Kulturphilter Online

Ton, Schweiß, Scherben

Jedes Jahr kommen in den Sommermonaten Studenten aus aller Welt nach Nemi um an der Ausgrabung des römischen Dianatempels teilzunehmen. Zuletzt wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in der Gegend von Nemi gegraben, 1989 wurden die Grabungen rund um das Heiligtum der Diana von der Soprintendenza per i Beni Archeologici del Lazio wieder aufgenommen. Geleitet wird die Grabung am Heiligtum von Filippo Coarelli, Paolo Braconi und Francesca Diosono. Elisabeth Hesse, Studentin der LMU, nahm 2014 zum zweiten Mal an der Grabung teil.

SAMSUNGNemi ist ein kleiner Ort 30 Kilometer südöstlich von Rom. Es liegt am Rande eines Vulkankraters, in dessen Mitte sich ein wunderschöner See befindet, der Specchio di Diana (Spiegel der Diana) genannt wird. Michael Ende soll Momo im Nachbarort Genzano geschrieben haben und man kann sich gut vorstellen, in dieser malerischen Gegend Gigi Fremdenführer oder Beppo Straßenkehrer zu begegnen. Katzen liegen auf den Gehwegen, kleine Brunnen rauschen und ein paar Kinder spielen auf dem Marktplatz Fußball, während sich zwei Großväter über Lokalpolitik oder die richtige Zubereitung von Carbonara unterhalten. Um nach Nemi zu kommen, muss man von Roma Termini aus mit der Metro bis zur Endhaltestelle Anagnina fahren. Von dort aus ist man nochmal ungefähr ein Stunde mit dem Bus bis nach Genzano unterwegs. Von da fährt man wiederum 15 Minuten mit dem Auto bis nach Nemi. (Wenn man das Glück hat, dass man abgeholt wird). Oder man läuft. Das dauert ungefähr eine dreiviertel Stunde den Berg hoch, wenn man stramm marschiert.

Oben angekommen geht es ein paar steile enge Gässchen hinauf, bevor man schließlich zum Grabungshaus kommt. Das Haus wird dem Grabungsteam, das hauptsächlich aus Studenten besteht, von der Gemeinde zur Verfügung gestellt und beherbergt in einfach ausgestatteten Mehrbettzimmern im Sommer durchschnittlich 25-35 Leute. Es gibt viele Italiener, viele Spanier, ein paar Franzosen, einige Deutsche. Eine Zypriotin und eine Finnin machen das Ganze noch internationaler.

Ein Brei aus Erde und Sprache

Auf dem Grabungsgelände arbeitet man in kleinen Gruppen zusammen auf einem saggio („Schnitt“). Der caposaggio ist hier der Boss. Er sagt den anderen, was sie arbeiten sollen, und fungiert zugleich meistens auch als Lehrer. Dieses Jahr hatte ich das große Glück, bei Alberto, einem Spanier aus Salamanca, auf dem saggio zu sein. Er brachte mir bei, wie man mit dem Spaten Erde zielgenau in die Schubkarre wirft, wie man beim Zeichnen den Zirkel mit einem Stück Schnur verlängert, um auf die gewünschte Länge zu kommen, und auch, wie man Hamburger für dreißig Leute zubereitet. Das Letzte ist fast das Wichtigste: Jeder saggio ist einmal die Woche dran mit turnus. Das bedeutet, dass man Frühstück (Biscotti und Café), Mittagessen und Abendessen für die ganze Truppe machen muss und am nächsten Tag mit Putzen dran ist.

SAMSUNG

Im Prinzip funktioniert das Grabungsleben wie eine Mischung aus Klassenfahrt, Bildungsreise und Abenteuerspielplatz. Es herrscht ein fröhliches Durcheinander aus den verschiedensten Sprachen. Ich soll den beiden anderen deutschen Mädchen, Felicitas und Sava, die mit mir zusammen in Albertos Team sind, übersetzen. Das ist viel schwerer, als ich zuerst denke. Alberto erklärt mir auf Spanisch oder Italienisch, was wir machen sollen. (Das hört sich jetzt so an, als ob ich beide Sprachen perfekt beherrschen würde, was keinesfalls der Wahrheit entspricht! Ich spreche ein bisschen Spanisch und ’noch viel bisschener‘ Italienisch.Um mich zu verständigen, genügt das einigermaßen, wenn ich noch Hände und Füße dazu nehme und beide Sprachen mische. Das heißt, ich benutze aus beiden Sprachen jeweils die Wörter, die mir gerade einfallen, und mische noch ein paar vereinzelte Brocken Englisch und Latein darunter…) Wenn ich mich mit den anderen Deutschen unterhalte, kommen dann konsequenterweise Sachen heraus wie „Willst du eine Hand?“ (Italienisch: Vuoi una mano?) statt: „Soll ich dir helfen?“.

Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, dass die deutschen Wörter, die ich bräuchte, um für die beiden Mädels zu dolmetschen, irgendwo tief vergraben als Brei in meinem Kopf liegen. Mit viel Mühe bekomme ich heraus: „Wir müssen polieren!“ Ok, polire heißt saubermachen – das ist ja fast das Gleiche! Trotzdem sorgt die Vorstellung, die alte Erde liebevoll mit dem Lappen zu wienern, bis sie glänzt, für Erheiterung.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...