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Von der Keilschrift zu den Memes

Es gibt einen Grund dafür, dass man der Oma kein Scheiße-Emoji auf WhatsApp schickt. Sie würde den Witz dahinter vermutlich nicht verstehen. Denn Humor ist stets im Wandel. Eine Spurensuche.

© Illustration: Felix Zenz

Von Patryk Maciejewski

„Was ist seit Urzeiten noch nie geschehen? Eine junge Frau sitzt auf dem Schoß ihres Mannes und pupst nicht.“ Heute krampfen wir bei diesem Satz nicht mehr vor Lachen zusammen, jedoch ist dieses auf einer alt-babylonisch-sumerischen Tafel mit Keilschrift eingravierte Sprichwort die älteste Überlieferung eines Witzes. Als er zwischen circa 2300 und 1900 vor Christus niedergeschrieben wurde, begründeten die Amurriter gerade die erste babylonische Dynastie. Vielleicht geht er sogar noch weiter auf die Sumerer zurück. Obwohl die Zahlen eine ernste, althistorische Museumsstimmung heraufbeschwören, kann man aus diesem Brüller vor allem eines ableiten: Furzwitze gibt es schon, seitdem die Menschheit schreiben kann.

Neben dem Gesäß zählen Fäkalien zu den ältesten humoristischen Themen überhaupt. Angefangen in der Antike über die derben Schwänke des Mittelalters, wie die von Till Eulenspiegel, bis hinein in die Aufklärung und Weimarer Klassik: Kot-Witze bringen Menschen zum Lachen. Heutzutage wird halt das Scheiße-Emoji genutzt. Mozart war ebenfalls berühmt-berüchtigt für seine anal-orientierten Stücke. So hinterließ uns dieser brillante Musiker Werke wie Leck mir den Arsch fein recht schön sauber oder Leck mich im Arsch.

Auch der große Goethe war in dieser Hinsicht nicht unschuldig: Ein Blick in das Personenverzeichnis von Hanswursts Hochzeit offenbart Namen wie „Leckarsch“ oder „Scheißmatz“. Der amerikanische Anthropologe Alan Dundes ging in seinem 1985 veröffentlichten Buch Sie mich auch! sogar so weit, die Analfixierung als grundlegenden Teil des deutschen Nationalcharakters festzulegen. Aber nun genug von Kot und Körperöffnungen.

Trotz ihrer Beliebtheit wurde diese Art von Witzen schon immer als flach, niveaulos und kindisch empfunden. Sich über Darmwinde zu amüsieren, steht jedoch nicht ohne Grund am Anfang der Humor-Geschichte. Der Bruch mit den etablierten Kategorien ist ein integraler Bestandteil der Komik. Egal ob es sich dabei um soziale Normen oder sprachliche Strukturen wie bei Wortspielen handelt: Alles kann als lustig empfunden werden, was von den gewohnten Wahrnehmungsmustern abweicht.

Die gehobene Gesellschaft lacht nicht

Für diese Abweichung werden zunächst Erwartungen aufgebaut, die später nicht erfüllt oder bestenfalls ins Gegenteilige verkehrt werden. Daher setzt die Komik oft erst nach der Pointe ein. Dem Tabu kommt hierbei eine tragende Rolle zu. Der Fäkalhumor ist da das beste Beispiel: Wer über Ausscheidungen des Körpers sprach, lief schon immer Gefahr, die Grenze des Sagbaren zu überschreiten. Diese Normverletzung im Witz geschieht in der Regel nicht willkürlich, sondern baut auf vorangegangenen Aussagen auf. Kurz: Die Pointe muss motiviert sein.

Einen einheitlichen Sinn für Humor gab es nie. Er unterscheidet sich von Epoche zu Epoche, aber auch zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Im antiken Griechenland wurden die Dionysien zu Ehren des Lachens und der Lust gefeiert. Mit Phalli geschmückte Festzüge zogen durch die Straßen und Sänger*innen trugen Spottlieder vor. Aus diesen Texten entwickelte sich die griechische Komödie. Ihr Name leitet sich von den Sänger*innen ab, den „kōmōdós“. Diese Werke verspotteten auf heftigste Weise die gesellschaftlichen und politischen Zustände in der Polis, waren also höchst politisch. Gleichzeitig enthielten sie aber grobe, volksnahe Witze über Sex und Defäkation. Antike Philosophen missbilligten diesen derben Humor und so forderte Platon eine Hinwendung zu höheren Formen des Witzes, wie Ironie und Satire. Lachen wurde in seiner Akademie nicht gerne gesehen.

Auch im Mittelalter distanzierten sich die höheren sozialen Schichten von den ärmeren Teilen der Bevölkerung. Wo sich der einfache Bauer amüsierte, demonstrierte die Kirche Ernsthaftigkeit. An Höfen oder in Klöstern war das Lachen äußerst verpönt und galt oft als Sünde. In der städtischen Bevölkerung und später im aufsteigenden Bürgertum herrschte ein anderes Humorverständnis vor: Hier entstanden die ersten Schwänke und städtische Feste wie Karneval, Fastnacht und Fasching, meist verbunden mit ergiebigen Feiern.

Memes. Memes everywhere.

Den Höhepunkt erfuhr diese Spaltung im Barock, wo Komödien strikt mit dem niederen Volk und Tragödien mit dem hohen Adel verbunden wurden. Erst während der Revolutionswelle Anfang des 19. Jahrhunderts schloss sich diese Kluft allmählich. Die politische Kraft des Humors blühte wieder auf und wurde zum wichtigen Element der Opposition gegen die hierarchischen Strukturen. Noch heute bekannte Formate wie die Karikatur oder die Politsatire gewannen hier erstmals an Popularität.

Politischer Humor ist ein untrennbarer Bestandteil der öffentlichen Debatte geworden. Aber auch Inhalt und Form von Witzen unterliegen Veränderungen. Die Annäherung von Hoch- und Popkultur weicht die Grenze zwischen den sozialen Schichten weiter auf und neue Medienformate stellen neue Verbreitungswege bereit. Anstatt Witze aus Katalogen oder aus dem Gedächtnis vorzutragen, halten wir heute jemandem das Handy vors Gesicht und sagen: „Guck mal, ein Meme!“ Auch Image-Macros genannt, bestimmen diese heute den Internethumor.

Memes verbinden bekannte Bilder aus der Popkultur wie Szenen aus Filmen und Serien oder Videospielen mit einer passenden Sprachschablone und setzen sie in einen vollkommen neuen Kontext. Da die Sprachschablone variabel ist, kann sie von jeder Person individuell verändert werden und lädt so dazu ein, eigene Memes zu kreieren. Die Anzahl an möglichen Verbindungen ist schier unendlich. Einige sind für beinahe alle Mitglieder eines sozialen Netzes nachzuvollziehen, andere setzen weitreichendes Hintergrundwissen voraus.

Aber ganz gleich, ob man sie versteht oder nicht: Memes sind in der Internetkommunikation allgegenwärtig und aus dieser nicht mehr wegzudenken. Sie sind die Folge einer zensurlosen, partizipativen und global-vernetzten Gesellschaft und werden vermutlich noch eine gute Weile die Netzkultur prägen. Und wer weiß: Vielleicht sind Memes irgendwann in ferner Zukunft die Hauptquelle zur Untersuchung der Kultur des 21. Jahrhunderts und wirken dann so antik wie die Keilschrift für uns heute.

© Illustration: Felix Zenz

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