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Mit Wasser kochen

Jeder hat diese Bekannten, die als Fünfjährige schon in Thomas-Bernhard-Gesamtausgaben geblättert haben. (Bitte Mama, nur noch fünf Minuten vor dem Einschlafen!) Hatte man in seinem Leben dazu nicht die Zeit (oder sehr strenge Eltern), bleibt einem nur ein Ausweg. Und natürlich besteht der nicht darin, diese Versäumnisse jetzt einzugestehen und sich die Gesamtausgaben nachträglich reinzuknechten. Vielmehr sollte man alle Energie und Zeit dazu aufwenden, mit wenig Wissen, aber viel Stil durch die Seminarräume zu tingeln wie weiland das FDP-Spaßmobil durch die Bundesrepublik. So kann man schon morgen mit Wissen glänzen, das man nie haben wird.

Also ein paar Tipps hierzu, mit denen man auf jeden Fall eine gute Figur macht. Regel Nummer eins: eine Meinung haben. Regel Nummer zwei: vorgeben eine Meinung zu haben. Regel Nummer drei: Literatur und Autoritäten geringschätzen. Die drei Regeln in Reinform: „Böll war schon gut, aber um XY zu sehen, war er zu kleingeistig.“

Regel Nummer vier: in unscheinbaren Halbsätzen neue Fässer aufmachen. Ein Satz wie „Storm ist gut, aber er ist kein Kleist“ ist gut, aber auch gefährlich: Jemand könnte die Namen schon einmal gehört haben. Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen sind wie Bleischrot in der Gulaschkanone, das heißt: grundfalsch und tunlichst zu vermeiden (Regel Nummer fünf). Beeindruckender ist es, vollkommen unbekannte Namen zu wählen: „Hölderlin fängt es an, aber erst Gomringer bringt es zu Ende.“ Bonuspunkte gibt es für die Abstraktion von Autorennamen: „… ein Gomringer bringt es zu Ende…“, „die deutsche Literatur hat erst eine Nelly Sachs gebraucht, um…“ Die Anwesenden werden denken: „…“ oder: „Du sagst es!“ oder auch: „Gomringer? Who the fuck is Gomringer?

Fortgeschrittene dürfen auch wahllos Theorien einstreuen. Einfach mal laut ausrufen: „Das ist es doch, was Derrida mit differance meint!“ Oder: „Könnte man dieses Figurenverhältnis nicht mit dem Code nach Luhmann fassen?“ Wahlweise auch: „Man kann nicht über den Mythos sprechen, ohne Cassirer miteinzubeziehen.“ Mindestens den braunen Gürtel der Geisteswissenschaften erhält, wer den Besserwissern im Seminar zeigen kann, dass ihr intellektuelles Niveau irgendwo auf Höhe der eigenen Kniescheiben anzusiedeln ist. „Foucault? In welchen 70ern bist du denn stehen geblieben?“ oder: „Homi Bhaba, Ali Baba, Barbapapa: alles längst nicht mehr state of the art.“ Aber nicht vergessen: Ein wahrer Samurai lernt den Umgang mit dem Schwert, um es dann nicht zu benutzen. Also: „Auerbach? (Verächtlich schnauben.) Ach Auerbach… naja, wie dem auch sei…“ Oder: „Clifford Geertz? Das Beeindruckendste an ihm ist ja sein Bart…“

Man sollte bei all der Durchmogelei aber keine zu auffälligen Spuren hinterlassen. Dreist, aber nicht dummdreist sollte man sein. Als Mahnung dient uns der Fall eines betrunkenen Autofahrers aus Schweinfurt. Der konnte die Polizei nicht abhängen, lenkte sein Fahrzeug also in einen Wald, stieg dort aus und schnell hinten wieder ein. Gegenüber den anrückenden Beamten sagte er dann, der Fahrer sei abgehauen. Ein wahrer Meister des salamanderhaften Durchwindens also? Leider nein: Die Geschichte trug sich im Winter zu und der Mann hatte auf dem Weg von der Vorder- zur Hintertür tiefe Spuren im Schnee hinterlassen. Gegen ein bisschen Flunkern hat ja niemand etwas einzuwenden. Man sollte sich dabei aber bitteschön nicht zu dumm anstellen.

 

Fotocredit: Dazzie D „Winking Owl“ via Creative Commons

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