Dabei sind die Fälle sehr verschieden. Friederich erzählt von akuten Belastungen wie dem Schlaganfall eines Elternteils. Die Studierenden finden sich von heute auf morgen in einer vollkommen neuen Verantwortungsposition wieder. In anderen Fällen gehe es seit zwei Jahren um die kranke Oma und es bestehe eine permanente Belastung. Manche kämen auch stellvertretend, beispielsweise habe sich einmal eine Studierende für eine betroffene Freundin über Hilfsangebote informieren wollen. Friederich selbst macht bei der Beratung keinen Unterschied. Allerdings betont sie, dass für den Antrag auf ein Urlaubssemester für die Pflege naher Angehöriger gewisse Kriterien erfüllt sein müssten. So müsse der*die Antragsteller*in als pflegende Person bei der Pflegekasse eingetragen sein oder es müsse zumindest ein enges Verwandtschaftsverhältnis vorliegen. Der Anspruch auf BAföG-Förderung erlösche während eines Urlaubssemesters.
Das Beratungsangebot soll durch mehr Öffentlichkeitsarbeit sichtbarer gemacht werden
Es gibt keine offiziellen Zahlen dazu, wie viele Studierende neben dem Studium Angehörige pflegen. Friederich vermutet aber, dass die Dunkelziffer hoch sein könnte. Damit sich Betroffene an Pflegelotsinnen wie Marion Friederich wenden, muss das Angebot unter den Studierenden bekannter gemacht werden. Friederich wirbt daher für eine öffentlichkeitswirksamere Auseinandersetzung mit dem Thema, damit die Studierenden bei Bedarf klar wissen, an wen sie sich wenden können.