Unileben

Testosteron und Katzenbuckel

Das Leben ist ein riesengroßer Spielplatz. Und der größte Münchner Spielehort ist die Anlage des Zentralen Hochschulsports am Olympiazentrum. Das Angebot reicht von Aerobic und richtet sich an Hochleistungsathleten genauso wie an sporadische Kniebeuger. Wir haben uns einmal auf die Suche gemacht und die Kurse Boxen, Zumba, Yoga und Frisbee ausprobiert.

Von Thomas Lipsky und Anonym


1. Disziplin: Boxen

Jahrhundertealt, schweißtreibend und aggressiv. Ein echter Klassiker, denke ich mir. Die Rede ist vom Boxsport. Als ich die Halle betrete, herrscht angespanntes Schweigen. Nur an den Rändern der Halle stehen ein paar Menschen herum, so als wäre es gefährlich, den Boden in der Mitte zu betreten. Gestandene Hünen im Unterhemd finden sich unter ihnen, leicht schüchterne hagere Gestalten und für einen Vollkontaktsport erstaunlich viele Frauen, darunter unsere Trainerin. Die reißt sofort ein paar verdorbene Witze und erklärt uns eindringlich, warum wir „Lappen“ hier nicht zum Spaß sind. Dann geht es los mit einer halben Stunde einlaufen. Anfersen, Kniehoch, Hopserlauf, Sprinten, Side Steps. Dann klettert sie auf eine Sprossenwand. Ein Pfiff heißt ein Klappmesser, dann ein Liegestütz und dann … mir wird schlecht. Ich will trinken. Die Lady pfeift mich zurück. Von 40 muss ich herunter zählen, der Gruppe den Takt für 40 Kniebeugen angeben. 35 Hünenmienen verfinstern sich.

Ali
Schnell, gewaltig und ehrlich und keiner war je besser darin als Muhammad Ali (rechts)

Dann wird’s gespenstisch. Die Fortgeschrittenen wechseln in die andere Hallenhälfte. Sie boxen ins Leere. Und mit jedem Schlag prusten sie in die Luft, ducken sich vor imaginären Fäusten und visieren dabei Anfänger wie mich an. Ich befinde mich mittlerweile im Wachkoma. Bandagen, Boxhandschuhe und Mundschutz werden angelegt, bevor es zum Eigentlichen kommt. Dann tritt mir Manfred, mehr Maschine als Mensch, gegenüber. Er warnt mich, meine Deckung hochzuhalten, während er mir kontinuierlich in die Deckungslücken boxt. 50 Liegestützen, 100 Kniebeugen und 40 Burpees später werden wir dann aus der Halle geschrien. Vollkommen ausgelaugt, aber mit einer Menge Testosteron im Blut verlasse ich die heiligen Hallen der ZHS.


2. Disziplin: Zumba

Wer bei Yoga Angst hat, einzuschlagen könnte es ja mal mit Zumba probieren, denke ich mir. Hüpfen statt schlafen. Und was bietet einem da heißere Rhythmen und dazu noch heißere Bewegungen als Zumba.

Zuerst ordnen sich über hundert Leute im Tetris-Prinzip in der Halle an. Das kann ein bisschen dauern, wenn sich die wenigen Jungs im Raum nicht genau entscheiden können, welchen Ausblick sie bevorzugen. Vorbildlich zeigt sich dagegen ein ca. fünfzigjähriger Muskelprotz, der sich mit einer Selbstsicherheit in der linken hinteren Hallenecke platziert, als habe er vor, dort demnächst einen Eiweißshake-Store zu errichten. Dann betritt die energische Trainerin die Bühne. Schon in ihrem Gang liegt der Groove. Sie redet dann nicht lange herum, sondern legt einfach los. Und Schritt, und tab, turn around. Und noch einmal und Schritt und … Das schreibt sich alles so einfach, aber in Aktion nimmt allein die Choreographie meine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag. Hauptsächlich damit beschäftigt, nicht auf einen fremden oder eigenen Fuß zu treten, ist es mir unmöglich, mich um die Ästhetik zu kümmern. Und immer geht der Blick nach vorne, wo die Trainerin den Sexappeal des ganzen Raumes auf sich konzentriert. Wie schafft sie es nur, bei den Übungen so unfassbar gut auszusehen, wie gelingt es ihr, die Menge still zu halten und wie zum Geier ist es möglich, ganze eineinhalb Stunden lang mit einem quasiaufgemalten Meister-Propper-Grinsen durch die Welt zu schritt-schritt-taben?!

Meine Nachbarin quatscht mich an, warum ich denn so nachdenklich nach vorne starre. Da hat sie recht, denke ich mir. Ich lasse meine Hüfte kreisen und konzentriere mich fortan auf meinen ganz persönlichen Dirty-Dancing-Quadratmeter, auf dem nur Platz für mich und meinen sexy Hüftschwung ist. Auf dem nur ich meine Haare auf die Seite werfe und alle Blicke auf mich fokussiere. Und genau das – vermute ich – ist das Zumba-Feeling, auf das so viele Leute schwören.


