„Schlampe: Mensch, der gerne Sex hat“, steht auf den Stickern, die den Slutwalk bewerben. Und darum geht es dem Slutwalk: Das Wort neu zu besetzen, gegen Sexismus zu kämpfen und sich mit Opfern von Vergewaltigung zu solidarisieren. Ein Gespräch mit Patrick Becker, einem der Organisatoren, über die Hintergründe und die Namensgebung des Slutwalks.
Das Gespräch führten Paula Blömers, Laura Laabs und Franziska Stolz
Seit wann gibt es denn den Slutwalk und gab es ein bestimmtes Gründungsmoment, ein Ereignis?
Slutwalks gibt es weltweit seit 2011. Ein Polizist in Toronto hatte damals vor mehreren Zuschauern zum Thema Verbrechensprävention folgendes gesagt: „Frauen sollten sich nicht wie Schlampen anziehen, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollen“. Das hat damals zu einem großen Aufschrei geführt, diese Bewegung in Gang gebracht und letztlich den Namen für die Proteste geprägt.
Die Kernaussage unseres Protests ist also die folgende: Wenn du nur vergewaltigt werden kannst, weil du eine Schlampe bist oder dich „so verhältst“, dann sind wir alle Schlampen. Das ist das Solidaritätsprinzip an der Sache. Weil es uns alle treffen kann.
Wie meinst du das?
Du kannst es nicht provozieren, entweder hast du richtig böses Pech und wirst vergewaltigt oder Opfer von Sexismus in irgendeiner Art und Weise, oder halt nicht. Aber es ist nicht deine Schuld. Die Idee dahinter ist eben, die Gesellschaft dahingehend zu sensibilisieren, wieder mehr Mitgefühl mit dem Opfer zu zeigen und auf Opferseite zu sein und nicht dieses Slutshaming zu betreiben. Das Wort kennt man ja mittlerweile vielleicht, das eben vor allem Frauen fertig macht, dass sie zu sexy sind und sich falsch verhalten.
Gibt es weitere Ziele?
Das eine wichtige Ziel ist eben, den Umgang der Gesellschaft mit den Opfern umzukehren und von dieser Schuldzuweisung von den Opfern weg zu kommen und die Schuld wieder beim Täter zu suchen. Ein anderes Ziel, das wir als Slutwalk München haben, ist, dass generell Sexismus einfach in jeder Form zu bekämpfen. Wir setzen uns außerdem für sexuelle Selbstbestimmung ein, sind also auch beim Christopher Street Day vertreten, wir sind komplett für freie Liebe und, dass jeder sich so darstellen kann, wie er das will. Im Endeffekt ist das langfristige Ziel, das ganze Thema zu beenden. Das ist natürlich eine schwierige und langwierige Arbeit. Den Sexismus so zu bekämpfen, dass er wirklich nicht mehr da ist. Ich weiß nicht, ob man das machen kann, es gibt immer wieder Leute, die Verbrechen begehen. Außerdem wollen wir aber eine Anlaufstelle für Leute sein, die sich mit dem Thema auseinandersetzen mussten im Leben. Wir wollen empowern, wollen zeigen, dass es Leute gibt, die sich kümmern und ja, einfach solidarisch dastehen, für die Leute, die von der Gesellschaft enttäuscht wurden, weil sie dafür fertig gemacht wurden, was ihnen passiert ist.
Also Anlaufstelle im Sinne einer Beratungsstelle?
Wir sind keine Beratung, aber wir haben wahnsinnig viele Organisationen hinter uns, die solche Arbeit machen. Wir sind sehr gerne Vermittler. Wir selbst sind alle Freiwillige, unausgebildet, die so etwas nicht studiert haben. Aber wir vermitteln.
Wie organisiert ihr euch?
Wir sind alle Freiwillige, wir haben lange überlegt, ob der Slutwalk Munich ein Verein werden soll, aber wir alle haben nebenher noch viel zu tun und die Leute wechseln jedes Jahr. Da ist es schwierig, eine größere Form anzunehmen. Wir leben davon, dass die Leute mitmachen wollen und etwas verändern wollen. Es ist total ehrenamtlich. Und finanzieren tun wir das im Endeffekt durch unsere Unterstützer, Leute, die ähnliche Arbeit machen und spenden wollen.
