Online Unileben

Zurück in die Bibliotheken

Seit vergangener Woche sind Münchens Universitätsbibliotheken wieder geöffnet. Trotz strenger Auflagen sind sie gut besucht. Über ein bisschen Normalität, viel Platz und ein sehr wichtiges Stück Plastik.

Im Philologicum der LMU in der Maxvorstadt © Fotos: Max Fluder

Von Max Fluder

Man kann, wenn man die wiedereröffneten Bibliotheken besucht, alles richtig machen. Oder man macht vieles falsch. Man kann zum Beispiel vergessen, vorab zu reservieren, und sich vergeblich auf den Weg zur Uni machen. Oder man bringt – bedingt durch die lange Abwesenheit – durcheinander, dass es die Stabi ist, in der die Spinde Ein-Euro-Münzen verlangen, in den Unibibliotheken aber ein Zwickel die Münze der Wahl ist. Die Maske zu vergessen – sie zu tragen ist in den Gebäuden Pflicht – geht natürlich auch immer. Oder aber man liest Mails nur oberflächlich – und hat (unbemerkt) die eigene LMUcard verloren. Aber dazu später mehr.

14 Uhr am vergangenen Donnerstag, es sind 29 Grad, der Himmel ist in diesem leuchtenden Blau, wie man es auch auf der bayerischen Flagge wiederfindet, und die Maxvorstadt ist derart gut besucht, als gäbe es keine Pandemie. Eigentlich wäre man an einem solchen Tag nicht im Philologicum – aber „eigentlich“ ist auch nur ein Wort und der Zustand, den es beschreibt, existiert in einer Welt mit Corona nicht mehr.

Überhaupt: Ins Philologicum zu können – eigentlich ist das nichts Besonderes, mittlerweile dürfte es jedoch ein langersehnter Wunsch von vielen Studierenden sein, die die sich zu Ende neigende Vorlesungszeit eben nicht in Vorlesungssälen, sondern daheim verbracht haben. Nachdem die Universitätsbibliotheken allesamt am 14. März schlossen sind es jetzt fast vier Monaten ohne Zugang zu den Bibliotheken der LMU. In die Bayerische Staatsbibliothek konnte man schon Ende Mai wieder.

Man steht also im lichtdurchfluteten Eingangsbereich des Philologicums und wundert sich, wie neu, ja fast schon unberührt diese Bibliothek immer noch aussieht. Die runden, roten Sitzgelegenheiten sind gesperrt. Dort, wo man sich sonst unüberlegt hinfläzen würde, liegen Paare aus je zwei DIN-A4-Zetteln. Auf dem einen steht jeweils das Verbot, sich zu setzen. Auf dem anderen je ein Spruch wie: „Übertreibt ihr es nicht total?“ und darunter, auf demselben Papier immer „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“.

Die Liste der Bibliotheken, die Studierende wieder betreten können, ist recht lang: die Zentralbibliothek, die Zentrale Lehrbuchsammlung, das Historicum, die Fachbibliotheken für Mathematik und Physik sowie die für Wirtschaftswissenschaften und Statistik, das oben beschriebene Philologicum und einige der juristischen Bibliotheken. Gut, sie sind nur montags bis freitags offen, nur von neun bis 18 Uhr und das auch noch in zwei Schichten unterteilt, aber immerhin.

Einen Platz muss man sich im Voraus reservieren, dafür gibt es eine eigene Website. Dort ist auch einsehbar, welche Slots schon alle reserviert sind. Kurzgefasst: Es sind viele – so viele, dass man sich schon wieder freut, überhaupt einen Platz für die nächsten Tage zu finden. Erfolgsversprechender ist wohl die Suche nach einem Arbeitsplatz, der für die eigene Fakultät reserviert ist. Momentan gibt es die unter anderem für Studierende der Fakultäten 3, 4, 5, 9, 12, 13 und 16. Wie aber sieht es vor Ort aus? Und vor allem: Wie fühlt es sich an?

Reiht man sich jetzt also – mit Maske vor dem Gesicht und Reservierungsbestätigung – in der Schlange beim Einlass, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Außer, nun ja, die LMUcard fehlt. Diese braucht man, um sich, na klar, auszuweisen und zu zeigen, dass man – im Falle des Philologicums – an der Fakultät 13 studiert. Und jetzt? Man kann ausflippen, nach Hause fahren, seinen Hausstand quasi auf den Kopf stellen und sie immer noch nicht finden. Oder aber man hat das Glück an jemanden der Mitarbeitenden zu geraten, die sich auch mit der Online-Immatrikulationsbestätigung zufriedengibt und einen dann – fast schon gottesgnädig – trotzdem reinlässt (beides ist nicht zu empfehlen, bitte nicht nahmachen, sondern einfach die vermaledeite Karte mitnehmen beziehungsweise sie nicht verlieren).

Sitzt man dann also auf dem reservierten Arbeitsplatz im vierten Stock und nimmt die Maske ab, Achtung: Erlaubt ist das auch nur dort, fällt eines auf: der ganze Raum. Selten ist das Philologicum offen, aber gleichzeitig so leer wie jetzt. Und selten freut man sich so dermaßen, die konzentrierte Stille wahrzunehmen. Vor allem wenn zu Hause vor dem Fenster gebaut wird, man sich um junge Verwandte kümmern muss oder es einfach nur unruhig ist, wird man sich hier geborgen fühlen – umgeben von Büchern, die aber kaum jemand aus dem Regal zieht. Wieso auch, wenn dieses Semester doch eh ein rein virtuelles ist?

Die Arbeitsplätze sind nach dem Reißverschlussprinzip vergeben, jeder zweite ist leer. Theoretisch können Gruppen auch ihre eigenen Räume buchen, an diesem Donnerstag ist aber nur in einem Raum das Licht an. Viele Gruppenarbeiten dürfte es dieses Semester eh nicht gegeben haben.

Das heißt allerdings nicht, dass es keinen Gesprächsbedarf gäbe. Die Stille in den Arbeitsräumen, die einem nach der langen Abstinenz fast schon unwirklich vorkommt, wird selten gebrochen. Dafür wird unten, im Eingangsbereich, umso mehr gesprochen. Noch bevor man zu seinem Arbeitsplatz geht und natürlich auch nachdem man um viertel vor Sechs schon wieder runtergebeten wird, die Sonne ist da noch nicht mal am Untergehen. Nur mal zur Erinnerung: In den vergangenen Semestern fuhr man selten noch bei Tageslicht nach Hause. Gespräche also, mit Menschen, die man vielleicht drei, vier Monate gar nicht oder nur in einer Zoom-Kachel gesehen hat. Worüber gesprochen wurde? Über Alltägliches, Banales und natürlich um die wiedereröffnete Bib – ein Stück des „normalen“ Studierendenleben. Sofern es denn so etwas überhaupt gibt.

 

Dieser Artikel ist Teil unseres Online-Schwerpunkts „Gemeinsam“. Aufgrund der Corona-Krise haben wir uns dazu entschieden, dieses Semester auf eine gedruckte Ausgabe zu verzichten, stattdessen veröffentlichen wir Artikel unter diesem Thema. Die Ausbreitung des Virus hat das Studierendenleben von heute auf morgen verändert: Wie wirkt sich das auf den Uni-Alltag aus? Wie auf Lehre und Leben? Und vor allem: Welche Lösungen im Umgang mit dem Virus werden an Hochschulen gefunden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns.

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