Nach dem Tod George Floyds organisierten Aktivist*innen weltweit Black-Lives-Matter-Demonstrationen, Tausende folgten den Aufrufen. Eine Aktivistin blickt zurück.
Das Interview führte Scarlett Winter
Es ist mehr als ein halbes Jahr her, dass sich Menschen aus ganz München und Umgebung versammelt haben, um gemeinsam gegen Rassismus und für Gleichberechtigung einzustehen. Die Black-Lives-Matter-Bewegung ist allerdings kein Phänomen des Jahres 2020 und erst recht nicht Rassismus: Die internationale Bewegung gibt es bereits seit 2013 und hat durch die Tode unschuldiger US-Amerikaner*innen nun erneut Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Auch in Deutschland haben Aktivist*innen den traurigen Hintergrund zum Anlass genommen, um gemeinsam zu kämpfen, zu trauern oder die Welt zu verändern. Jennifer ist eine von ihnen.
Erzähl doch etwas über dich: Wie alt bist du? Woher kommst du? Was studierst du?
Ich bin Jennifer, 22 Jahre alt und komme aus Benin. Ich habe etwa fünf Semester Pharmazie studiert und mich dann exmatrikulieren lassen, jetzt studiere ich an der TUM Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre. Nebenbei habe ich an der Grundschule mit Kindern aus sozial schwachen Familien, vor allem mit Migrationshintergrund, gearbeitet. Dort hatte ich auch die Chance, einen Workshop über die Geschichte Afrikas zu veranstalten, die aus viel mehr besteht als aus dem, was die Medien preisgeben oder in Schulen gelehrt wird.
Das klingt echt interessant. Du hast auch bei den Demonstrationen zu Black Lives Matter mitgewirkt. Was waren deine Aufgaben?
Es waren insgesamt zwei Demos, bei denen ich dabei war. Die erste Demo war ein wenig chaotisch, keiner wusste so richtig, wie das denn funktioniert, deshalb mussten wir auch mehrere Aufgaben übernehmen und überall ein wenig mithelfen. Ich war hauptsächlich im Orga-Team, da haben wir uns darum gekümmert, Ordner zu finden, Masken und Desinfektionsmittel zu organisieren sowie eine Bühne. Während der zweiten Demo haben wir die Aufgaben besser aufgeteilt, es waren allerdings sehr anstrengende Wochen. Jeden Tag vier Stunden Zoom-Calls, Präsenz auf Social Media, das war sehr stressig. Auch hier mussten wieder mehrere Leute mehrere Aufgaben übernehmen. Wir arbeiten noch an der Struktur des Ganzen, zum Beispiel möchte ich persönlich den Namen ‚Black Lives Matter‘ nicht beibehalten, da wir damit nicht aus der Opferrolle rauskommen.
Wie kam es dazu, dass du mitgewirkt hast?
Eine Freundin aus der Kirche hat von dem Projekt erzählt und wirkte sehr ausgelastet. Ich habe ihr daraufhin meine Hilfe angeboten. Nach und nach haben wir mehr Leute dazu geholt.
„Es ist ein Unterschied, ob man allein oder mit 25.000 Menschen seinen Schmerz spürt.“
Wie viele Leute waren an den Demos beteiligt?
Es waren etwa zwanzig Kernpersonen, zwar sind immer mehr Menschen dazugekommen, die waren aber eher namentlich präsent und weniger aktiv.
Was waren deine konkreten Ziele, als du dir vorgenommen hast, bei der Demo mitzuwirken? Und was waren deine Erwartungen?
Ich hatte keine konkreten Erwartungen. Für mich ging es darum, gehört zu werden und Menschen eine Stimme zu verschaffen, ihnen die Möglichkeit zu geben, gemeinsam traurig und wütend zu sein. Es ist ein Unterschied, ob man allein oder mit 25.000 Menschen seinen Schmerz spürt. Es war für mich eine reine Herzensangelegenheit, ich glaube nicht daran, dass Demos alles verändern können. Es ging hier eher um emotionale Arbeit.
Bemerkst du eine Veränderung seit den Demos in München?
Ganz ehrlich – nein. Maximal ein bisschen. In Schulen gibt es zum Beispiel eine höhere Anfrage für antirassistische Plakate und Politiker setzen sich damit auseinander. Wobei letzteres wieder so eine Sache ist: Politiker suchen meistens nur effektive Methoden, um Wähler für sich zu gewinnen. Wenn der Trend vorbei ist, ist es ihnen wieder egal. Die Veränderungen sind allgemein mikroskopisch. Wir haben allerdings auch ein sehr kurzes Zeitfenster.
Zeitfenster, was meinst du damit?
Die Zeit, wie lange sich Menschen für ein Thema interessieren, bevor sie sich etwas anderem widmen. Es ist grundsätzlich normal, dass dieses Zeitfenster kurz ist, vor allem während der Corona-Pandemie. Allerdings würde mich wirklich interessieren, wie viele Leute sich nach Corona noch mit Rassismus auseinandersetzen.
Verstehe. Wie sieht es bei den Demos zurzeit aus? Planst du weitere Veranstaltungen?