3. Disziplin: Yoga

Meine beste Freundin, Mama, Oma – ausprobiert hat es eigentlich jeder. Fazit: Trendsport. Und weil ich zu den wenigen Nicht-Eingeweihten gehöre, bin ich sehr gespannt. Barfuß (so viel hatte ich schon gehört) und in Aladinhose finde ich mich zum komplett ausgebuchten Kundalini-Yoga-Kurs ein. Rechts neben mir  ein Typ mit langem, zerzaustem Haar, Peace-Kette und Ringelhose. Links neben mir ein andächtig wirkendes Mädchen, das sich auf seiner Yogamatte auf das Kommende einstimmt. Beide mit einer wissenden Aura. „Hast du schon mal Yoga gemacht?“ – „Ja, jedes Semester. Das tut so gut.“ Alle Unbematteten, darunter ich, tun es ihnen gleich. Wir setzen uns erwartungsvoll in den Schneidersitz. Dann kommt eine weitere Person – unverkennbar die Trainerin – in Leinengewand und barfuß hereingeschwebt. Nur die klingelnden Armreifen verkünden ihre Ankunft: „Ich begrüße euch zum Kundalini-Yoga.“ Sie haucht in freundlich warmem Tonfall Sätze wie „Schafft euch euren Raum“ und „Nehmt diese Stunde wahr, bewusst, jeder auf seine Art.“

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Ganz so heiß her ging es dann doch nicht (Foto: Наталья Видович)

Nachdem ein beruhigendes Mantra gesungen wird, folgen entspannende Atemübungen. Linkes Nasenloch, rechtes Nasenloch. Händereiben, Handkreisen, Fußkreisen, Augenverdrehen. Dann beginnen wir mit den richtigen, anspruchsvollen Übungen. Doch statt der mir prophezeiten „sich windenden Schlange“ und des „Morgentaus“ erwarten uns die Übungen „der Hund“ und „die Kuh“, die auch kaum eleganter aussehen, als sie klingen. Das gilt auch für den bekannten Katzenbuckel. Dabei müssen wir die Hündchenstellung einnehmen und Kopf und Kreuz regelmäßig durchdrücken und wieder krümmen. Aber schon bald beginnen wir zu schnaufen, dass es sich anhört, als wäre der Raum von einer Schwangerschaftsgymnastik besetzt. Nach diesem fünfminütigen Poweryoga gibt es dann immer eine Pause.

Ja, Pausen sind im Kundalini-Yoga auch ein großes Thema. Nach circa einer Stunde soll ich mich flach auf die Matte legen, meine zwei Profiyogis neben mir decken sich sogar zu. Noch ahne ich nicht, dass sich vor dem Hindergrund des ewig plätschernden Mantras die letzte halbe Stunde niemand mehr bewegen wird. Und dann – auf einmal ‑ spüre ich, wie die Synergien meines Körpers sich aufwinden, leere Gedanken ins Leere verschwinden. Längst träume ich, wie Hunde sich mit Kühen aneinanderreiben, aus freien Stücken ihr Kreuz durchdrücken und aktiv Photosynthese betreiben. Ich atme und spüre das Leben und dann … ist das Training vorbei. Ich werde von einer Seniorensportgruppe geweckt, die mit wissendem Grinsen die Halle betritt.


4. Disziplin: Frisbee

Hipster im Englischen Garten, null Körperkontakt und dann nicht mal ein richtiger Ball im Spiel – zugegeben, ich habe nicht das beste Bild von Frisbee. Aber weil es als Parade-Breitensport gerade in aller Munde ist, wage ich mich daran.

Ich bin deutlich zu spät. Aber no problem, alles chillig. Arne, heiße er, der Trainer; sehe sich aber eher als Mentor. Haarband und Bart – Standard. Er kümmert sich persönlich um mich, bringt mir Vorhand und Rückhand bei. Und das ziemlich geduldig, denn wie auch immer ich den/die/das Frisbee wende, er/sie/es fliegt nicht, wie ich es will. Gelobt werden folgerichtig nur die anderen: „Sehr geiler Smash, Michi!“ – „Bernhard, du Catcher!“ Ich sehe das aber nicht so wild und versuche, mich bei der Verteidigungsübung zu profilieren. Ich gehe voll drauf. „Stopp“, ruft Arne. Man darf sich nämlich nicht berühren. Das ist ein Foul und das Spiel wird unterbrochen. Entschieden wird das aber nicht von einem Schiedsrichter, sondern: The team is the referee. Und so lange sich alle einig sind, ist alles cool. Also er so: „Foul!“ Ich so: „Echt?“ Arne so: „Voll!“ Und ich so: „Läuft!“

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Unsere Frisbeestunde fand leider nicht im Freien statt (Foto: Ken Westerfield)

Dann dürfen wir noch einmal richtig spielen. Go for it, Thomas! Ich hopse durch die Halle, einem krumm fliegenden Ding hinterher, renne ins Leere, lasse mich von meinen Gegnern narren und greife am Frisbee vorbei. Schließlich muss ich unter Schweißperlen zusehen, wie mein Team heillos untergeht.

Nach dem Training beschließen die Jungs, noch in die Bierstube zu gehen. Ich mache mich frustriert auf den Heimweg. Ich beschließe, meine Welt nie wieder zu einer Scheibe werden zu lassen und mich in Zukunft wieder dem runden Leder zu widmen. Letztendlich muss ich aber einsehen: Es kann eben nicht gleich jeder von null auf Hipster.

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