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Die Ordnung der Dinge

In „Her“ verliebt sich der Protagonist Twombly (Joaquín Phoenix) in eine Computersoftware, was viele Kritiker zu düsteren Zukunftsprognosen veranlasste. Dabei erzählt der Film viel mehr und sehr viel traditioneller, als man zunächst vermuten würde.

HER
Erfährt Zuneigung, jedoch auch Chaos: Joaquín Phoenix als Twombly in „Her“ (Foto: Warner Bros. Ent. Alle Rechte vorbehalten)

Spike Jonze, der vielen als der Regisseur von Being John Malkovich bekannt sein dürfte, oder auch dem einen oder anderen in The Wolf of Wall-Street als Dwayne begegnet sein mag, schafft mit Her auf den ersten Blick eine Innovation: Er gibt einer Stimme, genauer, dem Sprechorgan von Scarlett Johansson (als Samantha) eine Hauptrolle, wenn auch die Golden Globes sie offiziell als Nebenrolle handhaben. Neben ihr „her“ spielt er – das kastrierte ‚her‘, sprich ,he‘ – Theodore Twombly (Joaquín Phoenix) die zweite Hauptrolle. Tatsächlich erscheint einem während des Films die scheinbar so zentrale Rolle der Stimme irgendwann als konzipierter Rückgriff in die Vergangenheit des Filmrepertoires. Der erfahrene Filmzuschauer, der natürlich auch ein Zuhörer ist, kennt die Erzählerstimme aus dem Off. Doch tatsächlich war ein Film nie so (in)konsequent. Zwar wird die eine Sexszene zwischen Mensch und Computer – à la Fontanes zensierendem Bindestrich in Effi Briest – als tonal untermalte Schwarzblende inszeniert, aber diese Szene bleibt die Ausnahme. Aber: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Das Konzept ist ersichtlich: Her ist ein Film, bei dem jegliche Gestaltung abgestimmt scheint, was wie eine homogene Atmosphäre wirkt. Wenn der Protagonist des Films, der Brillenträger Theodore, in seinem Büro sitzt, erscheinen die Trennfenster im Großraumbüro in demselben Rosarot wie Twomblys Jacke oder das Licht im Eingangsflur seiner Wohnung, das er bei seiner Heimkehr so missmutig anknipst. Und wenn Theodore vor dem Schreibtisch Platz nimmt, dann sind Hemd-, Bildschirm und Lampenschirmfarbe ganz in ähnlichem Ton harmonisiert. Man könnte meinen, die Farben, die gleichzeitig beleuchten und projizieren, tragen auch Theodores innerliche Verfassung nach außen, werden also je nach Gefühlsstimmung codiert. Orange und Rosarot würden so zu emotionalen Manifesten. Bemerkenswert ist dabei, dass Außen und Innen, das heißt Mensch und Umwelt sich in gewisser Weise vereinigen.

Ein klares System, ein klares Konzept – und doch Chaos

Die Menschen des Films bewohnen eine stilisierte Welt, in der alles seine Ordnung hat – die Welt, ein Stil(l)leben. Das, was uns die Großstadt täglich zeigt (egal, ob wir es auch sehen oder ignorieren) erscheint nun ganz aufgeräumt. In dieser Filmwelt gibt es keine Obdachlosen, man sieht keine abgeranzten Städter. Alle sind ganz fleißige Arbeiter, die sich der Struktur nicht widersetzen. Die Bewohner versuchen, sich in die Ordnung einzufügen, bis Mensch und Umwelt, wie auch Lampenschirm und Hemd, in eins verschmelzen. Auch das Filmplakat spielt mit dieser Beobachtung, wenn das Portrait von Theodore Hemd und Hintergrund in einer Farbmischung aus Rot-Orange und poppigen Pink verschwimmen lässt und sich nur die leuchtend blauen Augen von ihrem Hintergrund abheben.

So wirkt Her vorerst wie ein Film über Systematisierung mit klarem Designkonzept. Doch eigentlich handelt der Film von der ultimativen Unordnung in der Ordnung: der Liebe. Und es ist ein Filminhalt, der selbst immer wieder in Unordnung verfällt. Der Protagonist Theodore ist, wie sollte es anders sein, Autor (mit Verweis auf Spike Jonzes Autor(en)problem in Adaptation). Bei dem von Kritikerschwärmen antizipierten Anspruch auf SciFi ist der Film doch recht altmodisch. Der Film greift zurück in die Vergangenheit, Theodore verfasst ,liebenswürdige‘ Botschaften, er ,schreibt‘ Briefe. Er diktiert, der Computer schreibt handschriftlich, er druckt aus, der Brief wird abgeschickt: ein digitaler Rückblick auf das antiquierte Briefmedium. Theodore produziert Analoges in einer digitalen Zeit. Die analogen Briefe sind romantisch, erzeugen Emotionen, genauso wie das Operating System, kurz OS. Dabei ist das OS kein banales Betriebssystem, es ist ein operierendes System, das langsam aber sicher unter die Haut geht.

