Knapp 2.000 Seniorenstudierende sind dieses Semester an der LMU immatrikuliert. Was trennt die Alten und die Jungen – und was verbindet sie? Ein Porträt über den Gegensatz zwischen den Generationen.
Von Katharina Horban
Der Hörsaal wird immer voller, die Reihen füllen sich und eine ältere Dame in einem hellblauen Pulli wendet sich mit ihrem Handy in der Hand an eine Studentin in der Reihe hinter ihr. Zwischen den beiden liegen locker 50 Jahre Altersunterschied. Thema des Gesprächs ist das LSF und wie man denn nun an die Folien der Vorlesung komme. Der Gegensatz zwischen Jung und Alt macht sich genau in solchen Details bemerkbar: Ein Mann mit schlohweißem Haar sitzt im bis auf den letzten Platz gefüllten Hörsaal in der hinteren Hälfte. Er hat Schwierigkeiten, die Präsentation der Professorin zu lesen – hat aber bereits die Lösung des Problems in der Hand: ein Opernglas.
Situationen wie diese kennt Elisabeth Weiß nur zu gut. Die emeritierte Professorin für Molekulare Humangenetik ist seit 2013 Leiterin des Zentrum Seniorenstudium und dieses Wintersemester zuständig für knapp 2.000 Seniorenstudierende. Traditionell gibt es im Winter immer mehr Seniorenstudierende als im Sommer, denn dann sind andere Dinge wie Reisen oder auf die Enkel aufpassen wichtiger. Das Zusammenspiel zwischen den Generationen funktioniere gut, man habe sich nach mittlerweile drei Jahrzehnten gut aneinander gewöhnt.
Bei zu großem Andrang entscheidet das Los
Im Jahr 1987 wurde das Programm von dem Theologen und Philosophen Eugen Biser gegründet und die ersten zwanzig Jahre von ihm geleitet. Seit der Jahrtausendwende wird das Programm fakultätsübergreifend betreut, jedes Semester gibt es diverse Vortragszyklen und Seminare, ergänzend zum regulären Lehrangebot. Literatur, Geschichte und Philosophie sind laut Weiß in der Regel beliebter als „Hardcore-Naturwissenschaften“ wie Physik und Statistik. Aber auch dort würden die Alten den Jungen nicht die Plätze wegnehmen – bei zu großem Andrang entscheidet das Los.
„Das Entstehen der Bundesrepublik Deutschland habe ich als Gymnasiast miterlebt“, erzählt Peter Summerer kurz vor Beginn der Vorlesung über das politische System Deutschlands. Deswegen hat er sich diese Veranstaltung ausgesucht, das Interesse am Vorlesungsstoff ist bei ihm also wirklich persönlich bedingt: „Dieses Thema stellt meinen Lebenslauf dar.“ Mit 55 in Rente gegangen, ist der pensionierte Pilot seit 1994 als Seniorenstudent immatrikuliert. Und ist sich sicher: „Das Leben ist für mich noch nicht zu Ende. Da hat man noch Pläne.“ Von Psychologie über Europapolitik bis Kunstgeschichte stand auf seinem Stundenplan schon so einiges in den vergangenen Jahrzehnten, denn der 80-Jährige will nicht so dahinleben. Ein Blick auf das Klappbrett an seinem Platz: Eine kleine schwarze Tasche, aus der ein Kugelschreiber hervorragt. Ein Notizbuch, dessen erste Seiten eng beschrieben sind. Von Power-Point-Präsentationen hält er wenig, das Mitschreiben sei immer noch die beste Lernmethode.
Eine etwas edle Freizeitbeschäftigung
So zeigen sich die Gegensätze zwischen den Generationen, wie auch Elisabeth Weiß aus ihrer Erfahrung zu berichten weiß. „Es ist anders“, bringt sie es auf den Punkt. Die Senior*innen seien weniger flexibel, bei ausfallenden Veranstaltungen komme es auch mal zu Irritationen: „Die Jungen nehmen das einfach hin.“ Das Unileben spiele sich in der Vorstellung der Seniorenstudierenden im Univiertel in der Innenstadt ab, Vorlesungen dürften nur im Hauptgebäude stattfinden. Denn im Anschluss würden sich viele mit befreundeten Seniorenstudierenden in umliegenden Cafés verabreden.
Nach Martinsried oder Großhadern wollen die wenigsten fahren. Außerdem hat Weiß aus ihren Vorlesungen in der Biologie die Erfahrung gemacht, dass sie den Senior*innen das Wissen anders vermitteln müsse. „Ich kann nicht so tief in die molekularen Grundlagen einsteigen“, erklärt sie. Der Mittelweg zwischen Jung und Alt sei nicht immer einfach zu finden, weshalb sie jetzt eine Vorlesung nur für Seniorenstudierende anbiete.
Barbara Sternischa und Lieselotte Birgmeier haben es eilig und bitten, das Gespräch in den nächsten Hörsaal zu verlegen. Zielstrebig gehen sie durch das Hauptgebäude, Treppen rauf und runter. Beim ersten Blick in den abfallenden Hörsaal überwiegt die Anzahl der „grauen Wölfe“, wie Sternischa ihre Kommiliton*innen scherzhaft nennt. In der Vorlesung in Neuester Geschichte geht es um die Weimarer Republik. Die zwei kennen sich seit 64 Jahren. Birgmeier ist seit zehn Jahren dabei und für Sternischa ist es das erste Semester als Seniorenstudentin. Und beide finden es erfrischend, dass sie bei ihrer „etwas edlen Freizeitbeschäftigung“ an der Universität oft inmitten von jungen Leuten sind.