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Studierende forschen für Europas Zukunft

Die Europawahlen im Mai werden immer wieder zur Schicksalswahl der EU ausgerufen. Am Münchner Centrum für angewandte Politikforschung haben Studierende im vergangenen Semester über mögliche Zukunftsszenarien der EU gebrütet. Das Ergebnis der Forschungsgruppe liegt nun vor.

Die Ergebnisse der Forschungsgruppe werden mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft diskutiert © Centrum für angewandte Politikforschung / LMU

Von Bartosz Paniak

Bereits im März 2017 hat die Europäische Kommission mit dem Weißbuch zur Zukunft der EU eine großangelegte Debatte über mögliche Zukunftsszenarien Europas angestoßen. Weißbücher sind Dokumentensammlungen, die von Staaten oder internationalen Organisationen herausgegeben werden, um der Öffentlichkeit Orientierung für politische Fragen zu bieten. Häufig dienen sie ihren Urheber*innen in diesem Fall der EU jedoch eher der Rechtfertigung des eigenen politischen Handelns. Um dem entgegenzuwirken, initiierte die Vertretung der EU-Kommission in München im Rahmen von EU-Bürgerdialogen eine studentische Forschungsgruppe am Münchner Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), die sich mit einigen Themenfeldern des Weißbuchs auseinandersetzten sollte.

Zwölf Studierende der Politikwissenschaft, der Rechtswissenschaften sowie der Sozial-, Kultur- und Kommunikationswissenschaften von Universitäten aus ganz Deutschland arbeiteten im vergangenen Wintersemester in Arbeitsgruppen zu drei wichtigen Feldern der Europapolitik: Wirtschaftspolitik, Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik sowie Asyl- und Migrationspolitik. Zehn Wochen lang beschäftigten sie sich mit der Entwicklung von Forschungsfragen, führten Experteninterviews, analysierten die Ergebnisse möglicher Szenarien des Weißbuchs und entwickelten Handlungsempfehlungen.

Fünf Szenarien des Weißbuchs für Europa im Jahr 2025:

  • „Weiter wie bisher“: Die bisherige Reformagenda der EU wird vorangetrieben.
  • „Schwerpunkt Binnenmarkt“: Vor allem der Binnenmarkt soll vertieft werden.
  • „Wer mehr will, tut mehr“: Einzelne Mitgliedstaaten können unabhängig von der Gemeinschaft mehr tun.
  • „Weniger, aber effizienter“: Einige Politikbereiche werden vertieft, andere dagegen weniger.
  • „Viel mehr gemeinsames Handeln“: In allen Politikbereichen soll mehr passieren.

Die „AG Wirtschaft“ konzentrierte sich auf zwei Politikbereiche. Am Beispiel der Körperschaftssteuer analysierte sie zunächst die europäische Steuerpolitik und erarbeitete Punkte wie einen EU-weiten Maßstab zur Berechnung von Steuern, einen Mindeststeuersatz auf EU-Ebene mit dem Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, und starke Kontroll- und Kooperationsmechanismen. Gemäß dem Weißbuch-Szenario: „Viel mehr gemeinsames Handeln“.

Der Zweite Ansatz widmete sich der Arbeitsmarktpolitik der EU am Beispiel des Umgangs mit der Jugendarbeitslosigkeit. Als mögliche Maßnahmen in diesem Bereich sah die Gruppe eine Stärkung bestehender Vorhaben, wie der Jugendgarantie, sowie den Aufbau von Mindeststandards bei der Ausbildung, um so mehr Chancengleichheit gewährleisten zu können. Dieser Ansatz folgte dem Weißbuch-Szenario „Wer mehr will, tut mehr“.

© Centrum für angewandte Politikforschung / LMU

Mit den Bereichen Energiesicherheit, am Beispiel von Nord Stream 2, und Verteidigungspolitik, anhand einer gemeinsamen EU-Armee, setzte sich die „AG Sicherheit“ auseinander. Beim Energiethema legten die Studierenden den Schwerpunkt auf den Ausbau der Infrastruktur in osteuropäischen Staaten, auf Partnerschaft und Solidarität mit der Ukraine. Diese Handlungsempfehlungen ließen sich dem Weißbuch-Szenario „Weniger, aber effizienter“ zuordnen. Hinsichtlich einer möglichen EU-Armee kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass dafür bisherige militärische Strukturen ausgebaut werden müssten und, dass die Zusammenarbeit einzelner Länder untereinander effizienter ausfallen müsse (Szenario „Wer mehr will, tut mehr“ und „Weniger, aber effizienter“).

Die Ergebnisse wurden inzwischen Jean-Claude Juncker vorgelegt

Die dritte Forschungsgruppe „AG Migration“ nahm als ein Beispiel das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) unter die Lupe. Ihre Handlungsempfehlung: Es bedürfe einerseits Mindesstandards und, andererseits, einer Gruppe der Willigen. Langfristig gesehen sei ein gemeinsames, an Menschenrechten als Maxime ausgerichtetes Handeln nötig im Gegensatz zum geltenden Ansatz, der neben der Wahrung der Menschenrechte eine größtmögliche Effizienz und Durchsetzbarkeit als gleichwertige Zielsetzungen ansieht. In Bezug auf das Weißbuch wurden diese Ansätze den Szenarien „Weiter wie bisher“ und „Wer mehr will, tut mehr“ zugeordnet.

Als zweites Beispiel diente die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache, kurz Frontex. Hier empfehlen die Studierenden, bestehende Instrumente auszubauen mit dem Ziel, Kompetenzen und Kontrolle auf supranationaler Ebene zu schaffen. Auch in diesem Bereich legten sie den Fokus auf ein menschenrechtskonformes Handeln. Entlang möglicher Zukunftszenarien ordnete die Gruppe ihre Ansätze in „Weiter wie bisher“ und „Viel mehr gemeinsames Handeln“ ein.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden inzwischen dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, vorgelegt. Zur Präsentation im Februar erschienen neben Jürgen Gmelch als Vertreter der EU-Kommission in München auch Abgeordnete des Bayerischen Landtags. Diana Stachowitz (SPD), Florian Siekmann (Bündnis 90/Die Grünen) und Tobias Gotthardt (Freie Wähler) diskutierten mit den beteiligten Studierenden die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit und lobten deren Engagement. Gotthardt lud die Studierenden darüber hinaus zum weiteren Austausch in den Europaausschuss des Landtages ein.

Welchen Kurs die EU in den kommenden Jahren einschlägt, hängt aber nicht nur davon ab, wie mögliche Zukunftsszenarien des Weißbuchs ausgestaltet werden. Maßgeblich dafür ist auch das Ergebnis der Europawahlen vom 23. bis 26. Mai und welche politischen Konstellationen sich daraus ableiten.

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