Verfolgt ihr über den Slutwalk hinaus noch andere Projekte während des Jahres?
Wir versuchen ganz stark zu netzwerken, und eben auch bei den anderen Orgas mitzuhelfen oder mitzumachen und auf Demos vertreten zu sein, wie es eben geht in dem Rahmen. Wir stehen schon oft als Kollektiv zusammen. Wir haben jedes Jahr auf der Wiesn ein Event, immer unterschiedlich bisher gewesen, aber gerade da ist es super wichtig, auf Sexismus aufmerksam zu machen. Was die Zeit hergibt. Also je mehr wir machen, desto zufriedener sind wir und deswegen versuchen wir es auch. Die Demo ist auf jeden Fall das Hauptding, das Main-Event.
Aber sonst sind wir auf Facebook und in den sozialen Medien das ganze Jahr über vertreten und gucken auch in den Nachrichten, was sich gerade tut zu dem Thema und in der Gesetzeslage. Alle guten und negativen Sachen werden beleuchtet, dass das eben in den Köpfen bleibt.
Warum habt ihr euch den Begriff Slut ausgewählt, den ja viele Leute als Schimpfwort verstehen?
Ich habe das ja eben schon kurz angeschnitten, den Namen haben wir uns selbst nicht gegeben, der kam auf. Die Idee dahinter ist eben aufzulösen, dass wenn die breite Masse, die Gesellschaft, die Leute anfangen zu sagen, dass wenn du dich weniger schlampig verhältst, als Frau weniger schlampig bist, dann du auch nicht vergewaltigt wirst. Es gibt ganz klare Zahlen, die einfach belegen, dass dir das widerfahren kann, egal welches Geschlecht, welches Alter oder ob du dem allgemein gängigen Schönheitideal entsprichst, es ist völlig egal. Und deswegen ist der Schluss zu sagen: In dem Fall sind wir alle Schlampen. Und in dem Fall wollen wir dieses Wort entkräften und daraus etwas Positives machen. Und sagen, für uns sind Schlampen im Endeffekt Menschen, die gerne Sex haben oder sich zu ihrer Sexualität bekennen, und nicht das, was die Gesellschaft daraus macht. Und es ist ja ein Riesending, wenn du jetzt vergleichst, was du als Mann für Props kriegst oder wie beliebt du bist, wie geil es alle finden, viele Frauen zu vögeln. Und wie es dann eben auf der anderen Seite super scheiße ist, wenn du es als Frau machst. Das ist einfach so ein krasser Unsinn, dass wir diesem Wort eben wieder ein positive Behandlung geben wollen. Und sagen, gut, dann sind wir alle Schlampen, weil daran liegt’s nicht.
Geht es bei der Zurückeroberung dieses Wortes auch um eine Zurückeroberung der eigenen Körperlichkeit und der eigenen Sexualität?
Ja, also ganz kurz, das Wort Zurückerobern: Es ist ja kein Zurückerobern, sondern ein Erobern, weil das Wort ja von Anfang an negativ bestimmt war. Das nur kurz am Rande. Aber ja! Total! Es ist quasi das Hauptmotto, dass dein Körper dir gehört. Ende. Es hat niemand darüber zu bestimmen, was du damit machst. Du kannst darüber verfügen und deswegen kannst du anziehen, was du willst, du kannst auch nicht anziehen, was du willst, und du darfst genauso sein, wie du willst, solange das niemanden wiederum in seiner eigenen Freiheit einschränkt. Ganz klar: Your body, your choice. Das ist ja auch ein Spruch, den man in dem Zusammenhang immer wieder hört. Und das ist uns immer in der Kampagne total wichtig, dass das der Hauptpunkt ist.
Der Slutwalk München ruft am Samstag, den 21.07.2018, wieder zu einer großen Demonstration gegen Sexismus und für Solidarität miteinander auf.