Kulturphilter Online Stadtplan

Du willst mich wohl nöcken!

Pferde können nicht nur braun und schwarz, sondern auch gelb, rot und grün sein und trotzdem – oder gerade deswegen –  sehr beeindruckend. Münchner Kinder lernen das bereits in der Grundschule, wenn sie mit ihrer Lehrerin ins Lenbachhaus gehen – so wie 1997 die Klasse 2e der Rotbuchenschule. Damals blieb ein Kind, natürlich aus Interesse an den Bildern und nicht etwa, weil es „dramhappad“ (dt.: traumtänzerisch) war, hinter der Gruppe zurück. Plötzlich stand es vor dem Bild „Der Tänzer“ von Alexej von Jawlensky. Wer das Bild nicht gleich vor sich sieht, der kann sich glücklich schätzen – und möge es sich geschwind mittels Suchmaschine zu Gemüte führen. (Das Bild wirft nicht nur zart besaitete Siebenjährige aus der Bahn.) Egal, welche Traumata, Glücksmomente oder langweilige Kunststunden man mit dem „Blauen Reiter“ verbindet, als Durchschnittsstudent kann man der Künstlergruppe mindestens ein blaues Pferd zuordnen, und, wenn man sich für die Materie mehr interessiert, vielleicht noch die ein oder andere gelbe Kuh.20150125_Macke-Marc_Preview_64_gross

Die Sonderausstellung im Lebachhaus bleibt dem Untertitel „Eine Künstlerfreundschaft“ treu und erwähnt die Formation „Der blaue Reiter“ nur am Rande. Der Schwerpunkt liegt auf der gegenseitigen Inspiration der jungen Künstler. Ihre Freundschaft zerbricht erst durch den Tod der beiden im ersten Weltkrieg, Macke fällt 1914 bei Perthes-lès-Hurlus, Marc 1916 bei Verdun. Vor allem aber zeigt die Ausstellung im Kunstbau die Entwicklung und Leidenschaft zweier junger Menschen: Der eine, August Macke, ist schnell für neue Formen zu begeistern und traut sich an Farben, die für den sieben Jahre älteren Franz Marc zur gleichen Zeit noch unvorstellbar sind, bevor dieser später selbst blaue Fabelwesen und grüne Gazellen malt. Schließlich spielt er abstrakte Formen in grellen Farbtönen gegeneinander aus.

Im Zweistundentakt gibt es eine offene Führung durch die Ausstellung. Natürlich ist die Riesengruppe immer da, wo man selbst gerade ein Bild anschauen möchte. Der Kunstkenner steht vor Marcs gelbem Tiger und erläutert, gerade so laut, dass man neugierig wird, aber auch so leise, dass man nicht in betont desinteressierter Entfernung mithören kann, die Entwicklungsschritte Marcs zwischen den Jahren. Während die Gruppe zum nächsten Bild wuselt, kann man sich den berühmten Tiger näher anzuschauen: Warum ist der jetzt gleich wieder gelb? Zwei Stunden hat man Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn die nächste Gruppe kommt bestimmt. Vielleicht wäre es gar nicht so blöd, zu warten und von Anfang an zuzuhören. Aber die Ausstellung ist so groß, und der Tiger ist ja nur ein Bild.Marc_RehimKlostergarten_1912_c_Lenbachhaus_gross

Die Künstler reagieren auf die Eindrücke ihrer Reisen und Begegnungen unterschiedlich schnell, nähern sich aber in den Ergebnissen verblüffend an: Marc bleibt den Tierbildern zwar treu, abstrahiert sie aber immer mehr, seine Hintergründe werden den kantigen Formen Mackes mit der Zeit ähnlicher. Wenn sie sich über einen längeren Zeitraum nicht sehen, schreiben sie sich Briefe, die sogar von der Front noch Humor beweisen: „Du willst mich wohl nöcken mit Deinem Schrei nach einem Kunstbrief?“, fragt Marc auf das Bitten des Freundes hin. Der letzte Bereich im Kunstbau zeigt abstrakte Gemälde von Franz Marc, die nicht nur vom Kubismus beeinflusst scheinen, sondern auch vom Mut des verstorbenen Freundes zu krassen Farben.

Was hätten die beiden Künstler August Macke und Franz Marc noch alles gelernt, gelehrt und gemalt, wenn es keinen Krieg gegeben hätte, oder sie den ersten Weltkrieg überlebt hätten? Hätten sie zu Lebzeiten in Deutschland – oder Europa – einen Kunstbegriff und ein Schaffen verteidigen können, das bereits 1910 auf Unverständnis traf?

Macke_Selbstportraet_Hut_1909_c_Kunstmuseum_Bonn_grossAnstatt zu bedauern, dass die beiden Künstler August Macke und Franz Marc zu früh gestorben sind – der eine mit 27, der andere mit 36 Jahren – kann man sich in dieser Ausstellung davon überzeugen, dass sie gerade (noch) zur richtigen Zeit geboren sind. In Franz Marcs Nachruf auf August Macke fühlt man sich als Besucher an den Anschlag auf die Pariser Karikaturisten im Januar erinnert: „Wie viele und schreckliche Verstümmelungen mag dieser grausame Krieg unserer zukünftigen Kultur gebracht haben!“ Oder, wie Nick Drake, der genau 60 Jahre nach August Macke und im gleichen Alter starb, es ausdrückte: „So verlasse ich diesen Weg, der mich zu etwas macht/ das ich eigentlich nicht sein will.“

Ein sonntäglich zurechtgemachter Mann mittleren Alters betrachtet eingehend ein bekanntes Bild Franz Marcs, seine Begleiterin sieht aus, als würde sie am liebsten auf ihrem Audioguide eine Shopping-App installieren. Gut gelaunt raunt er ihr zu: „Du die gelbe Kuh, die sieht so richtig fröhlich aus.“ Meinetwegen, wenn man das von der Ausstellung mitnimmt, bitte sehr. Es gibt aber doch noch so viel mehr.

 

„August Macke und Franz Marc. Eine Künstlerfreundschaft“ ist noch bis zum 03. Mai 2015 im Kunstbau zu sehen. Näheres zur Ausstellung, Öffnungszeiten und Preise gibt es auf der Website des Lenbachhauses.

Fotos: Lenbachhaus

 

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...