Unileben

„Turing Scheme“ statt Erasmus – Was wird aus dem britisch-europäischen Austausch?

Das Erasmusprogramm hat bereits tausenden Studierenden Austausche ins europäische Ausland ermöglicht. Trotzdem stieg Großbritannien im Zuge des EU-Austritts aus dem Programm aus. Eine weitere umstrittene Entscheidung der britischen Regierung, die Fragen offenlässt. 

Großbritannien verabschiedet sich vom Erasmus-Programm. Foto: Anne Pechtold

Von Anne Pechtold 

Die Vorbereitungen für meinen Auslandsaufenthalt 2020/21 an der University of Exeter wurden nicht nur von einer weltweiten Pandemie durchkreuzt, sondern auch die Auswirkungen des Brexits auf das Erasmusprogramm sollten mich beschäftigten. Als
ich meine Bewerbung im Januar 2020 abgab, war noch nichts entschieden, aber sowohl die Erasmusbeauftragten der LMU als auch Boris Johnson strahlten bezüglich des Verbleibs Großbritanniens im Programm große Zuversicht aus – zu groß seien die Vorteile für britische Studierende. Bald stand für mich zumindest fest, dass mein Jahrgang und der Folgejahrgang noch ein reguläres Erasmusjahr in Großbritannien verbringen konnten. Doch was sollte aus denen werden, die nach uns kommen würden? 

Unverständnis auf beiden Seiten 

Das Personal der University of Exeter habe auf den Austritt vor allem enttäuscht reagiert, berichtet Steve Bassett, der dort als Berater für globale Entwicklungen tätig ist. Die Universität sehe sich als europäische Institution und Erasmus habe dazu beigetragen, dass Exeter sich als Teil eines großen Ganzen, als Teil Europas, fühlen konnte. Auch Jean Schleiss, Erasmus+ Institutional Coordinator und stellvertretende Leiterin des Referats Internationale Angelegenheiten an der LMU, sagt, sie sei vom Austritt geschockt gewesen. Großbritannien sei schon immer ein beliebtes Zielland für LMU-Studierende gewesen, was wohl an der Sprache, aber auch an den Top-Universitäten mit ihrem einzigartigen Betreuungssystem liege. Claudia Wernthaler, zuständig für die Auslandsstudienberatung und das Erasmus+ Outgoing, berichtet, dass jährlich etwa 150 Studierende der LMU die Chance ergriffen hätten, ein Jahr frei von Studiengebühren auf der Insel zu verbringen. Und wer schon einmal in einem Seminar einen englischen Muttersprachler hitzig über seine Lieblingspoetin hat diskutieren hören, kann schlecht abstreiten, wie viel auch die Incoming-Studierenden zur Atmosphäre und Vielfalt in München beigetragen haben. 

Dass das Erasmusprogramm auch seine Schwachstellen hat, leugnet niemand, doch Bassett befürchtet, dass es kaum zu überbieten sein werde. Genau das versucht Großbritannien jetzt mit dem neu ins Leben gerufenen sogenannten Turing Scheme. Das Programm nimmt sozial benachteiligte Studierende stärker in den Fokus und will diese mit höheren Förderungen und einer kürzeren Mindestdauer entlasten. Universitäten müssen außerdem bestimmte Nachhaltigkeitsziele erfüllen, um an Finanzierungsmittel zu gelangen. Exeter will beispielsweise Studierende dazu motivieren, mit dem Zug statt mit dem Flugzeug ins Gastland zu reisen. Wie gut sich diese Nachhaltigkeitsziele erfüllen lassen, bleibt abzuwarten, da das Turing Scheme nicht wie Erasmus auf Europa beschränkt, sondern weltweit angelegt ist. Vom Turing Scheme kann allerdings nur profitieren, wer an einer britischen Universität studiert. Es ist also kein „Austauschprogramm“ im klassischen Sinne, sondern ein einseitiges Finanzierungssystem. Da bleibt bei all den Verbesserungsansätzen eine wichtige Frage offen: Wer zahlt von nun an die Austauschkosten seitens der EU? 

Eigenengagement der Universitäten 

An Interesse am Studium in Großbritannien vonseiten der EU-Studierenden werde es nach Claudia Wernthaler aufgrund des besonderen Lehr- und Betreuungsangebotes britischer Universitäten und Metropolen wie London nämlich nicht mangeln. Jean Schleiss erzählt, dass deshalb viele britische Universitäten gewillt seien, bilaterale Austauschabkommen zu schließen und versichert, sie werde nur Verträge unterschreiben, die den Erlass der Studiengebühren vorsehen. Für die Lebenshaltungskosten müsse man neue Wege finden. Während Aufenthalte in Nordirland finanziell von Irland unterstützt würden und auch die walisische Regierung schon Gelder zugesichert habe, gestalte sich die Situation in England und Schottland schwieriger. Potenzielle Geldquellen könnten der international einsetzbare Teil (20%) des Erasmus-Budgets sein oder das PROMOS-Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) – das müsse man alles mit der Zeit sehen. 

Es ist also wahrscheinlich, dass Studierende auch zukünftig mit einer großen Auswahl an Austauschuniversitäten und einem ähnlich unkomplizierten Bewerbungsprozess rechnen dürfen. Gleichzeitig drohen aber Abzüge bei Fördermitteln und Mehrkosten für Visum
und Krankenversicherung. 

Dass die Abkehr von Erasmus nicht das Ende des britisch-europäischen Studierendenaustauschs bedeuten werde, davon ist auch Steve Bassett überzeugt. Er kann sich aber durchaus vorstellen, dass die anhaltende Unsicherheit erst einmal einige Studierende abschrecken könnte. Er sieht die Universitäten in der Verantwortung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, indem Zugangsmöglichkeiten zu Stipendien eröffnet werden und man bestmögliche Unterstützung beim Austausch anbietet. Die University of Exeter setze zumindest alles daran, einen möglichst nahtlosen Übergang zu gewährleisten. Nachdem ich selbst ein großartiges Jahr in Großbritannien verbringen durfte, hoffe ich deshalb, dass sich jene, die von einem Studienjahr dort träumen, nicht verunsichern lassen – where there’s a will there’s a way. 

 

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