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Der mechanische Arm der Revolution

Die Inszenierung von Georg Büchners „Dantons Tod“ des Münchner Residenztheaters besticht vor allem durch das Visuelle; Regisseur Sebastian Baumgarten porträtiert eine zerrüttete Welt, die den moralischen Verfall der Figuren nach außen projiziert. 

„Das Guillotinenthermometer darf nicht fallen!“ Revolutionäre im Streitgespräch: Florian von Manteuffel (l.), Johannes Nussbaum. ©Foto: Sandra Then

Von Susanne Sonnleitner

Liberté, Egalité, Fraternité – den „Slogan“ der Französischen Revolution kennt wohl heutzutage jede*r. Dass es dabei aber nicht immer so brüderlich zuging, wie behauptet, lässt sich leicht an der überlieferten fleißigen Benutzung der Guillotine ablesen. Die Revoluzzer*innen ließen zuerst die Köpfe der Adligen rollen; doch dabei blieb es nicht.

„Dantons Tod“ in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten nimmt sich dieses Themas an und erschafft eine industriell anmutende, von Staub bedeckte, dreckige Welt, bewohnt von selbstzerstörerischen, zerrütteten Figuren. Dass die Revolution bereits ihre besten Tage hinter sich hat, merkt man vor allem an ihnen; die Jakobiner – im Stück bestehend aus einer Gruppe an Männern –  unter Maximilien Robespierre opfern ihre Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Möglichkeit, sämtliche „Verräter*innen“ und Andersdenkende zu exekutieren, um die Revolution voranzutreiben. Wer sich dem entgegenstellt, wird selbst als Verräter*in gebrandmarkt. So versucht auch der gemäßigte Revolutionär Georg Danton seinem Mitstreiter Robespierre ins Gewissen zu reden. Wie der Titel des Stückes bereits verrät, scheitert Danton – und ehemalige Verbündete werden zu Todfeinden.

Baumgarten lässt seine Figuren auf einer schwerfälligen Drehbühne zwischen den verschiedenen Bühnenbildern und Szenen wechseln. Dieser Mechanismus, gepaart mit auffälligen Details wie einem primitiven mechanischen Arm, der in der Versammlung der Jakobiner unentwegt die gleiche stockende Bewegung ausführt, gibt der Inszenierung einen kalten, industriellen Anstrich, in dem alles Menschliche allmählich verwest und ins Mechanische übergeht. Selbst die Figuren der Jakobiner passen sich in ihren Bewegungen und in der Aussprache zuweilen dem Rhythmus des Maschinenarms an, sie krümmen sich stockend und geben bereits Gesagtes in exakt gleichem Tonfall wieder. 

Sie wirken wie lebendige Tote

Nicht nur Bewegung und Sprache zeigen eine zunehmende Entmenschlichung; der stete moralische Verfall, in dem sich die Figuren befinden, überträgt sich auch auf ihr Äußeres: Die Köpfe sind kahl, die Frisuren ungepflegt, offene Wunden ziehen sich über die Gesichter, Mascara ist verschmiert und Kleidung staubig und ungewaschen. Sie wirken wie lebendige Tote, durch die Dauer und die Brutalität der Revolution ausgemergelt, bereits mit einem Bein im Grab. Alles steht im Zeichen des Zerfalls. 

Danton und seine Anhänger werden von den Jakobinern angeklagt, nach der Enteignung der Reichen selbst deren Reichtum übernommen zu haben. Dieser Luxus offenbart sich jedoch lediglich als ein trügerischer schöner Schein, als Robespierre, von Danton zu einer Aussprache geladen, in seinem Weinglas nur ein Häufchen Staub vorfindet.

Die letzte Szene scheint nur da zu sein, um sicherzugehen, dass die Botschaft des Stücks auch wirklich jede*r verstanden hat

Die Welt der Revolution bleibt eine dreckige, in der kein Platz für unnützes Schönes und auch nicht für kritische Stimmen, die das Vorgehen der Jakobiner hinterfragen, zu sein scheint. Baumgarten gelingt es mit seiner sehr auf das Visuelle bedachten Inszenierung gut, diese Brutalität und Wucht der Revolution darzustellen. Lediglich die letzte, von Baumgarten hinzugefügte Szene wirkt etwas forciert: Es findet ein Zeitsprung in die Gegenwart statt, in der ein Akademiker eine Vorlesung über die Revolution und über das Schicksal Dantons und seiner Anhänger hält. Er stilisiert sie zu Opfern, die wiederum durch ihren Widerstand gegen die Jakobiner selbst einen Akt der Revolution ausgeführt hätten. Diese Szene scheint nur eingefügt, um sicherzugehen, dass die Botschaft des Stücks auch wirklich jede*r einzelne Zuschauer*in verstanden hat, und ist für seine Gesamtwirkung unnötig, da die vorhergehende Szene besonders durch Dantons letzte Worte recht eindeutig ist.

Letztendlich ist „Dantons Tod“ eine gelungene Inszenierung, wozu  das Visuelle, allen voran Bühnenbild, Kostümierung sowie Mimik und Gestik der Schauspieler*innen wesentlich beitragen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren macht aus der Inszenierung ein unterhaltsames Gesamtbild einer schnelllebigen und ungeschönten Welt voller moralisch korrumpierter Figuren, ganz dem Charakter einer gewalttätigen Revolution entsprechend.

Noch bis 31.12.2020 können Dantons Tod sowie weitere Theaterstücke kostenlos auf der Website des Residenztheaters unter „Resi sendet“ angesehen werden.

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