Zitate griechischer Klassiker*innen zieren die Glastüren im Philologicum, der neuen Sprachbibliothek der LMU. Zumindest Ausschnitte davon. Jetzt müssen sie ausgebessert werden.
Von Samuel Kopp
Den ersten großen Skandal der neuen Sprachbibliothek in der Münchner Ludwigstraße dürfte kaum ein*e Studierende*r mitbekommen haben. Wahrscheinlich haben die meisten die altgriechischen Zitate aus Homers Odyssee auf den Glastüren des Gebäudes beim Durchgehen zur Kenntnis genommen. Wahrscheinlich haben einige auch die Kommiliton*innen bemerkt, die zu Semesterbeginn an diesen Türen mit Klemmbrett und Rotstift die Durchgänge versperrten. Und sie nicht freigaben, ehe sie jedes Wort, jeden Akzent, jeden Schnörkel der griechischen Minuskel mit der Vorlage abgeglichen hatten.
Vertreter*innen der klassischen Philologie freuten sich zunächst, dass das Altgriechische an den Türen der Bibliothek nun allgegenwärtig ist. Führt doch die Altgriechische Philologie trotz großer Tradition heute eher ein Nischendasein im Fächerangebot der Universität. Als am 30. September das Philologicum endlich eröffnet wurde, war der Schrecken aber groß: Viele der Texte des Dichters Homer sowie ein Zitat der Dichterin Sappho sind fehlerhaft.
Der mitten im Vers abbrechende Text: ein Kunstgriff?
Mit dem griechischen Alphabet Vertraute wissen, dass der Buchstabe Sigma am Wortende seine Form von σ zu ς ändert. Insofern dürften sich nicht nur Altphilolog*innen wundern, in einem Gedicht der Sappho das Wort Δίοσ (Dίos, übs. des Zeus) zu lesen. Auch einen Akzent, der aussieht wie das Größer-als-Zeichen, hat man im Griechischen noch nie gesehen.
Viel gravierender als solche verzeihlichen Zeichenmakel ist aber, dass der Text gleich zu Beginn der Odyssee mitten im Vers und an der spannendsten Stelle abbricht. Bezogen auf Odysseus steht da geschrieben: „Er suchte zu retten seine Seele und…“. Ein naheliegender Gedanke wäre: Hier handelt es sich um einen gewollten Kunstgriff, einen Cliffhanger, der die Studierenden dazu anregen soll, sich im Philologicum selbst in eine Homer-Ausgabe zu vertiefen. Das scheint aber insofern unwahrscheinlich, als der Text eine Tür weiter mit dem nächsten Vers wieder einsetzt.
Wie konnte es ausgerechnet in einer Sprachbibliothek zu solchen Ungenauigkeiten im Text kommen? Wurde etwa nicht auf eine wissenschaftliche Ausgabe zurückgegriffen? Zwei Rückschlüsse scheinen plausibel: Entweder haben die Planer*innen der griechischen Türverzierung als Vorlage ein 2700 Jahre altes Originalmanuskript Homers aus dem sandigen Boden einer Ägäisinsel gezogen, das die philologischen Bemühungen einiger Jahrhunderte narrt. Oder aber – und diese These darf inzwischen als Lehrmeinung gelten – es war tatsächlich grober Pfusch die Ursache.
Ein Fachmann befasst sich nun mit dem Problem
Vor diesem Hintergrund forderte ein Kommilitone im ersten Schreck sogar, man müsse das Philologicum sofort wieder abreißen, weil hier schon die Basis der europäischen Literatur einer wissenschaftlichen Grundlage entbehre. Aber das scheint zu hart. Fürs Erste genügt es wahrscheinlich, die Inschriften auf den Türen auszubessern.
Mit Peter Isépy vom Lehrstuhl für Griechische Philologie befasst sich nun ein Fachmann mit dem Problem. Und bis dahin erfüllen Homers Worte wenigstens einen ähnlichen Zweck wie die schwarzen Vogel-Silhouetten in Schaufenstern: dass kein*e Philologe*in, über Grammatik und Syntax nachsinnend, die gläsernen Türen übersieht und mit dem Kopf dagegen donnert.