Politikus

Ein eiserner Vorhang, fast wie damals

Putins Krieg gegen die Ukraine spaltet in zwei vermeintlich unterschiedliche Lager. Unsere Autorin befindet sich zwischen diesen Welten. Ein Kommentar.

Vor allem viele junge Münchner*innen haben in den vergangenen Wochen gegen den russischen Angriffskrieg protestiert. Foto: privat

Von Marina Schepetow

Vor zwei Jahren gab es ein Running-Dinner, dass von unserer Fachschaft für Politikwissenschaft organisiert wurde. Ich ging zusammen mit meiner Freundin Diana hin. Als am Tisch die Frage nach der Herkunft aufkam, erzählte ich, dass meine Eltern aus Russland kommen und Diana sagte, dass sie und ihre Familie aus der Ukraine sind. Im Anschluss war die erste Frage der anderen am Tisch: „Und wie ist es dann so? Steht ihr euch feindlich gegenüber?“ Ich habe wirklich nicht verstanden, was das heißen sollte. Diana war und ist wie eine Schwester für mich.

Als wir uns das erste Mal in der Ersti-Woche begegnet sind, haben wir uns sehr schnell angefreundet. Russisch, unsere gemeinsame Muttersprache, hat uns sofort vereint. Es ist aber nicht nur das. Obwohl sie in der Ukraine geboren und mit der russischen Sprache aufwuchs und ich hier in Deutschland zur Welt kam und einen russischen Kindergarten besuchte, teilen wir viele ähnliche Erinnerungen aus der Kindheit, wie zum Beispiel die gleichen Filme und Bücher, aber auch Witze und Anekdoten, die unsere Eltern erzählt haben und unseren Sinn für Humor geprägt haben.

Sie, aber auch wir, fürchten um ihr Leben.

Als ich am Donnerstag, den 24.02., erfahren habe, dass russische Truppen die Ukraine angegriffen haben, verspürte ich ein Gefühl, dass ich nicht in Worte fassen kann. Den gesamten Vormittag war ich nur damit beschäftigt, Nachrichten zu lesen und Familie und Freund*innen zu kontaktieren, um zu fragen, ob es allen vor Ort gut geht. Sowohl Bekannte und Freund*innen meiner Familie, als auch die Familien und Verwandten meiner Freund*innen verstecken sich in Bunkern oder sind auf der Flucht. Sie, aber auch wir, fürchten um ihr Leben.

Ein sehr guter Freund meines Vaters, der mich in meiner Kindheit auf den Schultern trug, als wir in den Bergen wandern waren, lebt seit mehreren Jahren in der Ukraine und befindet sich nun in Gefahr.

Auf der anderen Seite leben Teile meiner Verwandtschaft in Russland. Vor ein paar Tagen habe ich erfahren, dass einer meiner Cousins,  der ungefähr in meinem Alter ist und den ich nie persönlich kennengelernt habe, an die Front zwischen Belarus und der Ukraine geschickt wurde. Seinen Eltern wurde gesagt, er würde in eine andere russische Stadt mit seiner Truppe verlegt werden, zu “Trainingszwecken”.

Er will diesen Krieg nicht, seine Mutter auch nicht, die meisten wollen ihn nicht. Die Menschen in Russland, unter ihnen meine Verwandten, haben keine Chance frei gegen das repressive Regime zu demonstrieren, sonst droht ihnen eine Verhaftung, wie sie zahlreichen Russ*innen bereits widerfahren ist. Die Menschen in Russland haben keinen Zugang zu unabhängigen Medien. Sie können nicht darauf vertrauen, dass ihre Stimmen bei den Wahlen in Russland verlässlich ausgezählt und gehört werden.

Starker Zusammenhalt ist gefragt

Es ist Putins Krieg, nicht der Krieg der Russ*innen. Es ist Putin, der sich von der restlichen Welt abspalten und nicht kooperieren möchte, nicht die Russ*innen. Durch die Sanktionen des Westens gegenüber Russland, aber auch Russlands Sanktionen gegenüber dem Westen, bilden sich zunehmend zwei Welten, die – ähnlich wie damals während des Kalten Kriegs – durch einen eisernen Vorhang getrennt zu sein scheinen. 

Wir müssen alles daran setzen, den ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen und Solidarität zu zeigen. Das Engagement der zivilen Gesellschaften in Europa ist überwältigend. Leider häufen sich aber auch die Anfeindungen gegenüber russischen Menschen außerhalb Russlands, die nichts mit Putins Krieg zu tun haben. Schüler*innen in Schulen mit russischen Wurzeln werden beleidigt, russische Feinkostläden werden beschädigt und Kliniken lehnen russische Patienten ab. Um Ukrainer*innen helfen zu können, ist ein starker Zusammenhalt gefragt, nicht nur in Europa sondern auf der ganzen Welt. Die Kluft zwischen Russland und dem Westen mag vielleicht auf politischer Ebene existieren, aber lasst uns diese innerhalb unserer Gesellschaft vermeiden. Denn das ist genau das, was Putin will. Ein instabiles Europa und ein feindlich gesinnter Westen gegenüber allen russischen Menschen auf der Welt. Das, was Putin brechen möchte, ist der stärkste und wirkungsvollste Protest gegen seine Politik: eine friedliche und solidarische Einheit der internationalen Gemeinschaft.

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