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Astra-Ärsche

Während ganz Deutschland von Partenkirchen bis Brunsbüttel langsam aber bestimmt die geschmacklose Weihnachtsbeleuchtung in den einschlägigen Einkaufspassagen der Städte anbringt und man sich mit wohliger Seeligkeit auf die Glühweinsaison freut, macht eine Biermarke im hohen Norden auch in diesem Jahr auf anti und verkauft ihr Hopfengebräu extra frostig: Astra arschkalt.

Und es wäre nicht Astra, wenn der Arsch nicht wörtlich genommen würde. Denn die Brauerei aus St. Pauli blickt auf eine lange Tradition von grenzwertigen Werbekampagnen zurück, die auch dem aktuellen Plakat alle Ehre macht. Drei nackte Hinterteile mitsamt zugehörigen jungen, schönen Menschen (aber – logisch – nur von hinten), zwei davon männlich, zieren derzeit U-Bahn-Höfe, Litfasssäulen und Stromkästen im ganzen Land. „Hauptsache arschkalt“ wird darüber verkündet, in der altbewährten Astra-Blockschrift, weiß auf rotem Grund. Wegsehen kann man da wie üblich nicht, egal ob man die entblößten Pos jetzt attraktiv, vulgär oder einfach nur doof finden mag. So war das auch schon bei Plakaten mit Slogans wie „Irgendwo muss der Text ja stehen“, dekorativ über den Brüsten einer ansonsten nackten Blondine arrangiert, „Neu: Der Astra Tatsch-Screen“ (wieder Hintern, dieses Mal in engen Metallic-Hotpants) oder „Endlich mal Werbung ohne nackte Haut“ mit ganzkörpertätowierter Frau (nackt, eh klar). Auch für das weibliche Amusement ist gesorgt, wenn auch quantitativ weit weniger: „Bitte beachten Sie auch das Bier“ über Surferboy mit Waschbrettbauch.

(c) Holsten Brauerei AG

Sexistisch ist das alles, keine Frage. Und ein seltsames Bild von Arbeiter-Romantik wird da vermittelt, auch klar. In dem Zuge wird sich auch über die Bourgeoisie lustig gemacht, wie bei dem Plakat mit zwei Tennis spielenden, rosa Poloshirts tragenden Schnöseljungs, auf dem vor Schlägertypen gewarnt wird. Das nennt Zeit-Autorin Nina Pauer in einem Artikel von März 2013 „soziale Abgrenzung nach oben“. Transportiert werde der „Charme des Rauen, zwischen Maloche und Vergnügen, zwischen Elbcontainer und Reeperbahn.“ Genau damit scheinen die Astra-Werber Erfolg zu haben, keinesfalls nur beim Bauarbeiter oder der Nagelstudio-Besitzerin (man verzeihe die banale Stereotypisierung an dieser Stelle), sondern eben auch bei der Studenten-WG oder dem hippen Musiker-Pärchen. Das Kiez-Bier ist schon längst nicht mehr nur in Hamburg Kult: Jedes Jahr am 27. Juli wird dort der Welt-Astra-Tag begangen, der sich großer Beliebtheit erfreut.

Absichtlich am guten Stil vorbei

Man will provozieren, das ist offensichtlich. Allen, die Anstoß nehmen an der Imagekampagne, antwortet nur ein flapsiges „Was dagegen?“. Die Werbung schrammt so ostentativ, so absichtlich am guten Stil vorbei, dass Kritikern mit ihren Vorwürfen von Sexismus und Rassismus der Wind aus den Segeln genommen wird. Denn ganz ernst nehmen kann man die Sprüchlein doch eh nicht. Ironische Distanz ist auch hier wieder einmal das Stichwort und vielleicht auch der Grund, wieso das Astra-Prinzip gerade bei jungen, mehr oder minder intellektuellen Biertrinkern und Nicht-Biertrinkern zündet.

Metaebene und Geschmack hin oder her. Astra-Plakate sind sehr oft einfach witzig. Und das Bier schmeckt, so viel steht fest. Das ist in dem Fall zwar kein Argument, aber egal – was dagegen? Manchmal darf Werbung schlechter Stil sein, darf das Warten auf die U-Bahn mit politisch nicht ganz korrekten Witzen und tätowierten Muskeln verkürzen und an das Bier zu Hause im Kühlschrank denken lassen – kann das alles beispielsweise Radeberger mit seiner verstaubt-elitären Marketingstrategie (Hand mit Bier vor Schloss)? Eher nicht.

Lieber arschkaltes Astra als lauwarmer Glühwein, sei die Devise für diesen Winter. Und wenn einem dabei die Hand abfriert, denke man an die Drei (einer davon heißt übrigens Tom Sawyer, kein Scherz), die mit entblößtem Hinterteil sogar ein Fotoshooting überstanden haben.

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