Kulturphilter Online

Verbittert, versumpft und voller Hass

Das Metropoltheater München hat „zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ von Svealena Kutschke wieder aufgenommen. Ein Stück über emotionale Abgründe, das Hadern mit dem eigenen Schicksal und eine geistige Leerstelle in der gemeinsamen Existenz.

V.l.: Matthias Grundig (Holm), Thorsten Krohn (Ahmed), Sophie Rogall (Darija), Mara Widmann (Sarah) © Fotos: Jean-Marc Turmes

Von Thilo Schröder

Stuhlpaare stehen in etwa zwei Metern Abstand in dem halbdunklen Raum, jeweils in den Reihen versetzt, sodass sich ein Rautenmuster ergibt. Man setzt sich, nimmt den bereitliegenden Umschlag für das Eintrittsgeld (Modus: Zahl doch, was du willst) vom Stuhl, setzt die Maske ab. Man blickt sich um an diesem Abend Anfang Juli im Metropoltheater, schaut in erwartungsfrohe Gesichter. Knapp 50 sind es, volles Haus, manche weiterhin von schützendem Stoff bedeckt. Ein wiederkehrender Trommelrhythmus ist zu hören: zwei tiefe, ein hoher, wieder ein tiefer Ton. Es ist irgendwie unangenehm. Diese drückende Distanz, die Stimmung, das Gefühl, sich selbst am nächsten zu sein. Man ist erleichtert, als zu Beginn kurz das Licht erlischt, und wünscht sich fast, es möge aus bleiben.

Der junge Mann ist omnipräsent, aber ohne eigene Stimme

Fünf Personen, vom Publikum abgewandt, sitzen auf Bänken auf der Bühne. Nacheinander drehen sie sich um und beginnen zu sprechen. In Monologen, selbstbezogen und doch verwoben. Sie kennen sich, leben alle in einem Mietshaus in Berlin Pankow, und sind sich doch im Innersten fremd. Da ist das junge lesbische Paar: Darija treiben Gewaltfantasien an, dem Geiste der eigenen Unterdrückung entsprungen; Kim, Enkelin einer Nationalsozialistin, wird von Schuldgefühlen in ihrem kleinen Kiosk gefangen gehalten.

Da ist Holm, der alkoholkranke Gerichtsvollzieher, der über den wörtlichen als auch sprichwörtlichen Müll der Gesellschaft, auch seinen eigenen, fabuliert und in Selbstmitleid versinkt. Da sind die depressive Sarah und ihr Ex-Mann Ahmed, deren Gedanken zwischen gegenseitiger Abscheu, Verbitterung und Opfer-Haltung umeinander kreisen. Und dann ist da Nabil, der junge syrische Geflüchtete im Erdgeschoss, als Gesprächsgegenstand omnipräsent, selbst aber ohne Körper und Stimme.

V.l.: Thorsten Krohn, Lucca Züchner (Kim), Sophie Rogall

„zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ von Svealena Kutschke skizziert entlang dieses Settings ein Gesellschaftspanorama, das so wenig subtil, so vermeintlich durchstereotypisiert und an mancher Stelle derart überzeichnet daherkommt, dass der Schrecken der Erkenntnis darüber, was hier im Kern geschieht, zunächst von einer Faszination ob der Art der Darstellung überschattet wird. Die Figuren, in ihren Charakterzügen äußerst detailreich gezeichnet, reflektieren wortgewandt über gesellschaftliche Probleme. Sie lästern über- und nebeneinander, sind sich selbst in der eigenen wahrgenommenen Ausweglosigkeit am nächsten, versinken in emotionalen Abgründen, tauchen ein in Fehden der Vergangenheit und Gegenwart und wühlen darin herum auf eine Weise, dass es beim Zuschauen weh tut.

Zunächst sind es Wortfetzen, die verdeutlichen, welche Rolle Nabil unsichtbar in ihrer Mitte einnimmt. „Sein Deutsch ist schon echt gut“, „der Araber von Gegenüber“, „dem geht’s doch ganz gut“. Der junge Geflüchtete, der den Schritt von der Erstaufnahmeeinrichtung in die Mietwohnung geschafft hat; der junge Geflüchtete, der Anzüge trägt, Maßanzüge des Ex-Mannes, die ihm die Depressive ohne Rücksprache gegeben hat; der junge Geflüchtete, der rauchend, träumerisch im Hof steht: Auf ihn projizieren sie all ihre Konflikte, ihre Schwächen, das Hadern mit dem eigenen Schicksal.

Was zerbrechen könnte, soll zerbrechen – mit voller Wucht

Vielfalt, Toleranz und Empathie, dieser Tage vielbeschworene Stellvertreterbegriffe der sogenannten modernen (wahlweise auch postmodernen) Gesellschaft, hier glimmen sie allenfalls schemenhaft auf – und das auch nur dann, wenn sie dem eigenen Vorteil dienen. Im Vordergrund stehen indes sozial konstruierte Sollbruchlinien entlang von allem, was eventuell fremd wirken könnte. Bruchlinien, die von den Protagonist*innen mit voller Wucht aufgerissen werden.

Man zuckt innerlich zusammen, als die Sprache im Verlauf des Stückes zunehmend rauer wird. Ausbrüche werden häufiger. Mal aus voller Kehle herausgeschrien, mal zwischen den Zähnen hervor gepresst, mal hinter hysterischem Lachen oder labilem Lächeln eher kümmerlich verborgen. Schließlich liegt Nabil, der unsichtbare Sechste, auf dem Boden. Blutverschmiert, der Alkoholkranke hat im Wahn auf ihn eingeprügelt. „Wie konnte ich nur zu so einem ungeduschten Arschloch werden…“, sinniert er mit gläsernem Blick. Die Depressive: „Nabil, wie der mich immer angeschaut hat, als wär ich das Schrecklichste…das war schon verletzend.“ Die Nazi-Enkelin: „Ihr Schweigen ist das der Zeugen, die wissen, dass sie schuldig sind.“ Die Gewalt Fantasierende: „Die Stille von Nabils Schweigen verfolgt mich bis in meine Wohnung.“

„zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ lässt einen am Ende nachdenklich zurück, irgendwie beklommen auf eine Weise, die schwer in Worte zu fassen ist man muss es selbst erlebt haben. Auf jeden Fall ein Stück wie gemacht, um es in diesen Zeiten zu inszenieren. Man verlässt den Saal, tritt auf die Straße, blickt in die Abendsonne. Die Gedanken reißen nicht ab.

„zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ (Regie: Jochen Schölch) nach der Vorlage von Svealena Kutschke wird noch bis Sonntag, 2. August, im Metropoltheater München aufgeführt. Zum Zeitpunkt der Rezensions-Veranstaltung am 3. Juli waren wegen des großen Andrangs zur Wiedereröffnung nach der Corona-Pause bereits alle folgenden Vorstellungen restlos ausverkauft.

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