Derzeit nicht. Wir arbeiten gerade, wie gesagt, an unserer Struktur. Ich persönlich bin zwar dankbar für die Demos, wir konnten viele Leute berühren, aber wegen Corona wären weitere derartige Veranstaltungen nicht produktiv. Wir denken aber über andere Projekte nach. Gerade haben wir noch nichts handfestes, eher grobe Ideen. Ich fände es zum Beispiel wichtig, in Schulen die Geschichte Afrikas zu behandeln. Vor allem, sie korrekt zu thematisieren.
„Rassismus in Deutschland ist oft Alltagsrassismus.“
Erklär mir das bitte etwas genauer.
Das, was in Schulen gelehrt wird, ist zum Teil faktisch falsch. Ein Freund von mir erzählte, er wäre Teil einer Podiumsdiskussion gewesen, in der es hieß, der Kolonialismus hätte viele Vorteile gehabt. Allein sich das anhören zu müssen ist mehr als problematisch. Die Bildung über Afrika stammt aus einem sehr westlichen Bild, sonst würde man nicht behaupten, der Kolonialismus hätte Vorteile gehabt. Nein, es war keine Win-Win-Situation, es haben nicht beide Seiten davon profitiert. Niemand hat den Westen gezwungen, in Königreichen neue Grenzen zu ziehen, Krankheiten zu übertragen oder Menschen ohne Lohn arbeiten zu lassen. Afrika hat durch die Kolonisation nichts gewonnen, das wurde den Menschen dort nur so verkauft. Was nicht in den Schulen gelehrt wird, ist, dass es in Afrika in großen Teilen keine Bronzezeit gab, sondern nach der Steinzeit bereits die Eisenzeit folgte. Oder, dass Afrikaner bereits vor den Griechen eine Menge mathematisches Wissen beherrschten und es ihnen beibrachten. Oder, dass die Idee des Feminismus in Afrika seit Jahrtausenden ein Grundwert ist: Bereits vor Christus waren Frauen in Armeen und haben sogar Königreiche angeführt. Der Westen braucht die Idee vom ‚armen kleinen Afrikaner‘, da er sich sonst eingestehen müsste, dass er für einen der größten Genozide der Geschichte verantwortlich ist.
Berichte mir doch noch bitte, aber nur wenn du möchtest: Wie erfährst du Rassismus in deiner Umgebung? Gibt es bestimmte Ereignisse, die dich geprägt haben?
Rassismus in Deutschland ist oft Alltagsrassismus. Das ist so eine Eigenschaft, die vor allem Deutsche zu haben scheinen: Sie verpacken den Rassismus so klein, dass man sich hinterher fragt, ob man überhaupt etwas dazu sagen darf. Mir passieren häufig so Dinge wie angestarrt werden, Anfassen der Haare oder wenn man zum Beispiel vor der Kasse steht und angewidert angesehen wird, als könne man sich das eh nicht leisten, obwohl man schon mit der Karte bezahlt hat. Mein älterer Bruder wurde einmal vor einem Club von sechs Leuten zusammengeschlagen, das ist mir zum Glück nicht passiert. In der Schule hatte ich jedoch zwei sehr prägende Erfahrungen.
„Geschichte ist auf ihrer Haut tätowiert, mehr als das, was in den Geschichtsbüchern steht.“
Wie sahen diese Erfahrungen aus?
Bei der ersten haben zwei Mitschüler ein Referat über den Ku-Klux-Klan gehalten, woraufhin der Lehrer in Geschichte meinte, die Wahl des Themas sei aufgrund meiner Anwesenheit unverschämt. Wieso konnte er das den Referenten nicht vorher sagen? Ich persönlich weiß nicht einmal mehr, ob das Referat so störend für mich war. Der Lehrer jedoch hat mir das Gefühl gegeben, ich sei anders und es müsse mich deshalb stören. Er hat mich regelrecht bloßgestellt. Die zweite Erfahrung handelt auch von einem Lehrer, der während einer Debatte meinte, die Afrikaner seien selbst am Kolonialismus schuld. Meine Argumente wurden nicht für voll genommen, obwohl ich sachlich diskutiert habe. Der Lehrer hat mich wie ein Kind behandelt und seine Position lediglich weiter ausgeführt.
Was würdest du vor allem sehr jungen Menschen sagen, die ihre ersten Erlebnisse mit Rassismus machen und darunter leiden?
Ich weiß nicht, ob ich etwas sagen könnte, was ihnen den Schmerz nimmt. Man wird von klein auf von den Eltern darauf vorbereitet, dass man wegen seiner Hautfarbe beleidigt wird, egal, was man tut. Vielleicht würde ich ihnen sagen, dass sie ihren Wert und ihre Identität selbst definieren. Ich würde die Kinder versuchen, daran zu erinnern, wie schön sie sind und wie viele Möglichkeiten sie im Leben haben. Das, was ich mir am meisten für alle schwarzen Menschen wünsche, ist, dass sie einen stolz für ihre Farbe entwickeln. Geschichte ist auf ihrer Haut tätowiert, mehr als das, was in den Geschichtsbüchern steht. Wenn sie das sehen, können sie vielleicht eine Liebe für ihre Herkunft entwickeln.