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Drück auf Pause

Das schöne Studentenleben, heißt es immer, das waren noch Zeiten. Die Floskel wird meist nostalgisch-ironisch von älteren Familienmitgliedern gebraucht, die schon lange in der „Evil Corporate World“ gefangen sind, und sich an der Ort der Sinnsuche, der Sinnfindung, des Lernens und Lehrens in einem Anflug von Melancholie zurückerinnern und dann eventuell noch à-la gebrochenes Handgelenk winkend sagen – hach, wie gut habt ihr es Kinder, genießt die Zeit. Allen Absolventen, die so verklärt in ihre Vergangenheit blicken, sei an dieser Stelle gesagt: Da blendet ihr aber ganz schön viel aus.

Nun ist es wahr, dass der Durchschnittsstudent auf einem hohen Niveau jammert, das ist unbestritten. Aber ab und zu darf man das auch, sofern es nicht überhandnimmt. Das Wintersemester geht los, gerade freut man sich, liebe Kommilitonen wieder zu sehen, wundert sich, dass die typischen „Gscheidhaferl“ schon wieder nicht bei einer Ausgrabung zu Platons Geburtshaus ums Leben gekommen sind , dass anscheinend noch mehr Leute angefangen haben, im Rückgebäude der Schellingstraße zu stricken, um einem die eigene Handarbeits-Unfähigkeit pünktlich zu Weihnachten unter die Nase zu reiben, und dann sind die ersten sechs Wochen schon um und man hängt gefühlt elf Wochen hinterher.

Gerade in einer solchen Zeit stehen dann auch die Referate an, die man sich zu Beginn des Semesters bewusst geschickt nicht ganz an den Anfang, aber auch nicht ganz knapp vor die Prüfungszeit gelegt hat, also genau in diese zwei Wochen im Dezember. Irgendwie dachte man, das wäre noch länger hin, Exposés für Abgaben wollen geschrieben werden, und dann besucht man auch noch, weil man nicht genug zu tun hat, das Science-Fiction-Seminar auf freiwilliger Basis immer Dienstagabends im Keller, weil man will sich ja auch ein bisschen entspannen.

Der erste Kontakt

In Zusammenhang mit diesem Seminar passierte etwas Seltsames: Auf dem Flur traf ich einen Kommilitonen (von den lieben), den ich seit Semesterbeginn noch nicht gesehen hatte. Wir unterhielten uns. Er erkundigte sich, was ich dieses Semester belegt hätte und auf einmal, ohne Vorwarnung fragte er mich: „Und in diesem freiwilligen Science-Fiction-Film-Seminar, da bist du doch bestimmt auch, oder?“ Ich bejahte und fing vor lauter Vorfreude an zu strahlen und von der letzten Vorführung zu erzählen, wir hätten Star Trek: First Contact geschaut und mit Kant und der transzendentalen Ästhetik interpretiert, und das war spitze, und ich fragte, sehen wir uns morgen zum nächsten Film, und er sagte, das würde sich bei ihm leider zeitlich nicht ausgehen, aber da dachte ich mir noch nichts dabei.

Erst als ich die Treppenstufen auf die Schellingstraße runterging und mir der kalte Rauch der drei Philosophen, die da irgendwie immer stehen und rauchen, das fröhlich-dümmliche Grinsen vom Gesicht pustete, fing ich an, über die Frage des Kommilitonen nachzudenken. Es war  weniger eine Frage gewesen, als vielmehr eine Feststellung, dachte ich, und er hatte dabei auch ein bisschen spöttisch gelächelt, und als ich zu Hause ankam war mein Selbstbild von der coolen Studentin, die trotz der Wahl ihres Hauptfaches total sozialfähig und locker ist und natürlich super gegen den Strom schwimmt, schon ziemlich angekratzt. Aber ich hatte genügend andere Sachen im Kopf, das Referat für das Nebenfach wollte vorbereitet werden und ich wollte eigentlich nur kurz nach Hause und ein paar Nudeln kochen und dann weiter in die Bib.

Stress essen Seele auf

Ich setzte das Nudelwasser auf, verscheuchte die Gedanken an das „da bist du doch bestimmt auch“, des Kommilitonen, das, bei weiterem Nachdenken, schon ziemlich abschätzig klang, und packte meine Sachen für die Bibliothek zusammen. Zwischen Küche und meinem Zimmer fing mich meine Mitbewohnerin ab und fragte, ob ich ihr helfen könne, ihren Schrank zu verschieben. Ich sagte, ja klar, aber ich darf die Nudeln nicht vergessen und wir gingen in ihr Zimmer. Dabei handelte es sich beim Schrank meiner Mitbewohnerin nicht um einen normalen IKEA-Schrank, sondern natürlich um ein altes, wunderschönes, aber auch ganz schön schweres Vollholz-Teil ihrer Großmutter, und es kam, wie es kommen musste. Ich konnte das Monstrum nicht lange heben, es fiel mir auf den Fuß, genau in diesem Moment drang aus der Küche ein Zischen und ich wusste, das Nudelwasser hatte jetzt keinen Bock mehr im Topf zu bleiben. Ich rannte in die Küche, nahm den Topf vom Herd, verbrannte mich, stellte die Platte aus und ließ mich auf einen Stuhl fallen, mein Fuß pochte. Dann fing ich an zu heulen. Meine Mitbewohnerin zog mich vom Stuhl, nahm mich in den Arm, und ich durfte in ihre schönen Locken weinen, und brachte nur „Star Trek“ und „habdochkeine Ahnung von Kant“ und „schlechte Schauspieler“ hervor. Weil sie ein toller Mensch ist, schaffte sie es irgendwie, mich Häuflein Elend zu beruhigen und ich konnte unter Tränen meinen ersten ganzen Satz formulieren, der ungefähr so lautete: „Und jetzt denkt der eine aus der Uni, ich wär ein Nerd!“, worauf ich wieder anfing hemmungslos zu schluchzen.

An diesem Tag trank ich mit meiner Mitbewohnerin einen Tee nach dem anderen und wir schauten Breaking Bad. Das ist nämlich das wirklich geniale am Studentendasein: Wenns zu viel wird, kann man den Pause-Knopf drücken.

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