Filmreihe

„One Life“ – Wahre Begebenheit, langweiliger Film

Im Historienfilm „One Life“ von James Hawes geht es um die wahre Geschichte eines Briten, der 1939 über 650 Flüchtlingskinder aus Prag gerettet hat. Statt einer spannenden Geschichte über eine Rettungsaktion sieht man ein langweiliges Biopic.

Von Jonas Hey; Bilder: © SquareOne/ Paramount

Zu Beginn des Films reist der junge britische Banker Nicholas Winton (Johnny Flynn) in die Tschechoslowakei, um eine Hilfsorganisation zu unterstützen. Diese versucht, politische Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland mit Visa zu versorgen und nach Großbritannien zu bringen. Die Nationalsozialisten haben nach der Münchner Konferenz im September 1938 das Sudetenland besetzt und die Angst geht um, dass Hitler nun auch die restliche Tschechoslowakei besetzen und die Flüchtlinge in KZs schicken könnte. In dieser dramatischen Lage fällt Winton auf, dass viele Flüchtlinge junge Kinder sind. Dies rührt ihn so sehr, dass er sich für ihre Rettung einsetzt. Durch Presseannoncen sammelt er in Großbritannien Spenden, gewinnt Pflegeeltern und verhandelt mit der Migrationsbehörde in London.

Der gealterte Nicholas Winton

Der Handlungsstrang in der Vergangenheit wird immer wieder durch Vorausblenden in das Jahr 1987 unterbrochen. Nicholas Winton, jetzt gespielt von Anthony Hopkins, ist mittlerweile ein alter Mann,  immer noch engagiert, aber scheinbar von seinen Erinnerungen verfolgt . Erst als seine Frau ihn zum Entrümpeln zwingt, entdeckt er ein Fotoalbum von 1939. Dieses gelangt schließlich an die Produzenten der Talkshow „That’s Life!“, in die er und einige gerettete Kinder – mittlerweile selbst alt geworden – eingeladen werden. Mit viel Emotion wird die Vereinigung von Retter und Geretteten begangen. Zuletzt lädt Winton eine der Geretteten mit ihrer Familie zu sich nach Hause zu einer Party ein.

Biopic statt Historienfilm

Die Vorausblenden  in die„Gegenwart“ fühlen sich stets wie eine unangenehme Unterbrechung an. Schließlich will man als Zuschauer:in ja gerade erfahren, wie die Geschichte um die Kinder während des Weltkrieges weiterging. Scheinbar haben die Verantwortlichen des Films die Entscheidung getroffen, dass Nicholas Winton als Hauptcharakter und eine Biographie seiner Taten (Biopic) spannender sei als die beschriebene Rettungserzählung. Zusammengefasst finden sich drei erzählerische Motive im Film: Die von Mitgefühl und Anstandsgefühl getriebenen Handlungen des jungen Winton, der sich verzweifelt gegen das scheinbar unausweichliche Schicksal wehrt, die in geringem Ausmaß gezeigten Einzelschicksale der betroffenen Familien und deren Kinder und zuletzt der alte Winton, der sich grämt, nicht mehr Kinder gerettet zu haben. Und leider überwiegt dabei der Anteil des Biopics die eigentlich bewegende Geschichte.

Hopkins und die Langeweile

Der dramaturgische Fokus auf Hopkins ist deshalb besonders eigentümlich, weil er diese Rolle nicht ausfüllen kann oder will. Sein vom Alter zerfurchtes Gesicht zeigt fast keine Emotion, nur manchmal wischt er sich Tränen aus den Augen. In einer Szene mit der Frau eines Verlegers tritt er mitten im Gespräch ans Fenster, verweilt kurz und kehrt dann langsam zur Sitzgruppe zurück. Diese Szene könnte die Last seiner vergangenen Entscheidungen zeigen, stattdessen wirkt Hopkins wie ein dementer Mann, der nicht mehr versteht, was um ihn geschieht. Man hat fast Angst, er könnte in Ohnmacht fallen oder in der nächsten Szene einschlafen. Dies tut auch dem realen Winton Unrecht, der bis 2015 lebte und damit ein biblisches Alter von 106 Jahren erreichte. In den realen Fernsehaufnahmen zeigt er mehr Emotionen als Hopkins im Film (Video, that’s life 1988: https://www.youtube.com/watch?v=OqqbM1B-mPY).

Anthony Hopkins stellt seine Figur zumeist übermäßig stoisch dar

Wahre Geschichte ist Nebensache

Bei dieser Art der Erzählung bleibt nicht nur die interessante wahre Geschichte auf der Strecke, es werden auch die Mitarbeiter von Winton zu bloßen Statisten degradiert. Einzig seine Mutter Babette (Helena Bonham Carter) erhält Raum und wird als Stütze ihres Sohnes gezeigt. Die Mühen anderer  Helfer im Untergrund  werden dafür überhaupt nicht gewürdigt. Sie sind am Anfang skeptisch, später vor allem bei der Arbeit oder hektisch unterwegs zu sehen. Die Schwierigkeiten durch den Einmarsch der Nationalsozialisten im Mai 1939 in die Tschechoslowakei werden gezeigt, aber nicht vertieft. Die wahren Heldentaten der Männer und Frauen „on the ground“ in Prag verblassen neben dem Protagonisten Nicholas Winton, der zu viel Raum einnimmt.

Schlussendlich bleiben von einer spannenden Geschichte also nur emotionale Momente und ein viel zu dominanter Protagonist übrig. Das gute Schauspiel von Johnny Flynn in der Vergangenheit steht in einem starken Kontrast zur monotonen Leistung von Anthony Hopkins. Es bleibt unklar, ob es an seinem fortgeschrittenen Alter (86) oder an einer Regieentscheidung liegt. Leider eine vertane Chance, eine packende Geschichte über den „britischen Schindler“ zu erzählen.

Der Film kam am 28. März 2024 in die deutschen Kinos und wird von SquareONE Entertainment vertrieben.

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