Interview Kulturphilter Online

Kunst machen oder Gemüse

Egal ob in den Stücken Fassbinders, Heiner Müllers oder zuletzt als Mephisto in Goethes Faust – Bibiana Beglau schlägt das Münchner Theaterpublikum in ihren Bann. Mit Philtrat spricht sie über Herzkranzverfettung, Affenbrotbäume und Giraffengeburten. Und über Theater.

REISE ANS ENDE DER NACHT/Residenztheater
Foto: Matthias Horn/ Residenztheater

 

Mit bedingungsloser Hingabe an jede Rolle ist die 1971 geborene Schauspielerin zu einem Star der deutschen Theaterszene aufgestiegen. Seit 2011 ist sie Ensemblemitglied des Residenztheaters und aus Münchens Theaterszene nicht mehr wegzudenken. Für ihre Arbeit in Film und Fernsehen bereits vielfach ausgezeichnet, wurde sie von der Fachzeitschrift Theater heute im August zur Schauspielerin des Jahres 2014 gekürt.

Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung als Schauspielerin des Jahres! In Kritiken wird oft bejubelt, wie sehr Du Dich zur Verfügung stellst –

Ja, was absurd ist in dem Beruf! Dass Kunst es bedingt, dass man sich in ihr verschwendet, das scheint in der Schauspielerei nicht angekommen zu sein. Wenn es in einer Kritik heißt: „Da verschwendet sich jemand in der Kunst“, denke ich: Was denn sonst? Das ist in der Schauspielerei doch nicht vorgesehen, dass man sagt: „Aua, das tut mir weh, ne, oh …“! Ja, dann such dir einen anderen Job, mal ein Bild oder was auch immer. Aber auch wenn du ein Bild malst, hast du mit giftigen Farben zu tun. Kunst machen oder Gemüse, das ist halt die Frage.

Hast Du keine Angst, dich als Privatperson dahinter zu verbrauchen?

Ja, und? Wir beißen alle über kurz oder lang ins Gras. Ein Tänzer ist mit 30 durch. Außerdem, was sind wir für eine bescheuerte Gesellschaft, wir kommen mit einem unglaublichen Schmerz aus Mutti raus und hinten steht die Kiste. Was soll man denn in der Zwischenzeit machen? Auf sich aufpassen? Warum?

Was macht Dich stolz, wenn solche Kritiken das nicht tun?

Wenn man das höchste Maß an Ehrlichkeit erreicht, in dem, was man gerade tut. Wenn die Literatur sich durch einen selber möglichst ehrlich ab- und ausdrückt.

Du sprichst auch oft von unserer „befriedeten Gesellschaft“ –

Ja, genau, die kotzt mich vielleicht an. (Lacht.)

Aber was genau ist denn an uns befriedet?

Alles! Ich will mich nicht verbrauchen, ich muss Wellness machen, ich muss dringend in den Urlaub. Die Leute werden alle fetter, gemütlicher und sterben an Herzkranzverfettung. Aber wir erschrecken, wenn es eine Gruppe gibt wie den IS, wo Leute sagen: „Ich halte es nicht mehr aus!“ Die folgen keiner Religion, die folgen einem Leben, das verspricht: „Du kannst in einer anderen Welt ein Held sein.“ Diese Menschen scheinen an eine Art Befreiung zu glauben. So, wie es aussieht, befreien sie sich dann meist selbst vom eigenen Leben.

Hast Du selbst nie Sehnsucht nach Befriedung, nach Trägheit?

Ich will nicht von jedem verlangen, Künstler zu sein, aber wenn man sich entscheidet, in so einem Beruf zu arbeiten, muss man sich davor hüten. Oft ist es halt so ein Nicht-Nach- und Nicht-Vordenken, und die Kunst dümpelt subventioniert vor sich hin. Aber in einer Inszenierung wie Zement von Dimiter Gotscheff…

der das Stück 2013 am Residenztheater inszenierte …

… da spürt man, die Leute sind hin und weg, weil sie ein Werk sehen, nicht einen schön gelungenen Theaterabend. Was soll das auch sein? Schöne Unterhaltung? Wir unterhalten uns so viel, warum schreit, warum flüstert keiner? Die Nulllinie wird mit einer viel zu hohen Gutbewertung akzeptiert, die Amplitude ist nicht mehr drin.

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