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Reden und reden lassen?

Über die Rede- und Forschungsfreiheit an Universitäten wird derzeit viel diskutiert. In einem gemeinsamen Gespräch reflektieren die LMU-Mitarbeitenden Marcel Dann, Postdoktorand am Lehrstuhl für Botanik, und Paula-Irene Villa Braslavsky, Lehrstuhlinhaberin für Soziologie und Gender-Studies, ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema und positionieren sich in der Debatte. 

Gesellschaftliche Trends schlagen sich in den Inhalten und der Art der Kommunikation in Uniräumen nieder. Stark diskutiert wird dabei das Thema der Rede- und Forschungsfreiheit. Foto: jarmoluk/pixabay

Von Felix Meinert

Studierende hindern Bernd Lucke an seiner Antrittsvorlesung an der Uni Hamburg; die britische Regierung plant Gesetze gegen eine sogenannte Cancel Culture in Universitäten – die Debatte zur Redefreiheit, die zunehmend auch Universitäten in den Fokus rückt, wird seit geraumer Zeit auf polarisierende Weise geführt. Dabei werden solche Vorfälle häufig exemplarisch angeführt, um eine komplexere Diskussion zuzuspitzen. Die einen nehmen eine Einschränkung der Rede- und Forschungsfreiheit durch moralische Imperative wahr, andere wollen liberale, progressive Werte verteidigen und diskriminierenden Stimmen keine Plattform schenken. Derartige Dichotomien helfen jedoch selten weiter, die Positionen der Diskursteilnehmer*innen zu verstehen.

Auch unter Wissenschaftler*innen der LMU wird das Thema unterschiedlich wahrgenommen. Marcel Dann, Postdoktorand am Lehrstuhl für Botanik, ist Mitglied des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, welches ideologisch motivierte Einschränkungen der Freiheit von Lehre und Forschung ablehnt. Paula-Irene Villa Braslavsky ist Lehrstuhlinhaberin für Soziologie und Gender-Studies. In einem gemeinsamen Gespräch reflektieren sie ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema und positionieren sich in der Debatte.

Ihre unterschiedlichen fachlichen Hintergründe bewerten die beiden dabei als weniger ausschlaggebend dafür, wie sie Konzepte der Wissenschaftsfreiheit interpretieren. Eine scharfe Trennlinie zwischen Sozial- und Naturwissenschaften gebe es nicht. Dennoch räumt Marcel Dann ein, als Naturwissenschaftler spüre er die Folgen gesellschaftspolitischer Diskussionen, wie jener der Redefreiheit, eher peripher. Für das Anliegen könne er sich trotzdem einsetzen, auch weil moralisierende Tendenzen weiter zunehmen könnten. Die sozialen Normen der Zeit seien in seinem Alltag aber vor allem bei der Formulierung von Stellenausschreibungen oder Fragen der Verteilung von Fördergeldern von Bedeutung. In diesem Kontext entgegnet Villa Braslavsky, die Vergabe von Geldern für die Forschung orientiere sich durch die etablierte Peer-Review keineswegs an normativen, sondern an qualitativen Standards.

„An welchen Orten führen wir welche Gespräche?”

Die Soziologin betont außerdem, dass Forschungsfragen und -persönlichkeiten ständig im historischen Kontext ihrer, aber auch unserer Zeit neu gedacht werden müssen. „Ich hoffe, dass wir alle immer wieder aufs Neue fragen, wie wir lehren und den Kanon neu beleuchten und erweitern“, sagt sie. Schließlich ist der breitere öffentliche Diskurs auch für die universitäre Diskussionskultur von Bedeutung. Gesellschaftliche Trends schlagen sich in den Inhalten und der Art der Kommunikation in Uniräumen nieder. Dass man Wissenschaft aber nicht mit Gesellschaft und den darin herrschenden politisch-moralischen Bewertungen verwechseln dürfe, sehen beide Dozierenden gleich. Auch deshalb macht Marcel Dann mit Blick auf Formulierungen von Forschungsgegenständen in der Uni eine für ihn wichtige Unterscheidung: „Definitionsschärfe ist in der Wissenschaft absolut unabdingbar. Wie genau man aber Konzepte sprachlich kommuniziert, sollte man, denke ich, so freihalten, wie es nur geht.“

Die Trennung der Systeme Politik und Wissenschaft wird für Villa Braslavsky vor allem in einem anderen Aspekt wichtig. „Alles ist Thema der Wissenschaft und sollte es sein“, sagt sie. „Das heißt nicht, dass wir Personen, die etwa anti-demokratische oder rassistische Positionen vertreten und verkörpern, in die Uni einladen müssen.“ Dass Studierende gegen eine solche Veredelung dieser Personen protestieren, bedeute nicht, dass sie sich nicht mit den Inhalten auseinandersetzen. „Niemand soll das Gespräch verweigern. Die Frage ist nur, an welchen Orten führen wir welche Gespräche“, betont die Soziologin und bezieht sich auf die verschiedenen Logiken, die die Universität und die politische Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft erfüllen.

Ihr Kollege Dann sieht dies als Plattformentzug und fürchtet, dies könnte dazu führen, dass bestimmte Positionen nicht mehr vertreten werden und Forschung, die häufig auf Drittmittel angewiesen ist, nicht mehr betrieben wird. Villa Braslavsky lehnt eine auf Drittmittel konzentrierte Konformität, jede beliebige Fachperson als Gastredner*in einzuladen, ab. Dann entgegnet: „Persönlichkeiten im universitären Kontext als diskursunwürdig abzustempeln, wirkt sich auf ihre Möglichkeiten aus, weiterhin ihre Positionen zu entwickeln.“ Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz sei für ihn dabei die nicht-verhandelbare Grenze. Subjektive Bewertungen, sagt Dann, halte er für ungeeignet, um Personen eine Plattform zu verweigern. 

Universität und Öffentlichkeit

Die Universität ist und bleibt eine Stätte der Wissensproduktion. Hat sie als solche eine besondere Verantwortung für das gesellschaftliche Diskussionsklima? Dann glaubt, die Uni werde sich auch in Zukunft eher am gesellschaftlichen Diskurs orientieren müssen als umgekehrt. Der Versuch, einen Standard vorzuleben, der im weniger akademisierten Teil der Gesellschaft kaum reproduzierbar sei, trage nur zu einer Spaltung bei. Man fange sich den Vorwurf des Elfenbeinturms ein. Villa Braslavsky ruft zu mehr Selbstbewusstsein auf, wissenschaftliche Praxis zu verteidigen: „Es braucht auch den Elfenbeinturm.“ Nur dieser ermögliche es, Fragen aufwerfen zu können, die an keiner anderen Stelle der Gesellschaft gestellt und beantwortet werden können. 

Wegen des Wechselspiels zwischen Universität und Öffentlichkeit wird auch in Zukunft die Debatte um Redefreiheit an und in der Uni geführt werden. Das ist unter Umständen auch notwendig und kann belebend auf die Interaktion wirken. Der gemeinsame Austausch, die ständige Neubewertung der herrschenden und der wünschenswerten Verhältnisse, wie auch die Einsicht, dass es trotz aller Differenzen gemeinsame Schnittmengen gibt, können wichtige Schritte für einen offenen, inklusiven Diskurs sein. In der Uni und außerhalb.

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