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Aus der medialen Schmuddelecke

Wer Computer spielt, ist männlich, wäscht sich nicht und hat bestimmt keine Freundin? Die Zeiten solcher Pauschalurteile sind längst vorbei. Mittlerweile sind Computerspiele sogar akademisches Forschungsobjekt.

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Computerspiele werden immer mehr zu einer eigenen Kunstform (Foto: Flickr-User SobController / CC BY)

Philtrat: Herr Schellong, machen Computerspiele den etablierten Medien wie etwa der Literatur die Zielgruppe abspenstig?

Schellong: Ein wettbewerbliches Verhältnis bspw. zur Literatur sehe ich nicht – wohl aber ein Beziehungsgefüge zwischen den Medien, das aus der Perspektive einer inter- oder transmedial ausgerichteten Forschung untersucht werden kann. Neben den technischen und grafischen Verbesserungen: Computerspiele sind vor allem hinsichtlich ihrer ästhetischen und narrativen Potentiale ein ernstzunehmendes Medium geworden – sie sind, könnte man sagen, „Spielhandlungsräume“, die Spielhandlungen mit Erzählhandlungen zusammenführen können. Sie folgen den kulturellen Bedingungen und Möglichkeiten von Spielen und können dabei auf das Inventar der erzählerischen Mittel von Buch, Film, Hörspiel, Comic etc. zurückgreifen und übersteigen als genuin interaktive Medien gleichzeitig deren mediale Möglichkeiten.

Welche neuen Möglichkeiten sind das konkret?

Es gibt nicht „das eine“ Charakteristikum des Computerspiels, das es neu oder anders macht. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass wir mit dem, was Jochen Venus die „Darstellung erlebten Handelns“ nennt, einem wichtigen Punkt auf der Spur sind. Hinsichtlich der Erzähl- und Darstellungsmöglichkeiten ist das Computerspiel ein integratives „Supermedium“, das bisherige Formen in sich aufnehmen kann.

Wo liegen die Unterschiede zu den traditionellen Medien?

Die großen Unterschiede liegen aber in der Perzeption von Computerspielen, in denen man, nach Venus, „eine fiktionale Figur zugleich verkörpern und ihr Handeln von außen, quasi unbeteiligt, betrachten“ kann. Die Herausforderungen, vor die ein Computerspieler gestellt wird, verlangen seine kognitiv-rationale, seine emotionale und seine leibliche Anteilnahme. Und diese Verbindung von Handeln und Beobachten tritt im Computerspiel in einer spezifischen und neuen Form auf. Gleichzeitig lädt das technische Medium Computer zum experimentellen Arbeiten geradezu ein – und nicht zuletzt deshalb sind die jüngsten Versuche der experimentellen Literatur nahezu alle in digitalen Sphären verortet. Das Computerspiel ist durch sein spezifisches Handlungserleben dabei natürlich von ganz besonderer Bedeutung.

Wie passen die Gamestudies dort hinein?

Zunächst muss man innerhalb der Gamestudies differenzieren: Einerseits gibt es einen eher sozialwissenschaftlichen Zweig, der der breiten Öffentlichkeit vor allem durch die Ergebnisse der Medienwirkungsforschung bekannt ist. Für diesen Zweig kann ich nicht sprechen. Andererseits: Im Kontext der Geistes- und Kulturwissenschaften sind die Gamestudies vorwiegend in medienkulturwissenschaftlich aufgeschlossenen Instituten der Philologien zu finden. Hier hat man sich in den letzten Jahren gewissermaßen „freigeschwommen“ und von den ersten – eher noch unter disziplinären Voraussetzungen geführten – Debatten zwischen einer ludologischen und einer narratologischen Herangehensweise an Computerspiele befreit.

Seit wann gibt es die Game-Studies und wie sind sie überhaupt aufgekommen?

Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Aber wenn wir es in den Gamestudies im allgemeinen Verständnis mit digitalen Spielen, also mit Computerspielen zu tun haben, geschieht das nicht losgelöst von den Überlegungen zum Spiel, die vorher angestellt wurden. In diesem Sinne gibt es viele Großväter der Gamestudies, von Schiller über Wittgenstein oder Derrida bis hin zu den Kulturwissenschaftlern Huizinga oder Caillois und dem österreichischen Philosophen Robert Pfaller. Diese Traditionslinie ist lang und insbesondere bei der Einbettung der Computerspielforschung in die Zusammenhänge eines literaturwissenschaftlichen Faches von großer Bedeutung.

