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Heldenhaft pubertär

Der sagenumwobene Siegfried lässt in der Nibelungen-Inszenierung „Siegfried“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel jeden Anflug von Vorbildrolle hinter sich und präsentiert sich weitaus menschlicher als in der mittelalterlichen Vorlage: fehlbar, triebgesteuert, selbstverliebt und unfreiwillig komisch. Ein Theaterabend im Münchner Volkstheater.

Von Kim Behlau und Maria-Mercedes Hering

„Siegfried“ – den Helden der Nibelungensage kennen wir alle aus der Schule. Und da wir ihn alle als edlen Drachentöter und begnadeten Kämpfer in Erinnerung haben, kann man schon einmal stutzig werden, wenn einen ein Plakat mit einem feuchten Chippendaleverschnitt in Tiger-Badehose ins Theater locken soll. Wobei den Theaterbesucher natürlich die Neufassung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel und nicht das Sixpack ins Volkstheater treiben sollte. Allerdings ist die Charmeoffensive mit Bedacht gewählt, ist doch der Siegfried (Jakob Geßner) der Neufassung sich selbst seiner Ausstrahlung bewusst. In einer stark pubertären Phase, hormonell bedingt auf Krawall gebürstet, stellt er sich als „TNT, Dynamite“ dar. Dass er bald explodieren wird, macht er mit Untermalung der Live-Band „Fafnir Club“ klar. Siegfried rebelliert gegen alles, kehrt der Familie den Rücken, bricht die Ausbildung zum Schmied ab und will allen beweisen, dass er seinen Traumberuf Held verwirklichen und sich die Welt Untertan machen kann. Deshalb kämpft er gegen alles und jeden: Drachen, Zwergen, Prinzen, das Leben und den ganzen Rest. Jeden fordert er heraus, denn von jedem fühlt er sich herausgefordert auf seinem Weg zum Heldentum.

Siegfried und Kriemhild (Foto: Arno Declair)
Siegfried und Kriemhild (Fotos: Arno Declair)

Aber zur wahren Pubertät gehört nun mal auch die Liebe. Auf Anraten seines neuen elfischen Untertanen, dem lüsternen Zwergen Alberich (Jona Bergander), stechen sie in See zur Operation Walküre, um die sagenumwoben schöne Brunhild (Robert Joseph Bartl) zu erobern. Nur leider passt die Walkürenkönigin Brunhild nicht so ganz in Siegfrieds Beuteschema. Vergleichbar mit Obelix – hinsichtlich der Optik wie auch der körperlichen Stärke –, verjagt das Mannsweib die beiden Herren schnell wieder aus Island; auf dem Heimweg verliert Siegfried sein Herz schnell an die Burgunderprinzessin Kriemhild (Magdalena Weidenhofer). Bedingung für die Hochzeit der beiden pubertären Hormonzombies ist allerdings, dass Siegfried Kriemhilds alles andre als heldenhaften Bruder Gunter (Frederic Linkemann) ebenfalls unter die Haube bringt. Brunhild würde sich doch anbieten? Mit ein wenig Hilfe folgen Doppelhochzeit, traumatisch-dramatische Hochzeitsnächte, Kränkungen und Ehrverletzungen aller Art. Und natürlich wären die Nibelungen nichts ohne ihr tragisches Ende. Wer letztendlich büßt und sühnt und stirbt schaut man sich dann aber doch am besten selbst an.

Zaimoglu und Senkel wollten den Helden von seiner Vorbildfunktion lösen und das Stück humoristisch-ironisch aufbereiten. Wer eine schlichte Nacherzählung des mittelalterlichen Heldenepos erwartet, wird bei AC/DC-Untermalung, grünen Adidas-Sportanzügen, Stoffpenisunterhose, Plüschgedärmen und Alberichs Schimpfwortarsenal („Pissarschsack“, „Fotzenfotze“, „Dass dich der Eber zuschanden ficke!“ „Arschsaftbeckleckerte Kackarschbacke“) stutzig werden. Wer den Humor der Autoren teilt, wird mit einem unterhaltsamen Abend belohnt, denn die Autoren haben sich bei der humoristisch-ironischen Bearbeitung ordentlich ins Zeug gelegt. Statt den stolzen Helden der Sagenvorlage tummeln sich alle Arten von Karikaturen auf der Bühne, und mit ihren vielen Verfehlungen und Schwächen, die sie sich nicht eingestehen wollen, sind die Figuren stets angreifbar für den derben Witz und die feinen Sticheleien ihrer Mitstreiter. Siegfried versteht das meiste davon eh nicht und taumelt mit mehr Kraft als Verstand durch die Heldensage. Nur ist dabei das Fünkchen Ernsthaftigkeit, das einen Ausgleich zum Klamauk schaffen könnte, leider auf der Strecke geblieben. Die klamaukhafte Neufassung zieht den mittelalterlichen Stoff bisweilen so weit ins Lachhafte, dass der Bezug zur Heldensage verschwindet. Die Grundlage zur Parodie tritt ganz in den Hintergrund und jeder Tiefsinn geht verloren. Aber vielleicht entschädigt Siegfrieds durchweg zur Schau gestellter Astralkörper ja ein bisschen.

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