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Verlorene Liebesmüh‘

Es hätte alles so schön werden können. Bequeme Sessel, zahllose Buchrücken in den Regalen, ein warmer Kaffee oder Tee zur Lektüre, ein gemütlich prasselndes Feuer im Kamin, gedämpfte Unterhaltungen im Hintergrund. So in etwa hätte man sich die neue Buchhandlung in der Schellingstraße 3 vorstellen können, Nachfolger der bewährten Buchhandlung Frank, die zum Bedauern vieler Studenten und Dozenten insolvent ging. Denn als die Pläne bekannt wurden, hieß es von Seiten der Macher: Keine konventionelle Buchhandlung wolle man, sondern eine Mischung aus Café und Laden. Auch Philtrat berichtete. Von „einer Kaffeetheke mit Sitzbereich, der etwa ein Drittel der Ladenfläche einnehmen soll“, war da die Rede. Und von Pause machen und stöbern.

2014-09-18 10.40.45Eigentlich naheliegend, das Bedürfnis nach Buch mit dem Verlangen nach Heißgetränk zu verbinden, und andernorts funktioniert das ja auch gut. Nun ist die Eröffnung schon ein paar Monate her, fast pünktlich zu Semesterbeginn war das Ding fertig. „Lost Weekend“ nennt es sich. Es ist letztendlich mehr Café als Buchhandlung geworden. Darüber können auch die zwar sorgfältig kuratierten, aber doch eher alibimäßig im Hintergrund herumstehenden Bücherregale nicht hinwegtäuschen. Davor einige große Holztische, die so naturbelassen aussehen, dass man gar nicht wissen möchte, wie lange dafür geschmirgelt wurde. An ihnen muss man sich neben Fremden sein Plätzchen erkämpfen, ein bisschen wie in der Mensa, ein bisschen wie am Basteltisch im Kindergarten. Trotz der Nähe entspinnt sich keine Unterhaltung mit den Unbekannten. Da sitzt man dann, ein bisschen wie im Altenheim, jeder vor seinem Tässchen. Daneben bemützte Menschen vor ihren weißen und grauen Laptops (wo waren die alle nur, bevor es das „Lost Weekend“ gab?). Oder man lehnt im Schaufenster, die Füße lässig irgendwo über den Heizkörpern baumelnd, versucht, cool auszusehen und sich ob der riesigen Glasfronten nicht wie ein Eisbär im Zoo zu fühlen.

Und auch wenn da im Hintergrund die Reclam-Heftchen verlockend bunt leuchten – ein Buch hält hier niemand in der Hand. Nein, in der Hand hält man einen Cappuccino, vegan, und, obwohl noch nicht mal Tiere in Massentierhaltung dafür leiden mussten, ist der Preis nicht gerade studentengeldbeutelgerecht. Aber gut, das wusste man schon, bevor man sich für ein Studium in München entschied. Man leistet sich ja sonst nichts. Weil man es sich wert ist. Und stöbern tut im „Lost Weekend“ auch kaum jemand, geschweige denn Pause machen, viel zu beschäftigt ist man, sich zu entscheiden zwischen Wasser mit Gurke, Wasser mit Rosmarin, Wasser mit Ingwer – aber ja kein normales Wasser! –, oder damit, sich kleine Löffelchen aus dem Sand-, äh Zuckerhaufen an der Kaffeetheke in den Espresso zu löffeln.

Totale Buchhandlung H FrankVor dem Café steht eine lange Kiste, unentschieden, ob sie vom Umbau übrig ist und vergessen wurde oder ob sie Rauchern als Sitzmöbel dienen soll. Drinnen: viel grau. Den Betonlook wollte man behalten, hieß es schon vor der Eröffnung, davor wurde dann ein Schriftzug gehängt, „Prophecy“ steht da, zwecks der Kunst und so, schließlich gibt man sich ja mondän und kreativ und sonst noch was, also hängt das dann da, „Prophecy“, leuchtend, bunt, wer weiß, was das vorhersagt, was jetzt noch alles kommen mag, also jedenfalls, künstlerischer Schriftzug vor grauer Betonwand, das ist natürlich originell, und das hängt da so, zwecks der Kunst und dem Berlin-Feeling. Aber das stellt sich nicht recht ein, das Berlin-Feeling, siehe Preise, und weil das hier halt München und so not Berlin ist. Internationale Zeitschriften wurden angekündigt, die liegen tatsächlich rum, aber ob die auch jemand kauft? Und überhaupt: Betonlook, Internationales, Bücher – das konnte doch die Schelling 3 im Inneren von jeher schon besser.

Die Kommilitonin, mit der man sich unfreiwillig den Tisch teilt und die gerade aufs Deutsch-Staatsexamen lernt, zwirbelt begeistert ihre Löckchen und sagt: „Besser als so ein langweiliger Buchladen.“ Genau, Bücher, Papier, veralteter Kram, sowas hat an einer Universität natürlich nichts verloren. Dann lieber ein tier- und geschmackfreies Heißgetränk.

Nun aber genug. Es ist ja auch viel zu typisch München, sich immer darüber aufzuregen, dass etwas Altbewährtes schließt und Neues entsteht – siehe Atomic Café. Außerdem wird der Cappuccino kalt. Das Gurken-Ingwer-Rosmarinwasser ist leer. Und der Laptop muss schleunigst aufgeladen werden.

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