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Die Schläfer

Die ersten Wochen Ersti-Dasein und schon ist die Uni mein zweites zu Hause. Ich habe mich noch kein einziges Mal verlaufen, weiß genau, wo ich was finde, habe mein erstes Referat ausgearbeitet und verzweifle sogar nur ein ganz klein wenig, beim Gedanken an die Hausarbeit. Ich bin natürlich hochmotiviert, empört, wenn einer zum Seminar zu spät kommt und schreibe eifrig und per Hand jedes Wort des Dozenten mit. Mein Studium ist der Hammer – das Fach unglaublich spannend, die Fragen, was ich damit überhaupt später machen will, sind jetzt schon Routine und werden weggegrinst. Das Ersti-Frühstück, den Kneipenabend und das Kennenlern-Wochenende hab ich natürlich verpasst – dafür ist der restliche Alltag aber bis ins Detail organisiert, kein Informationstermin geht mir durch die Lappen, ich sitze in den ersten Treffen unzähliger Hochschulgruppen und analysiere still und heimlich, ob ich dort die nächsten Semester mitmachen werde, schreibe (erfolglos) Bewerbungen, möchte unbedingt ein Praktikum machen –oder als Hilfskraft arbeiten, möchte Berufserfahrung, Lebenserfahrung und am liebsten jetzt, sofort, anfangen, selbstständig zu forschen!

Und so – fast übersprudelnd vor Motivation, Arbeitseifer und Freude – saß ich dann eines schönen Herbsttages in einer Vorlesung, in der eine Filmvorführung auf dem Programm stand. Bleistift und Blatt waren ebenso bereit wie ich, hochaufmerksam verfolgte ich den Film und schrieb jede Information mit, die ich kriegen konnte. Bis zu dem Moment, in dem ich ein winziges Trink-Päuschen einlegte und zu meinem Sitznachbarn blickte.

Erschrocken fuhr ich zusammen und schaute schnell zurück auf meinen lückenlos bekritzelten Zettel. Mein Herz klopfte wild und in meinem unschuldigen Kopf wirbelte es von plötzlichen Fragen, die mich völlig aus der Bahn warfen. Oder war das nur…Einbildung? Hoffnungsvoll, aber mit dem Schlimmsten rechnend, sah ich zurück zu meinem Nebenmann. Ich hatte mich nicht geirrt.

Mit verschränkten Armen, den Kopf auf die Brust gesunken, saß er da und – schlief. Ich starrte ihn völlig perplex an und traute meinen Augen kaum. Ich hatte schon 50 Minuten am Stück mitgeschrieben und er saß hier und – schlief!? Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich, was für seltsame Gestalten es an einer Uni doch geben konnte. Leicht amüsiert wollte ich meinen anderen Nachbarn auf den Schläfer aufmerksam machen, und musste feststellen: – der pennt auch! Er hatte sogar den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund leicht geöffnet. Mit einem wachsenden Gefühl der Unruhe, einen schrecklichen Verdacht hegend, blickte ich langsam nach hinten.

Tatsächlich… überall saßen sie, die Schläfer, mit schlaffen Gliedern, dem Kopf auf der Tischplatte oder auf der Brust. Es wimmelte nur so von ihnen! Damit hatte ich nicht gerechnet. Entsetzt und ernsthaft verwirrt suchte ich den Blick der Wachen, die wenigstens durchschnittlich aufmerksam waren; auf eine Hand gestützt oder zwei starrten sie recht teilnahmslos, die wenigsten ehrlich interessiert auf die Projektionswand. Kein Blick registrierte die Schläfer. Als wäre das ganz normal…

Ein Mysterium, das ich mir einfach nicht erklären kann. Und wenn ihr selbst zu ihnen gehört – oder vielleicht nur gern mit geschlossenen Augen einen Film seht – und euch jetzt angegriffen fühlt; dann verzeiht mir bitte. Ich bin nur ein kleiner Ersti – und trotz meinen Vorbereitungen weiß ich wohl bis jetzt genauso wenig vom Studentendasein, wie jeder andere Ersti auch.

 

 

Fotocredit: Curtis Letcavage via Creative Commons

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