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„Das Leben meiner Tochter“: Wider die Moral

Wie weit ist man bereit zu gehen, um sein eigenes, erkranktes Kind zu retten? Dieser Frage stellt sich „Das Leben meiner Tochter“. Was der Film mit Jens Spahn zu tun hat, dazu hat sich Regisseur Steffen Weinert beim Preview im Cineplex Neufahrn geäußert.

Von Philipp Horn

Der Alptraum beginnt für Familie Faber im gemütlichen Selbstversorgerhaus mit Alpenpanorama. Jana (Maggie Valentina Salomon), die achtjährige Tochter von Micha (Christoph Bach) und Natalie (Alwara Höfels), wacht morgens mit Atemnot und Stechen in der Brust auf. Kurze darauf muss sie vom eingetroffenen Notarzt reanimiert werden. Im Krankenhaus dann die Diagnose: Herzmuskelentzündung, Jana braucht ein Spenderherz. In spätestens acht Monaten könne eine Transplantation stattfinden, meint die Ärztin. Natürlich kann sie das nicht.

Das Leben meiner Tochter„, der neue Film des Regisseurs und Autors Steffen Weinert, ist dabei jedoch mehr als das filmische Flankiermanöver zugunsten der derzeit debattierten Widerspruchslösung bei der Organspende. Sicherlich, Jens Spahn habe seinem Projekt einen Gefallen getan, sagt der Regisseur nach der Vorführung. Der CDU-Gesundheitsminister hatte zuletzt angeregt, dass Bürger*innen einer potenziellen Organspende künftig explizit widersprechen müssten und nicht wie bisher explizit zustimmen. Wenn er die Öffentlichkeit durch seinen Beitrag weiter sensibilisieren könne, so Weinert, umso besser. Inhaltlich aber legt er seinen Fokus eindeutig auf eine andere Frage: Wie weit ist man bereit zu gehen, um sein eigenes Kind zu retten?

Im Film ist es allen voran Micha, den diese Frage um- und antreibt. Geschickt überspringt der Regisseur die unmittelbare Zeit nach der Diagnose und mit ihr die Versuchung, Plot und schauspielerische Leistung von Beginn an in Tränen zu ertränken. Die Handlung setzt erst knapp ein Jahr später wieder ein. Jana und ihre Mutter haben sich inzwischen mit der Krankheit arrangiert. Nur Micha weigert sich, die Ausweglosigkeit der Situation zu akzeptieren, die Untätigkeit hinzunehmen, glaubt, das Unkontrollierbare, das Unabwendbare doch irgendwie unter seine Kontrolle zu bringen; ein moderner „Homo Faber“, der en passant Marc Bloch zitiert:

„Es kann doch nicht sein, dass hier nur noch das Prinzip Hoffnung regiert!“, ruft Micha seiner Frau in einer Szene zu

Christoph Bachs hervorragende schauspielerische Leistung macht dem Publikum einen Vater greifbar, der rastlos durch Krankenhausflure und Internetforen streift, der wie ein trockener Schwamm gierig jeden Tropfen Hoffnung aufsaugt und dabei konsequent alles ausblendet, was auf die nahende Katastrophe hinweist.

Alwara Höfels wiederum überzeugt in ihrer Rolle als eine Frau, die sich der zunehmenden Manipulation ihres Mannes nur schwer entziehen kann, beispielsweise wenn Micha am Frühstückstisch der cremefarbenen Altbauwohnung vorschlägt, ganz unverbindlich natürlich, einmal Kontakt mit bestimmten Leuten aufzunehmen, die auf anderen Wegen ein Spenderherz besorgen könnten.

Die Entscheidung des Regisseurs, die Handlung im linksliberalen Soziotop wohlhabender Freiburger Smoothie-Schlürfer anzusiedeln, sorgt für die eigentümliche Atmosphäre des Films. Denn es ist klar, dass sich in dieser finanziell abgesicherten Kürbissuppen-Idylle (sie Künstlerin, er Programmierer) andere Fragen stellen, andere Möglichkeiten ergeben als für alleinerziehende Schichtarbeiter*innen in Berlin Marzahn, Stichwort: Organhandel. Wohlstand als moralischer Fallstrick. Den legt – glänzend gespielt und mit honigsüßer Stimme – Vikings-Star Erik Madsen als Organhändler; einem Mephisto mit der Stimme von Alfred Jodocus Kwak würde jede*r seine*ihre Seele hinterherwerfen.

„Das Leben meiner Tochter“ ist keine dieser Gefühlskitsch-Schmonzetten, die sich ARD-Zuschauer*innen Mittwochabend reinziehen, wenn sie seit drei Tagen auf Tatortentzug sind. Steffen Weinerts Film überzeugt gerade durch den Verzicht auf unnötige Effekthascherei und reißerische Töne. Sanft, nachdrücklich und spannend erzählt er von einer Abfolge moralischer Gabelungen, die der Vater eines kranken Kindes solange mit geschlossenen Augen überspringt, bis er vor der ostblockgrünen Tür eines rumänischen Krankenhauses einer Entscheidung nicht länger ausweichen kann.

 

„Das Leben meiner Tochter“ (Deutschland, 92 Minuten) läuft seit 6. Juni im Kino.

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