Und als konkrete Forschung, die Computerspiele zum Gegenstand hat?

Im Kontext der Geisteswissenschaften etablieren sich die Game-Studies da seit den späten 90er Jahren. Zu dieser Zeit gab es eine spannende Diskussion um die Zukunft der Literatur und des Buches im digitalen Zeitalter. Dabei wurde rasch deutlich, dass Erzählen im digitalen Raum nicht erst mit den damals aufkommenden Hyperfictions realisiert wurde…

… also nicht-linearen Erzählungen, die über die Linkstruktur des Internets eine interaktive Komponente erhalten…

… sondern dass bereits sehr viel länger mit nicht-linearem Erzählen in Computerspielen experimentiert wurde. Zwar gab es schon 1972 das textbasierte Spiel Adventure, aber vor allem seit dem ab 1977 entwickelten Zork gab es hier eine eigene Erzähl-Spiel-Tradition, die dann in Form von Grafikadventures weitergeführt wurde. Dieses nicht-lineare Erzählen hat Literaturwissenschaftler fasziniert und herausgefordert – und es ist bis heute ein wichtiger Aspekt bei der Computerspielanalyse.

Haben sich in dieser jungen Richtung bereits Forschungsschwerpunkte etabliert?

Ich sehe derzeit vor allem zwei große Arbeitsfelder: Einmal wird weiter im Bereich der Theorie des Computerspiels gearbeitet – wie eben an der Frage nach der schon genannten spezifischen Medialität. Andererseits rücken aber immer mehr auch einzelne Spiele oder Spielserien in den Fokus. Es geht dabei also weniger darum, wie das Computerspiel grundsätzlich funktioniert, sondern um das, was das eine Spiel konkret macht. Damit kommen wir in einen Bereich, der durchaus vergleichbar zum aktuellen Stand der Film- oder auch der Literaturwissenschaft ist. Und hier ist erkennbar, dass sich die Gamestudies um eine Anbindung an die etablierten Theorien und Methoden der Literaturwissenschaft und der Medienkulturwissenschaft bemühen.

Haben Spieleentwickler überhaupt ein Interesse daran, die sich bietenden Möglichkeiten dieses Mediums voll auszuschöpfen? Geht es oftmals nicht viel mehr um actionreichere Szenen und neuere Waffentechnologien?

Der Computerspielindustrie geht es – wenn man sie gesamt betrachtet – natürlich zunächst um Umsätze. Darin unterscheidet sie sich nicht von der Filmindustrie, die sie übrigens im Umsatz bereits überholt hat. Aber genau wie es Arthouse-Produktionen im Film gibt, die sich nicht vor allem wirtschaftlich rechnen müssen, gibt es auch bei Computerspielen die „Qualitätstitel“. Mir hat vor einigen Jahren ein Vertreter eines großen Publishers gesagt, dass es ausgewiesene Image-Produktionen gibt, die die Qualität des Mediums bewerben und Computerspiele aus der medialen Schmuddelecke holen sollen.

Was wären das z. B. für Spiele?

Beispielsweise Alan Wake oder Heavy Rain. Die bringen oft keine übermäßig großen wirtschaftlichen Erfolge, aber immer viel positive Präsenz im Feuilleton. Wirklich ausgetestet werden die Möglichkeiten des Computerspiels im inzwischen sehr starken Independent-Bereich. Indiegames wie Dear Esther, The Stanley Parabe oder Journey oder auf neuen mobilen Plattformen beispielsweise Luxuria Superbia versuchen nicht vor allem die neueste Hardware in epischen Schlachten auszunutzen, sondern sie experimentieren mit Irritationsmomenten auf der Erzähl- oder Spielebene.

Theo Starcks kompletten Artikel über (Nicht-mehr-)Subkultur des „Gamings“ könnt ihr in der aktuellen Print-Ausgabe von Philtrat (Nr. 18) lesen. Schellingstraße 3, Lichthof HGB, Preis: 1€.

 

Marcel Schellong ist Literatur- und Medienwissenschaftler und forscht am Institut für Deutsche Philologie der LMU. Er ist Mitherausgeber der Onlinezeitschrift PAIDIA, die sich mit dem Medium Computerspiel wissenschaftlich auseinandersetzt. Seine eigenen Vorlieben bezüglich Computerspielen bezeichnet Schellong als „Gaming ohne Pastell-Scheiß“.

 

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