Her-poster
Filmplakat „Her“ (© Warner Bros. Ent. Alle Rechte vorbehalten)

Twombly, der von seiner Frau verlassen wurde, lebt alleine. Die Wohnung ist unstrukturiert, unaufgeräumt, wirkt aber auf den ersten Blick nicht so, weil sie gleichzeitig an ein frisch-umgezogen-Ambiente erinnert. Die ganze Weltarchitektur von HER erscheint mit dem leichten Beigeschmack hotelhafter Sterilität alias verlorener Persönlichkeit. Die Wohnung markiert die ,topografische‘ Unordnung, die eigentlich nur die innerliche Unordnung Theodores visuell macht. Er engagiert einen Computer, der aufräumen, sortieren und korrigieren soll: Er entscheidet sich für ein weibliches OS, er wählt eine ,Frau‘. Ihr Name ist Samantha. Ein passender Name: Samantha ist abgeleitet aus dem hebräischen „shama“, was soviel wie ,hören‘ bedeutet.

Eine Operation am offenen Herzen

Samantha ist ganz virtuell, ohne Körper, ohne Bild. Aber mit Autogramm, Zeichenfunktion  und allumgebender Stimme, die – mit einem Kameraauge ausgestattet – zu Theodores täglicher Begleiterin wird. Sie loggt sich sozusagen in ihn ein und benutzt dabei nicht wie Craig Schwartz (Being John Malkovich) die Tür zum Kopf, sondern den Gehörgang. Nur ist diese programmierte Frauenstimme bald mehr als ein strukturiertes und fixiertes Programm. Emotionalität wird zu einer fraglichen ,Soft‘ware. Mensch und Maschine freunden sich an, sie verlieben sich, sie schlafen miteinander, alles rein („pure“) virtuell. Bei dieser ganzen Bequemlichkeit ist lediglich verblüffend, wie es so angenehm geworden sein kann, InEar-Kopfhörer zu tragen und trotzdem bequem auf dem Kopfkissen zu rangieren. Ihn scheint es nicht zu stören. Sie ist in sein Ohr eingedrungen. Wir schauen Theodores Ohren zu, wie sie jegliche laszive Floskel aufsaugen. Dabei ist jedes dieser emotiv aufgeladenen Worte technische Kalkulation. Samanthas Humor ist dann, wie der Gag aus einem Film der Rubrik Slapstick, nur noch konstruiertes Programm.

Da Theodore so emotionale Briefe schreiben kann und gerne etwas weinerlich und „total romantisch“ ist, wird er von seinen Mitmenschen oft verweiblicht. Tatsächlich ist es kennzeichnend, dass sie in ihn (an dieser Stelle geht es weit über das Ohr hinaus) eindringt. Ein Art Rollentausch, eine zweite, ,geschlechtliche‘ Unordnung?

Samantha emanzipiert sich noch weiter. Die OS‘ verlassen ihre Klienten und auch Theodore wird von Samantha verlassen. Wieder wird dieser Mann von einer Frau verlassen. Eine Wiederholung, eine Ordnung.

Hätte das Ohr doch auch nur ein Lid wie das Auge

Wo uns der Film also von einer konstanten Unordnung erzählt, ist es der Film, der die ständige Ordnung aufstellt. Das Prinzip der Wiederholung des Filmtextes ist eine Systematisierung, die auf Selbstreflexion setzt. Ein Film, der seine Gegenstände immer wieder aufgreift, imitiert den Denkprozess selbst, er reflektiert. Reflexion schafft Identität, weil es ein Nachdenken über sich selbst ist. Vor einiger Zeit hatte ein Artikel des New Yorkers erklärt, dass der Liebesfilm (genauer die „Romantic Comedy“) so gefährlich und auch erfolgreich sei, weil ein Film über Liebe auch immer ein Film über Identität sei. Doch Her erklärt hier, dass das Dilemma der Identitätsfindung nicht romantische Nähe, sondern Distanz braucht. Deswegen muss ihn die künstliche Identität Samantha verlassen.

Doch der Ton ist nicht distanzierend, er ist penetrant. Über ein ganzes Orchester an bezeichneten Bestandteilen des Ohres (Trommelfell, Paukenhöhle, Ohrtrompete) bewegt sich Samanthas Stimme problemlos von außen nach innen. Dem Ton können wir uns nicht verwehren. Wir können die Augen ganz von selbst schließen, sie haben eine natürliche Schutzvorrichtung: das Lid. Die Ohren hingegen stehen immer offen. Da braucht es schon Hände um sie zu verschließen, und selbst dann schleicht sich die leiseste Vorahnung über das (Un)Gehörte ein. Jeder kennt diesen Moment. Der Horrorfilm im Kino hat uns diese Erfahrung gelehrt. Wir (jedenfalls manche von uns) wollen den Mord dann doch nicht sehen, wir wollen den (meist weiblichen) Schrei nicht hören. Die Augen werden zugekniffen, die Hände auf die Ohren gedrückt und trotzdem kommen wir nicht ohne Schaden davon, weil uns ständig das Gefühl beschleicht, wir hätten doch etwas gehört.

Die liebenswerte Samantha dringt, wie sich letztendlich herausstellt, in eine Masse von Ohren ein, weswegen Theodore nicht nur eifersüchtig und gekränkt ist, sondern obendrein in seiner individuellen Identität beschädigt wird. Während für Samantha Liebe expandiert, ist sie für Theodore ein privates Gut. Der Film endet mit eben der Situation, die wir bei der oben erwähnten Mordszene so sehnlichst verlangt hatten, mit dem Verschwinden der (Frauen)Stimme. Theodore will zurückkehren, die Krise, die Reise beenden und sich wieder einordnen. Er meldet sich darauf bei seiner Ex-Frau – die Ordnung scheint wiederhergestellt.

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