Interview Kulturphilter Online

Kunst machen oder Gemüse

Bibiana Beglau in "Zement"
Foto: Armin Smailovic/ Residenztheater

 

Hast Du einen Lieblingsort in München, wo Du hingehst, wenn Du Ruhe brauchst?

Es gibt zwei Stammlokale, aber da lern’ ich Text, das sind eher Arbeitsflächen. Manchmal sitze ich auch einfach nur da und starre vor mich hin. (Lacht.) Ich glaube, ich mache Sachen, die überhaupt nicht vorgesehen sind in meiner Biografie. Wenn ich mich ausruhen will, ist es besser für mich, einen Freund zu treffen, der sagt, du springst jetzt erst mal mit mir in die Isar, das ist dann letztendlich genau das Richtige. Also vielleicht den Wegen der anderen folgen, für einen Moment vielleicht. Neulich hat ein Freund gesagt: „Komm, lass uns rausfahren!“ und ich musste für ein Hörbuch lernen, dann hab ich den Text eingepackt, bin mit ihm und seinen Kindern in die Natur gefahren und das war genau richtig und ich hab dabei all meine Arbeit mit Leichtigkeit erledigt. Ja, ich glaube, das ist entspannend.

Und wenn wieder eine Inszenierung ansteht, wie bereitest Du Dich auf deine Rolle vor?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei Faust wusste ich, was das ist, der Teufel. Bei Bardamu in Reise ans Ende der Nacht habe ich erst über Frank Castorf etwas begriffen. Im Allgemeinen habe ich aber keine Methode zur Vorbereitung.

Dein nächstes Projekt am Residenztheater ist Baal, oder?

Das machen wir wohl, weißt du was darüber? (Lacht.) Ich hab da hoffentlich nur eine kleine Rolle, ich bin im Moment ein bisschen kriegsmüde. Mein Plan wäre zweimal über die Bühne zu gehen und viele Zigaretten zu rauchen.

Viele Figuren von Dir werden durch Deine Spielweise androgyn, woher kommt das?

Ich bin natürlich ein Kind der 90er Jahre und ich hab auch lange geübt, aber ich glaube einfach nicht an eine Geschlechterverteilung bzw. ein eindeutiges Geschlechterverhältnis. Eine Königinmutter ist auch immer wie ein Mann und eine knabenhafte Figur hat auch was Weibliches, da mischt sich viel. Außerdem kennen die Leute doch den Schrott, den wir machen. Ob ich einen Schnurrbart anhabe oder nicht, das spielt eigentlich keine Rolle mehr. Es hat auch mit Kraft zu tun, seine innere Kraft zu stärken, wir haben eben das Kräftige dem Männlichen zugeteilt, weil wir in einem Patriarchat leben und nicht in einem Matriarchat. Wir haben uns sehr geeinigt auf bestimmte Figuren. Nicht umsonst hat man einen Aborigine-Stamm in Australien ausgerottet, weil Frauen Bärte hatten. Wir würden sagen, das ist ein Mann und das waren aber eben Frauen. Wir teilen uns das so ein, das Schöne soll hübsch aussehen, das Böse hässlich, das Weibliche so und das Männliche so. Kann man machen, kann man aber auch anders machen.

Geschichten zum Überleben

Gibt es eine Rolle, die Du gern einmal spielen würdest?

Ich hätte gerne mal, dass man Richard III. menschlich zeigt. Dass man dem ewigen Bösewicht die Wut eines Behinderten zu Grunde legt. Vielleicht ist das ja der Hass von einem Krüppel, nach dem Motto: Es gibt gar keine Gründe zu töten, außer dass ich ein Scheißkrüppel bin. Fertig. Ihr seid keine Krüppel, ich bin einer und jetzt Rübe ab, ich hab’ die Schnauze voll. Heilung und Rettung gibt’s nicht, es gibt nur den Augenblick. Das fände ich interessant.

Hast Du Lust, auch mal selbst zu inszenieren?

Ich werde schon gefragt, aber ich bin da uneins. Ich habe Ideen, aber die sind eher installativer Art. So, wie ich mich eher für einen Performance-Menschen halte als für einen Schauspieler oder eine Schauspielerin, würde ich mich dann auch nicht als Regisseur bezeichnen. Ich würde dann eben einen Stoff nehmen und damit etwas machen.

Stücke, die großen Erfolg haben, sind oft in der Stückstruktur nicht komisch. Die Inszenierung vielleicht, aber das ist nicht im Stück angelegt. Haben Komödien immer noch den Unterhaltungsstempel?

Das ist schwierig, die Frage ist, wie fasse ich das an. Goethes Faust – ganz ehrlich – ich find’ das Ding ist ein kompletter Witz: Reime, Reime, Reime, Reime, Vorhang auf, Vorhang runter, Vorhang auf, Reime, Reime, Reime und letztlich ist es von der Geschichte her eine 20.15 Uhr-Klamotte mit einem Menschenopfer namens Gretchen. So was finde ich witzig. Wer hat Angst vor Virgina Woolf finde ich gar nicht witzig, die Leute lachen viel, weil das anscheinend so absurd ist, dass du über Hass eine Liebesgeschichte erzählst. Vielleicht hab’ ich aber auch ein verschobenes Weltbild.

Was für eine Funktion soll Theater für Dich haben, welche Relevanz?

Ja, warum überhaupt Theater? Also wem erzählen wir eine Geschichte? Da gibt es zwei Arten von Anlässen: Die Oma erzählt dem Lieblingsenkel eine schöne Geschichte als Liebesbeweis, der König erzählt dem Feind eine böse Geschichte um ihn zu verwirren. Alle Völker erzählen sich Geschichten. Der König hält sich unter schlimmsten Bedingungen den Narren und ich geh meiner Oma so lange auf die Nerven, bis sie mir was erzählt. Es ist auf der einen Seite das unterhaltende Moment der Ablenkung wie bei allen großen Romanen oder jetzt bei den großen Serien. Aber was darin auch steckt: Wir gucken in ein anderes Leben, wir verlassen das eigene Leben und erleben durch die Geschichte der anderen einen Teil von uns selber. Bei Menschen, die keine Geschichten mehr haben, wird es sehr gefährlich, weil eine Lücke entsteht, die durch alles Mögliche, z. B. Ideologien aufgefüllt wird. Eigentlich ist es ein Liebesdienst, um uns woanders hinzubringen und dadurch die Möglichkeit zu schaffen, etwas anderes zu sehen, eine Horizonterweiterung: Ich war nie in Afrika, aber ich habe eine Geschichte gehört … Es macht das Unmögliche zur Wahrheit. Alles, was man sich vorstellen könnte, das kann der Mensch in seiner Phantasie – er ist befähigt, große Bilder in sich zu entwerfen. Auch in schwierigen Lebensumständen lassen wir uns davon nicht abbringen: Man hat kaum Essen, aber man hat noch eine Geschichte.

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