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Literatur ohne Grenzen

Im Universitätsviertel liegt eine einzigartige Buchhandlung für französische und spanische Literatur. Ihre Gründerin Cecilia Estrada will damit einen Ort für sprachliche Vielfalt und kulturellen Austausch bieten.

Vor fünf Jahren eröffnete Cecilia Estrada die Buchhandlung für französische und spanische Literatur. Foto: Florian Kappelsberger

Von Florian Kappelsberger

‚LIBRERIA‘ steht in dunkelblauen Großbuchstaben auf dem Schild, darunter etwas kleiner in weißer Schrift: ‚LIBRAIRIE‘. Bei einem Spaziergang durch die Maxvorstadt stolpert man vielleicht über diese beiden Wörter, die in der Kulisse der Georgenstraße hervorstechen. Dahinter entdeckt man eine kleine Buchhandlung für französische und spanische Literatur – genau genommen: zwei Buchhandlungen, wie die Besitzerin Cecilia Estrada erklärt. Denn auch wenn sich die Librairie française und die Librería Española im selben Raum befinden und ihre weißen, sorgfältig sortierten Regale nebeneinander stehen, haben sie doch zwei völlig unterschiedliche Kund*innenkreise, zwei separate Websites, zwei verschiedene Charaktere.

Fremdsprachige Buchhandlungen haben eine lange Tradition in München, Läden für englische, französische, spanische oder italienische Literatur waren stets ein Teil des Universitätsviertels. Innerhalb der letzten Jahre ist diese Vielfalt allerdings mehr und mehr verschwunden: Zuerst schloss das Geschäft für spanische Literatur in der Konradstraße, kurz darauf folgte die letzte französische Buchhandlung in der Schellingstraße. Cecilia Estrada empfand dies als enormen Verlust für die Kulturstadt München und entschied sich, zu handeln: Im Januar 2017 eröffnete sie ihren Laden für französische und spanische Literatur.

„Wenn man umzieht, vergisst man die Vergangenheit nicht – man fügt ihr etwas hinzu“

Das Schaufenster der Buchhandlung in der Georgenstraße 43. Foto: Florian Kappelsberger

Es ist in mancher Hinsicht eine ungewöhnliche Konstellation: Estrada ist in Mexiko geboren und hat Physik studiert – unter anderem in Paris, wo sie die französische Sprache und Kultur kennenlernte. Sie kommt also weder aus dem Fach des Buchhandels, noch ist das Französische ihre Muttersprache. Literatur war aber schon immer eine ihrer Leidenschaften, und wenn sie bestimmte Bücher empfiehlt oder die Geschichte ihres Ladens erzählt, merkt man, mit welcher Begeisterung sie dieses Projekt verfolgt. Seit vielen Jahren lebt sie in München, das zu ihrer Heimatstadt geworden ist. Dieser Weg hat auch ihren Blick auf die Welt geprägt: „Wenn man umzieht, vergisst man die Vergangenheit nicht – man fügt ihr etwas hinzu.“ Ihrer Meinung nach sollte man Begriffe wie patrie (Vaterland) aus dem Wörterbuch streichen, Grenzen müssten überwunden werden. Sie sieht ihre Buchhandlung als Ort der Begegnung zwischen unterschiedlichen Kulturen und veranstaltet dort regelmäßig Ausstellungen, Vorträge und Lesungen; all dies ist im Moment aufgrund der Einschränkungen allerdings nicht möglich.

„Die französische Sprache ist größer als Frankreich“

Die Bücher im Sortiment der Librairie française kommen nicht nur aus Frankreich, sondern von überall auf der Welt – etwa aus Kanada, Algerien, Belgien oder Senegal. „Die französische Sprache ist größer als Frankreich,“ betont Estrada. Dasselbe gilt für die Librería Española, in der man neben Literatur aus Spanien auch eine breite Auswahl von Werken aus Lateinamerika findet. Anders als in den Regalen für französische Literatur sind die Bücher hier allerdings nach der Herkunft ihrer Autor*innen sortiert – Argentinien, Chile, Paraguay, Kuba. Dies, so die Besitzerin, liegt einerseits an den sprachlichen Nuancen und Unterschieden, die sich über Jahrhunderte zwischen den Ländern entwickelt haben. Vor allem aber spiegelt es die Vorlieben der Leser*innen, die oft nur Literatur aus ihrem Herkunftsland suchen – oder befürchten, Werke aus anderen Ländern teilweise nicht zu verstehen.

Auch thematisch bietet die Buchhandlung eine enorme Vielfalt: Klassiker wie Dumas oder Cervantes, aber auch neue Romane von jungen Autor*innen; Sachbücher zu Wirtschaft oder Astrophysik ebenso wie Krimis, bandes dessinées, Literatur für Jugendliche und Kinderbücher. Die meisten Kund*innen finden hier Werke in ihrer Muttersprache; sie gehören etwa zu den großen französischen und spanischen Communities Münchens oder kommen aus Québec, dem Kongo, Ecuador oder Kolumbien. Es besuchen aber auch viele Leser*innen den Buchladen, die eine der beiden Sprachen erst später in ihrem Leben erlernt haben und sich besonders für französische oder spanische Literatur begeistern. 

In den Regalen entdeckt man eine große Vielfalt von Autor*innen aus der ganzen Welt. Foto: Florian Kappelsberger

Bereits seit mehreren Wochen muss die Buchhandlung geschlossen bleiben, was Cecilia Estrada vor große Herausforderungen stellt. Neben dem Versand nach Hause bietet sie mittlerweile einen Click&Collect-Dienst an: So können Bücher per Mail oder Telefon bestellt und kurz darauf vor Ort abgeholt werden. Unabhängige Buchhandlungen waren schon vor der Pandemie in einer schwierigen Situation – der Onlinehandel dominiert den Markt, E-Books und digitale Formate werden immer beliebter. Estrada hat den Eindruck, dass sich die aktuelle Ausnahmesituation vielleicht sogar positiv auf die Nachfrage ausgewirkt hat: „Es ist ein Moment des Innehaltens, in dem viele das Lesen wiederentdecken.“ Ob unabhängige Buchläden wie jener in der Georgenstraße 43 auch in Zukunft bestehen, so die Besitzerin, hängt vor allem von den Entscheidungen der Leser*innen ab.

Das Gespräch mit Cecilia Estrada wurde auf Französisch geführt, alle entsprechenden Zitate wurden für die Veröffentlichung ins Deutsche übertragen.

Dieser Text ist der Auftakt zu unserer Lokal-Serie. In loser Folge stellen wir in den kommenden Monaten Geschäfte und Einrichtungen vor, die das studentische München prägen.

coups de cœur / recomendaciones
von Cecilia Estrada

  • Stéphanie Coste: Le passeur, 2021, 136 Seiten.
  • Djaïli Amadou Amal: Les impatientes, 2020, 240 Seiten.
  • Benjamín Labatut: Un verdor terrible, 2020, 224 Seiten.
  • Eduardo Halfon: Canción, 2021, 128 Seiten.

 

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