In den letzten 100 Jahren ist die Entwicklung im Bereich Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Deutschland weit vorangeschritten. Haben wir Grund zu feiern? Eine Bestandsaufnahme.
Von Lisa Rubin
Der große Veranstaltungssaal der katholischen Hochschulgemeinde der LMU ist an einem Montagabend Ende Oktober vollbesetzt. Denn dort hat man zu einer Podiumsdiskussion geladen, die sich mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland befasst. Vor 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, vor 60 Jahren trat das erste Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Karl Huber, früherer Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, nennt dieses Gesetz eine wichtige Errungenschaft und sieht 2018 deshalb durchaus als ein Feierjahr der Gleichstellung.
Auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit gelte es noch einige Hürden zu meistern, meint hingegen Manuela Sauer, Referatsleiterin für Grundsatzfragen im Kreisjugendring Stadt-München. Der Status Quo sei für sie noch kein Grund zur Euphorie. Till Räther beobachtet mit Wohlwollen die derzeit geführten Debatten zu diesem Thema. Es wäre noch nie so offen und kontrovers darüber diskutiert worden, sagt der Journalist und Autor. Sauer erwähnt in diesem Zusammenhang, dass nicht jeder Mensch sich einer der beiden Kategorien männlich oder weiblich zuordnen könne, sodass man auch das dritte Geschlecht nicht außer Acht lassen dürfe, welches ebenso von der Gesellschaft akzeptiert und gleich behandelt werden solle. Die Abkehr von Stereotypen sei dabei ein wichtiger Schritt.
In Spitzenpositionen ist der Frauenanteil gering
Laut Räther sind wir bereits auf einem guten Weg, Klischees abzubauen. Er untermalt diese These mit einem persönlichen Beispiel: „Das klassische Konzept der Frauenzeitschrift ist nicht mehr zeitgemäß“, meint Räther, der selbst für die Brigitte schreibt und dabei die Erfahrung macht, als Mann in einem eher weiblichen Team von Autor*innen hervorzustechen.
Während bei den Studierenden in Deutschland mit einem Frauenanteil von 49 Prozent eine nahezu vorbildlich gerechte Verteilung vorliegt, sieht es bei den Professuren mit lediglich 19,2 Prozent ganz anders aus. „Chancengleichheit ist kein alter Hut“, erläutert Marion Kiechle (CSU). „Was die Wissenschaft erreicht, ist auch in der Wirtschaft möglich“, glaubt die ehemalige Bayerische Wissenschaftsministerin. Petra Justenhoven, Vorstandsmitglied von Price Waterhouse Coopers Deutschland, ergänzt, dass keines der Dax-Unternehmen einen weiblichen CEO habe. Um dem entgegenzuwirken, trat am 1. Mai 2015 das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in der Wirtschaft in Kraft. Die Gesetzgebung allein reicht aber nicht aus, und so müssen genaue strategische Herangehensweisen ermittelt werden.
Finanzielle Sanktionen als Druckmittel
Laut Justenhoven sei es förderlich, beispielsweise in Unternehmensvorständen gemischte Teams aus Männern und Frauen zu bilden. Gemeinsam könne man innovative Ideen entwickeln und eine gute Zusammenarbeit sei garantiert: „Der Anspruch muss praktische Realität werden.“ Gerechte Verteilung müsse standardisiert sein und nicht aus Pflicht heraus geschehen. Weibliche Wirtschaftsvorstände sollten nicht das Gefühl haben, nur eine Quotenfrau zu sein. „Die wirkungsvollste Methode, um die Forderungen der Bundesregierung erfolgreich umzusetzen, ist die Sanktionierung“, sagt Margit Weber. Die beste Sanktion sei hierbei das Geld, so die Frauenbeauftragte der LMU und Sprecherin der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Bayerischen Hochschulen.
Die in der Gesellschaft verankerte Behauptung, Frauen würden sich nicht genug anstrengen und deshalb so selten Karriere machen, stimmt nicht. Es liegt viel eher an der bisher vorherschenden Struktur. Immerhin müssen Mütter, die im Job aufsteigen wollen, es schaffen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Dafür müssten bessere Strukturen geschaffen werden, wie beispielsweise eine bessere Regelung der Elternzeit: „Es muss für die Familie passen und für sonst niemanden“, sagt Justenhoven. Ein Blick auf verschiedenste Statistiken zu diesem Thema zeigt: Es gibt viele Bereiche, in denen der Frauenanteil noch gesteigert werden kann. Doch manchmal ist das auch positiv: „Sechs Prozent der gefangenen in Deutschland“, sagt Karl Huber, „sind Frauen, diese Zahl sollte eher nicht erhöht werden.“
Männer haben Angst vor Konkurrenz
Gegen Ende der Diskussion kommen Margit Weber und Petra Justenhoven auf eine kontroverse Statistik zu sprechen, die eine etwas andere Auswirkung der Debatte zeigt: Laut jener Statistik fühlen sich 41 Prozent der Männer in Deutschland durch die aufkommende Debatte zur Geschlechtergerechtigkeit bedroht. Es spiegelt sich darin die Angst vor Konkurenz wider. Und dabei bleibt noch viel zu tun, bis eine vollständige Gleichstellung zwischen Mann und Frau erreicht ist.
Nun kommt es darauf an, die Geschlechtergerechtigkeit nicht nur als bloße Theorie zu verstehen, sondern auch in der Praxis umzusetzen. Und wer weiß, vielleicht ist sie in 100 Jahren bereits zur Normalität geworden, sodass man sich anderen Themen widmen kann.