Kulturphilter

Roter Plastikschnee

Bitte zweimal hinschauen: Kunst und Literatur im Provisorium.

Ein Bericht von Anna Sophia Hofmeister                                                                                        

 

 

Foto: Dorin Popa
Nadaville (Foto: Dorin Popa)

Sie heißen Charlene, Chantal, Carmen-Marie und sind in erster Linie Töchter. Beauty, Botox und Showbiz umranden ihre so enge Lebenswelt, in der sie sich dennoch verlieren: eine Telenovela aus Luxusproblemen. Die Geschichten, die das charmante Literatenduo Katrin Baumer und Jessica Riccò, kurz Nadaville, zusammen mit Saskia Kalis unter dem Titel „Tochter von“ präsentieren, geben Einblick in die hübschen Köpfchen von hauptberuflichen Erbinnen, It-Girls und reichen Gattinnen. Das Publikum, das anfangs tatsächlich in der Hauptsache aus „Töchtern“ besteht, lacht fröhlich zu den bissigen Pointen; wie aus einer anderen Welt, so scheint es, stammen die Sorgen und Nöte der Protagonisten in den Kurzgeschichten.

Auf den zweiten Blick wird aber klar: wir stecken mitten drin. Denn auch die kunstbegeisterten jungen Menschen, die sich hier im Provisorium, der temporären Location zwischen ehemaligem Gasthaus und künftigem Hotel, eingefunden haben, sind nicht von schlechten Eltern. Woody-Allen-Brille, schnittige Frisur und sorgsam ausgewählte Vintageklamotten. Sich auf den ersten Eindruck verlassen darf man auch nicht bei der parallel zur Lesung laufenden Ausstellung, die den schönen Titel trägt: „Die Traurigkeit einer jungen Frau – ach ne, doch nicht“. Michaela Herzog, Valentina Eppich und Fabian Bross stellen erstmalig die Ergebnisse ihres Schaffens vor.

 

Drei Künstler, drei Stile, drei Arbeitsweisen


Foto: Valentina Eppich
Kunst von Fabian Bross (Foto: Valentina Eppich)

Die Kombination ist hier der Clou. Neben abstrakten Holzstiftzeichnungen zeigt Michaela Herzog Zeichnungen von Menschen in Alltagssituationen, welche die Rechtshänderin mit der linken Hand angefertigt hat (auch etwas, was nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist). Die großen Gemälde von Valentina Eppich sind in ausdrucksstarken Farben gehalten, ihre Themen nicht der Alltag, sondern die Ausnahmesituation. Zahnschmerzmonster und Palindrom, die Titel lesen sich wie aus einem phantastischen Lexikon. Fabian Bross wiederum präsentiert regelrechte Studien: Seine Collagen recyceln Kunst zu Kunst, die als Versatzstücke mit photographischen Momentaufnahmen zusammengesetzt werden. Daneben erforscht er in thematischen Fotosammlungen die Stadt als Lebensraum, immer mit dem Augenmerk auf den kleinen Dingen, an denen man meist unachtsam vorübergeht.

Foto: Valentina Eppich
Kunst von Valentina Eppich und Michaela Herzog (Foto: Valentina Eppich)

Die unterschiedlichen Ansätze eint, dass alle Werke konkrete Figuren und Situationen darstellen, diese aber durch eine gewisse Technik der Kombination ins Abstrakte ziehen. Die auf den ersten Blick enthaltene Botschaft wird auf den zweiten hin schon wieder in Frage gestellt: so beispielsweise bei dem spielenden Hund, überschattet von den Augen einer unendlich traurigen Frau (Valentina Eppich), oder auch bei der mittelalterlichen Stadtansicht, die eine Pornoszene überragt (Fabian Bross). Im ersten Moment ästhetisch, im zweiten beunruhigend. Für den, der sich die Zeit dafür nimmt, erzeugt diese Zusammenstellung Nachdenklichkeit, und – im zweiten Schritt – auch die tiefere Erkenntnis, dass in diesem Abend doch kein Zufall steckt. Die Themen der Künstler, wie Abnabelung, Nacktheit und Traurigkeit, und all die „fiktiven“ Luxusprobleme der in der Lesung besungenen höheren Töchter bauen eine unsichtbare Brücke hin zu uns und unserer „Realität“. Die da eben ist: schwermütige Einsamkeit in beinahe makellosen Marmorkörpern.

 

Die Ausstellung ist noch von Dienstag, 20.09.11, bis Mittwoch, 21.09.11 zu sehen:

Provisorium

Lindwurmstr.37, München.

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