Studentenrevolte zwischen Schweißausbrüchen und Kopfschmerzen: Der Schriftsteller Uwe Timm hat an der LMU studiert – und sie literarisch verewigt. Ein Interview über den Zweck des Studiums, die Macht des Schreibens und die Münchner Universität damals und heute.
Der Roman, in dem Uwe Timm am Beginn seiner Karriere die Erfahrungen seiner Münchner Studienzeit verarbeitet hat, erweist ihn als feinfühligen Chronisten eines Lebensabschnitts: Heißer Sommer legt neben den Konflikten der 68er-Generation Probleme und Fragestellungen offen, die auch für Studenten der Gegenwart nichts von ihrer Aktualität verloren haben. 40 Jahre nach seinem Erscheinen haben wir den Autor zu einem Gespräch getroffen.
PHILTRAT: Herr Timm, vor 40 Jahren ist Ihr Debütroman erschienen: Heißer Sommer. Er beruht auf Erfahrungen, die Sie als Student an der Ludwig-Maximilians-Universität gesammelt haben. Was verbinden Sie heute mit dieser Zeit?
TIMM: Für mich war das damals eine Zeit der Befreiung, besonders im Intellektuellen. Ich habe Philosophie und Germanistik studiert, aber ich konnte alles ausprobieren, ich habe in Kunst und Medizin reingehört, in Theologie … Ich habe die Universität als ein Reich der Freiheit erlebt, und diese positive Grundstimmung hat sich bis heute durchgehalten. Deshalb gehe auch heute noch gerne durch das Gebäude, besonders im Sommer, wenn Ferien sind und alles entspannt ist.
PHILTRAT: An Ihrem Lebenslauf lässt sich ablesen, dass Sie sehr zielstrebig auf das Studium hingearbeitet haben, erst die Kürschnerlehre, dann das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg: Kam es überraschend für Sie, dass die Universität ein Ort war, an dem Sie Ihre Interessen noch einmal breit auffächern konnten?
TIMM: Nein, ich habe den Status „Student“ in meiner Vorstellung immer so gesehen, dass man da auch etwas ausprobieren können muss. Meine Hauptfächer habe ich dann trotzdem sehr gründlich und auch gut studiert. Aber vor allem habe ich während dieser Zeit schon geschrieben. Das tat ich auch als Lehrling und als Schüler. Ich wusste immer: Ich will schreiben.
PHILTRAT: Literarisch?
TIMM: Ja. Das hängt damit zusammen, dass ich in der Schule einen fürchterlichen Deutschlehrer hatte und mit der Orthographie nicht zurecht kam, wie aus Trotz habe ich da begonnen, zu schreiben. Das Schreiben war dann für mich wie eine Kompassnadel. Die
Studienwahl habe ich schon darauf ausgerichtet: Für Philosophie habe ich mich entschieden, weil ich dachte, dass mir das helfen würde, meine Phantasie auch zu ordnen.
PHILTRAT: Erkennen Sie die Universität, wie Sie sie damals erlebt haben, heute wieder? Und was hat sich seit Ihrer Zeit verändert?
TIMM: Was sich auf jeden Fall sehr verändert hat, das sind die Studenten. Als ich damals mein Studium abgeschlossen habe, war alles hoch politisiert, überall wurde diskutiert. Und auch in Bezug auf Literatur kam immer sofort die Frage: „Hat das eine soziale Relevanz?“ Das hat natürlich den Blick auf die Texte eingeschränkt, aber man musste sich rechtfertigen und damit auseinandersetzen. Heute ist dieser Anspruch völlig obsolet. Die Studenten, auf die ich etwa bei Lesungen treffe, sind eher an literaturspezifischen Fragen interessiert.
PHILTRAT: In Heißer Sommer beschreiben Sie, wie die Studenten Ende der 60er Jahre gegen die Gesellschaft rebellieren. Diese Rebellion richtet sich aber auch gegen die Universität. Wie war der Lehrbetrieb zu Ihrer Zeit?
TIMM: Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie die Professoren damals auftraten. Da kam der Oberassistent, dann der Assistent, erste Hilfskraft, zweite Hilfskraft, dann kam der Professor, er setzte sich und alles verstummte. Dann zitierte er die eigenen Ausführungen aus der letzten Stunde, und dann rief er die Leute auch noch auf, fast wie in der Schule! Dann musste man sagen, was das lumen naturalis bei Thomas von Aquin ist, hatte aber selbst die drängende Frage: „Wie sinnvoll ist ein Philosophiestudium?“ oder: „Was kann man heute daraus gewinnen, dass man Thomas von Aquin rezipiert?“ Bei manchen Professoren gab es schon die Möglichkeit, solche Fragen zu stellen und den vorgegebenen Kanon aufzubrechen, aber die waren dann auch überlaufen.