Online Philterchen

Und täglich grüßt der Ausnahmezustand

Unsere Autorin hat die Corona-Krise bisher ohne große gesundheitliche Komplikationen überstanden. Nur eines hat stark gelitten: ihr Biorhythmus. Wenn Zeit auf einmal relativ ist.

Symbolbild

Von Clara Löffler

Ein Blick in die Wecker-App meines Handys offenbart eine ernüchternde Bilanz: Meine durchschnittliche Aufstehzeit im letzten Monat? Elf Uhr. Dabei hatte alles so gut angefangen. Wie viele andere auch startete ich in die Quarantäne mit dem guten Vorsatz, nun abseits von jeglichen sozialen Verpflichtungen die Kontrolle über mein Leben zurückzugewinnen. Endlich wollte ich all die Pläne in die Tat umzusetzen, die nicht erst einmal durchkreuzt worden sind von einer spontanen Einladung zu ein oder zwei Gläsern Wein am Samstagabend, den darauffolgenden Tanzeinlagen um drei Uhr morgens und einem späten Frühstück im Bett. Nicht selten endete das Wochenende mit dem panischen Öffnen meines Laptops um 20 Uhr, der eine weitere Nachtschicht versprach, bevor ich wenige Stunden vor dem Weckerklingen erschöpft ins Bett fiel, wissentlich, dass ich es auch an diesem Montag nicht zur Acht-Uhr-Vorlesung schaffen würde.

Während dort draußen Weltuntergangsstimmung herrschte, wollte ich wenigstens in meinen eigenen vier Wänden Ordnung schaffen, endlich all die Bücher lesen, die unberührt in meinem Regal stehen, meinen Kleiderschrank aussortieren, vielleicht sogar endlich wieder mit dem Joggen anfangen, doch dafür musste ich früh aufstehen. Ich stellte also meinen Wecker auf sieben Uhr, doch konnte ich den Schein nicht lange aufrechterhalten. Schnell wurde ich von meinem inneren Schweinehund verführt oder besser gesagt dem warmen Bett und der Mangel an sozialer Kontrolle konnte auch nicht durch ein penetrantes Piepen neben meinem Ohr ersetzt werden. Zu groß war die Verlockung, meiner Vorlesung im Schlafanzug, vom Bett aus, mit einer Tasse Kaffee in der Hand zu lauschen. Die Kamera konnte mit Verweis auf eine „schlechte Internetverbindung“ ausgeschaltet bleiben, bis schließlich auch unsere Dozent*innen aufgaben und fast ausnahmslos auf asynchrone Lehre umstiegen. So wurde aus sieben Uhr neun, aus neun wurde zwölf und mein Schlafrhythmus spiegelte schon bald den Ausnahmezustand der Pandemie wider.

Ich hingegen fand einen neuen Weg mein Leben zumindest teilweise wieder selbst bestimmen zu können. Zugegeben, ich habe mich noch nie zu der Sorte Mensch gezählt, die sich als Frühaufsteher*in bezeichnen würde. Nun konnte ich also endlich selbst entscheiden, wann ich aufstehe. In anderen Worten, wenn ich schon gezwungen bin Ferien von meinem Leben zu machen, dann aber richtig und wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, dass wenigstens für eine Zeit lang jeder Tag ein Sonntag ist? Ich hatte keine Eile mehr, meine To-Do-Liste schleunigst abzuarbeiten. Fünf Minuten oder fünf Stunden hin oder her, morgen war ja schließlich auch noch ein Tag und täglich grüßt der Ausnahmezustand. Nun sah ich mich auch nicht mehr mit einer inneren Leere konfrontiert, die mich nach dem Erledigen meiner täglichen „Aufgaben“ am Nachmittag überkam und normalerweise von einem Treffen mit meinen Freund*innen gefüllt wurde. Ein Brot lässt sich eben auch noch um 22 Uhr backen und bleibt man nur lange genug auf, kann man den Sonnenaufgang beobachten, ohne sich dafür aus dem Bett quälen zu müssen – gemeinsam mit den Freund*innen bei einem Skype-Date, mit einem Glas Wein in der Hand, zu den Klängen des Livestreams meines Lieblingsclubs tanzend. Und wer weiß, vielleicht wache ich eines Nachmittags auf und das alles war nur ein böser Traum.

 

Dieser Artikel ist Teil unseres Online-Schwerpunkts „Gemeinsam“. Aufgrund der Corona-Krise haben wir uns dazu entschieden, dieses Semester auf eine gedruckte Ausgabe zu verzichten, stattdessen veröffentlichen wir Artikel unter diesem Thema. Die Ausbreitung des Virus hat das Studierendenleben von heute auf morgen verändert: Wie wirkt sich das auf den Uni-Alltag aus? Wie auf Lehre und Leben? Und vor allem: Welche Lösungen im Umgang mit dem Virus werden an Hochschulen gefunden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...