Das Metropoltheater bringt mit „Dinge, die ich sicher weiß“ ein Familiendrama auf die Bühne, das zum einen die Banalität des Alltages aber zum anderen auch die ganz großen Fragen des Lebens behandelt. Eine Rezension.
Von Gözde Çelik
Wenn ein Mann nach drei leidenschaftlichen Tagen (und Nächten) einfach das hart ersparte Geld und das iPad noch dazu einsteckt und abhaut, kann das Frau schon in eine kleine Sinnkrise stürzen.
So auch Rosie (Isabel Kott). Frisch nach dem Abschluss machte sie sich auf Europareise, nur um pleite und mit gebrochenem Herzen in den Schoß der Familie zurückzukehren. Fest entschlossen, sich auf die Dinge zu besinnen, die sie in dieser schwankenden und bedrohlichen Welt noch sicher wissen kann.
Um zu erahnen, dass diese Aussage „Dinge, die ich sicher weiß“ in dem gleichnamigen Theaterstück von Andrew Bowell dafür steht, dass doch eigentlich nichts wirklich sicher ist, braucht es nur die ersten fünf Minuten des Stücks. Dennoch ist es sehr wichtig die vollen 100 Minuten dieser deutschen Adaption von Maria Harpner und Anatol Preissler sitzen zu bleiben, um die zunächst subtil daher kommende Dramatik, die sich in dieser Familiengeschichte verbirgt zu erfassen.
Was ist schon sicher?
Die erste Sache, die frau eigentlich sicher wissen könnte, wird dabei schon zu Beginn des Stückes unter der Regie von Jochen Schölch außer Kraft gesetzt. Denn nicht die Schauspieler*innen sind auf der Bühne verortet, sondern das Publikum. Die Bühne sind die ausklappbaren, mintgrün gepolsterten Sitzplätze des Metropoltheaters. Die Kostüme (Cornelia Petz) so, als wären die Schauspielenden eben noch selbst im Publikum gesessen und die Requisiten bestehen hauptsächlich aus ein paar Blumentöpfen mit Rosen und zwei Spielzeugautos.
Mehr braucht es jedoch auch nicht, da die Schauspieler*innen, der gezielte Einsatz von Licht und die Dialoge den Raum bereits vollständig füllen.
Inmitten des Geschehens steht die Familie Price. Bob (Robert Giggenbach) und Fran (Lilly Forgàch) haben sich in ihrem Einfamilienhaus mit einem Garten den vermeintlichen Vorstadttraum aufgebaut. Sie haben Schulden gemacht und verzichtet, um diese abzubezahlen. Vor allem wollten sie, dass ihre vier Kinder, Pip (Kathrin von Steinburg), Mark (Sebastian Griegel), Ben (Sebastian Degenhardt) und Rosie, es mal besser haben. Doch diese sind in ihren eigenen Dramen gefangen und bringen, jede*r auf die eigene Art und Weise, „Probleme“ in die von Bob so ersehnte und von Fran so stark forcierte „Idylle“. Rosie ist auf Selbstfindungstour und macht ihren Eltern Angst mit ihren Plänen, Pip möchte es wagen, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und für einen Beruf weit weg zu ziehen, Mark ist hin und hergerissen zwischen seinem wahren Ich und dem Sohn, den seine Eltern gerne hätten und Ben… der setzt die Kirsche auf die Torte der elterlichen Verzweiflung, indem er aufzeigt, dass schnelles Geld Konsequenzen haben kann.
Eine Familie, wie im Bio-Buch
Dabei ist das Stück von Beginn an so gestaltet, dass unsere sechs Held*innen in ihren individuellen Motiven und Handlungen nachvollziehbar bleiben. Gleichzeitig werden gesellschaftliche Makrostrukturen in dem Mikro-Raum einer Familie, wie sie (leider immer noch genauso) im Biologiebuch steht, aufgezeigt. Besonders gut gelungen ist hierbei die Darstellung der komplexen Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Fran und Pip. Fran ist dabei die aufopfernde und einen Großteil der Care-Arbeit stemmende Frau, die ihrem 28-jährigen Sohn Ben immer noch mit Freuden die Hemden bügelt und die Welt nicht mehr versteht, als Pip ihren anständigen und sich gut um die Kinder kümmernden Mann verlassen will (Schließlich sollte auch nicht mehr als das absolute Minimum von einem Mann verlangt werden.). Pip solle gefälligst „wie eine normale Frau“ sein, so Frans Kritik. Unter einer „normalen Frau“ versteht sie eine Frau, die ihren Mann nicht verlässt, sondern in einer unglücklichen Ehe verweilt, egal, wie sehr sie darin eingeht. Schließlich hat Fran es damals auch so getan. Und es war die richtige Entscheidung. Oder?
„Sie ist wie ich, nur stärker“, ist dabei wohl eine der treffendsten Zeilen, die Fran spricht, als ihr klar wird, dass sie ihre Tochter auf denselben, unglücklich machenden Weg leitet, den sie selbst vor Jahren eingeschlagen hat.
„Ich hab’ gedacht sie würden werden wie wir. Nur besser.“
So entfaltet sich das ganze Drama in dem Garten der Familie Price, der für die Kinder gleichzeitig „die Welt“ und Zeuge von familiärer Freude und Leid ist. Neben einigen Höhepunkten, beispielsweise in der Darstellung der ambivalenten Liebe zwischen Fran und Bob (Ob er sie, wie kurz im Raum stand, wirklich schonmal geschlagen hat, kommt übrigens nicht raus. Schließlich wird über sowas nicht gesprochen.) oder dem jugendlichen, romantisch verträumten Glanz in Rosies Augen, gibt es ein paar Motive, die gehetzt wirken.
So wirkt Marks – beziehungsweise ab dem Ende des Stückes Mias – Geschichte in ihrer Ausführung zu knapp und etwas unterkomplex und auch zu Rosies Rolle in der Familie und dem Prozess, der sie schließlich zu ihrer Entscheidung am Ende des Werkes führt, hätte etwas mehr Information nicht geschadet.
Was bleibt ist ein beklemmendes Gefühl am Ende und die Überzeugung, dass die Worte „sicher“, „normal“ oder auch „erwachsen“ in einer so im Wandel begriffenen Welt nicht zu ernst genommen werden sollten.
Denn während die elterliche Generation ratlos wirkt und Bob in einem seiner tiefgründigsten Sätze „Ich hab’ gedacht sie würden werden wie wir. Nur besser.“ zusammenfasst, wie es wohl einigen Eltern geht, gehen alle Kinder, mal besser mal schlechter, ihren eigenen Weg. Und der führt unvermeidlich hinaus aus der Sphäre der Dinge, derer sie sich mal sicher sein konnten.
„Dinge, die ich sicher weiß“ wird noch bis zum 12. April zu verschiedenen Terminen im Metropoltheater aufgeführt. Studierende können ermäßigte Karten erhalten. Infos zu Tickets und aktuellen Hygiene-Regelungen finden sich auf der Website des Metropoltheaters .