Was in über 500 Jahren zwischen den Seiten der Bücher der Universitätsbibliothek der LMU liegen bleibt, ist zur Zeit im Rahmen der Ausstellung „Fundsache“ zu sehen.
Von Angelika Sarcher
Die Universitätsbibliothek ist ein Ort, um Fragen nachzuforschen und Unklarheiten aus dem Weg zu räumen. Studierende suchen dort nach dem Wissen, das andere schon hervor gearbeitet haben. Manche Fragen sind schwerer zu lösen als andere: Was hat beispielsweise das Steuerformular der Kolonialverwaltung aus dem chinesischen Kiautschou in einer Prachtausgabe zu ägyptischen Hieroglyphen zu suchen? Oder: In welchem Buch muss sich das Manuskript eines Romans wohl befunden haben, wenn in diesem augenscheinlich ein Sultan, seine Favoritin, wie zwei „verliebte Menschenkinder“, die in den Zauber alter Gottheiten geraten, wichtige Rollen spielen?
Manche Funde hingegen lassen sich ganz gut einordnen, erklärt Sven Kuttner, der als stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek die Ausstellung „Fundsache“ kuratiert. So hätten sich etwa in einer Schenkung vier liturgischer Bücher neben dem Bild eines Passauer Bischofs zahlreiche Sterbebildchen geistlicher Würdenträger*innen aus der weiteren Umgebung befunden. Wahrscheinlich sei somit, dass sowohl der Besitzer der Bücher als auch der Einleger im Umkreis der Theolog*innen beschäftigt waren.
Dass diese Lesezeichen mehr als nur eine Ordnungsfunktion erfüllten, lasse sich am Beispiel der Sterbebildchen gut zeigen, merkt Kuttner an. Im Gegensatz zu vielen anderen Funden seien diese nicht beliebig zur Markierung einer Seite gewählt, sondern absichtlich in den Büchern gesammelt worden und seien für den Besitzer womöglich auch selbst eine Erinnerungsstütze gewesen.
Manche Funde lassen mehr Raum für Fantasie
Weniger Sicherheit, dafür mehr Potenzial für Fantasie, birgt die Fotoserie eines amerikanischen GIs aus seiner Zeit in Bayern nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Architektur der Häuser auf den Bildern ließen Oberbayern vermuten, so der Kurator. Zwischen dem Bild einer Krankenschwester in einem amerikanischen Lazarett befinden sich Fotos zweier weiterer Frauen, die in Deutschland aufgenommen wurden: eine Brünette Dame und eine Blonde, daneben die Fotos einiger Kinder.
Zu wem genau diese Kinder gehörten, lasse sich nicht erkennen. Kuttner merkt an, dass er vermute, diese Fotos seien auf Grund ihrer Menge mit Absicht im Sammelband einer Zeitung von 1906 liegen gelassen worden, um mit diesem auch einen Lebensabschnitt zu schließen und hinter sich zu lassen.
Gemeldet habe sich tatsächlich noch niemand, der/die für sich selbst oder Vorfahr*innen Ansprüche auf Stücke aus dem Fundus erhoben habe. Gerade Funde aus dem Alltagsleben der Bibliotheksnutzer*innen haben einen besonders emotionalen Charakter. 500 Menschen hat die Ausstellung laut Kuttner allein im Rahmen der Langen Nacht der Münchner Museen angezogen. „Viele Besucher waren überrascht, dass solche Dinge tatsächlich aufgehoben werden“, erklärt Kuttner, „selbstverständlich ist das nicht.“
In der Regel wurde früher alles entsorgt
In der Regel sei alles entsorgt worden, was zwischen den Buchseiten der Universitätsbibliothek liegen geblieben ist, mit Ausnahme der eindeutig wertvollen Gegenstände. Etwa die spätantike oder byzantinische Münze, die in einem Band zur Numerologie auftauchte, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einer Tauschaktion aus der kurpfälzischen Hofbibliothek Mannheim in die Universitätsbibliothek nach Landshut kam.
Gefunden und aufgehoben hat der stellvertretende Direktor der Universitätsbibliothek auch die Überreste einer Fliege, die ihm beim Aufschlagen eines Drucks aus dem frühen 16. Jahrhundert nicht mehr entgegen flatterte. Die Fliege wurde in einer Box untergebracht, durch deren durchsichtigen Deckel man auf dem Boden eine Kopie der Buchseite sehen kann, auf der sich ihr jähes Ende abspielte. Inklusive der Blutspuren, die sich auch weiterhin im Original befinden, welches ebenfalls ausgestellt ist.
Seit 15 Jahren sammelt Sven Kuttner, was er in Büchern findet. Während er immer akribisch den Fundort notiert, gibt es auch eine große Anzahl an Papierstücken, die zwar gesammelt wurden, die aber leider nicht mehr zuzuordnen sind – darunter zerschnittene Leihscheine aus der Zeit der Universitätsbibliothek in Landshut und den Anfängen in München vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Gleiches gilt für die mehr als 30 Jahre umfassende Lesezeichensammlung des verstorbenen Kollegen Hermann Wiese, die es in Teilen in die Ausstellung geschafft hat.
Die Ausstellung „Fundsache“ befindet sich noch bis zum 24. Januar 2020 in der Ausleihhalle der Universitätsbibliothek am Geschwister-Scholl-Platz 1 und kann dort zu den regulären Öffnungszeiten besucht werden.