Kulturphilter Online

Ton, Schweiß, Scherben

Wettrennen

Leider gilt das, was für den Weg von Genzano nach Nemi gilt, auch umgekehrt: Wenn man am Sonntag, an dem nicht gegraben wird, etwas unternehmen will, muss man erstmal nach Genzano laufen, um von dort aus weiter nach Rom, Tivoli, ans Meer oder wo man eben hin will, zu fahren. Letztes Jahr ist einmal fast die ganze Gruppe von 30 Mann gleichzeitig in Genzano angekommen. Das gab zunächst ein großes Hallo und dann ein mindestens genauso großes Wettrennen den Berg hinauf, weil jeder gerne noch warmes Wasser zum Duschen ergattern wollte. Überhaupt ist man in Nemi fast den ganzen Tag damit beschäftigt, um irgendetwas um die Wette zu laufen. Morgens ist es der Kaffee, den die Gruppe, die gerade Dienst hat, mit drei italienischen Moke im Akkord kocht. Dann rennt man um die Wette zum Werkzeugschuppen, um sich ein paar anständige Eimer, Spaten, Hacken und eine Schubkarre zu sichern. Abends düst man dann, wenn man im Dorf wieder angekommen ist, wie bekloppt den Berg hoch, um möglichst schnell eine freie Dusche zu ergattern, denn irgendwann ist das warme Wasser aus und auch, wenn es manchmal auf dem Grabungsgelände über 40 Grad warm wird, ist man abends doch froh, wenn man nicht eiskalt duschen muss. Bei all dem um die Wette Rennen ist es ein ungeschriebenes Gesetzt, dass man so tut, als wäre es reiner Zufall, dass man sich so beeilt und als ob man einfach nur gerne schnell gehen würde. Man darf nicht den Anschein erwecken, dass man mit Absicht der Erste sein will, das gehört zur Etikette. Ein wissendes Grinsen im Gesicht versucht man, sich gegenseitig zu überholen ohne dass der Andere es merkt, der seinerseits bemüht ist, einen abzuhängen. Nur manchmal kommt es zur Freude der ganzen Gruppe zu offen ausgetragenen Wettkämpfen. An einem Abend fetzen Gianluigi und Pascal um die Wette zum Haus hoch und alle wiehern vor Freude, als einer der beiden falsch abbiegt und laut fluchend wieder zurück rennt…

Archäologenhumor

SAMSUNGEs ist meistens sehr heiß und anstrengend auf dem scavo. Ich weiß noch gut, wie ich nach meinem allerersten Tag nach der Dusche ins Bett gefallen bin und bis zum Abendessen, das es – ganz italienisch – erst um 21:00 Uhr gibt, durchgeschlafen habe. Aber es macht auch enormen Spaß! Es ist schon ein tolles Gefühl, wenn man da in der Erde schabt und dann kommt tatsächlich etwas heraus! Bei der ersten Scherbe, die ich finde, bin ich ganz begeistert und renne freudentaumelnd zu meinem Schnittleiter: „Schau mal! Ich habe eine Scherbe gefunden! Eine echte antike Tonscherbe! Das ist doch antik, oder?“ Er schaut mich an und grinst. In seinem Gesicht kann ich lesen, dass er sich amüsiert. Gleichzeitig fühle ich mich ein wenig belächelt. Bald verstehe ich auch warum: Scherben findet man ständig! Es ist nichts Besonderes, Keramik ist das Plastik der Antike. (Trotzdem wird jede einzelne Scherbe aufgehoben und archiviert.) Und meistens sind sie auch antik. Allerdings nicht immer, zumindest dann nicht, wenn jemand nachgeholfen hat.

Die spanischen Jungs haben viel Blödsinn im Kopf! Alberto versteckt Raphi, einem deutschen caposaggio, in der Mittagspause eine moderne Keramikschale in einem Stratum, in dem Raphi bis jetzt sehr viele spannende antike Sachen gefunden hat. Das heißt er ist davon ausgegangen, dass er eine sozusagen ‚unberührte‘ antike Schicht hatte, in der noch keine Engländer oder andere Forscher oder Abenteurer herumgebuddelt haben. Nach der Mittagspause geht ein Schrei über das Gelände. Raphi hat die moderne Keramik gefunden, die ihm Alberto in den Schnitt gelegt hat! So ähnlich muss sich das Gebrüll Polyphems angehört haben, nachdem ihm von Odysseus das Auge ausgestochen wurde… Das schöne Stratum! Alles antik und jetzt eine verdammte moderne Keramik – es muss schon jemand vor uns in dieser Erdschicht gegraben haben! So was Dummes aber auch!

Es herrscht meistens eine ausgelassene Stimmung in der Gruppe. Das liegt sicherlich auch an einem großen Teil an der wunderbaren Francesca Diosono, die die Grabung leitet. Sie verteilt die Aufgaben, greift, wenn es nötig ist, korrigierend in das Geschehen ein, sieht freundlich über kleinere Kunstfehler hinweg und hält vor allem mit viel Geduld und Humor alles zusammen.

Natürlich hat jeder mal schlechte Laune und es kommt zu kleineren Reibereien. Aber gibt es ein besseres Indiz dafür, dass die Gruppe insgesamt gut funktioniert und zusammenhält, als die Tatsache, dass man sich jeden einzelnen Morgen vornimmt, heute Abend ganz sicher nicht in die Byron Bar zu gehen, weil man viel zu müde ist, und dann doch geht? Ein einfaches „Andiamo al Byron?“ genügt meistens, um die ganze Gruppe auf der Terrasse zu versammeln, von der man einen ganz unglaublichen Blick auf den wunderschönen Nemi-See hat, den „Spiegel der Diana“. SAMSUNG

Fotos: Elisabeth Hesse, Giulia D’Angelo

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