Rezension

Dhobi Ghat – Mumbai Diaries

Copyright: Aamir Khan Productions

Eine Reise ins Indien der Gegensätze

Am 29. September 2011 ist mit den Bombay Diaries ein indischer Film in die deutschen Kinos gekommen, dessen Handlung und szenische Umsetzung den Zuschauer in eine Metropole der Gegensätze entführt. Rein gar nichts erinnert an die typischen Bollywoodproduktionen, teilweise wirken die verschiedenen Handlungsstränge durch die angewandte Guerilla-Technik wie durch die Augen eines Amateurfilmers mit dementsprechend einfacher Ausrüstung beobachtet.

Der Film handelt von einer Reise im Jahr 2011 von New York nach Bombay, dem am Arabischen Meer liegenden wirtschaftliche Zentrum Indiens. Als die junge amerikanische Fotografin Shai in Mumbai ankommt und mit dem Taxi die Küste vor der Stadt entlangfährt, schildert sie ihren ersten Eindruck mit den Worten:

The sea-air is so different – it smells like peoples desires.”


Nur einen Augenblick später blickt auch schon ein kleines bettelndes Mädchen in Lumpen durch das Autofenster und bittet um Geld. Shai hat sich in den Kopf gesetzt, Mumbai, die ehemalige Heimatstadt ihrer Eltern, mit dem Fotoapparat zu erkunden und ähnlich bildgewaltig wie bereits in den Motorcycle Diaries – die Reisetagebüchern des jungen Che Guevara werden originale Momentaufnahmen aus den Straßen der indischen Stadt in den Film eingebettet. Shai wirkt in ihren ersten Begegnungen mit Indien sehr furchtlos und wie selbstverständlich durchbricht sie alle Konventionen, die durch das immer noch geltende Kastenwesen ihre gesellschaftliche Legitimation finden. Schnell freundet sie sich mit Munna, einem sogenannten “Dhobi”, an und streift mit ihm durch die Stadt. “Dhobi” bedeutet “Wäscher” und damit ist Munna einer Kaste zugehörig, die weit unter der von Shais anderen Bekannten in Indien angesiedelt ist. Der Arbeitsplatz von Munna ist Dhobi Ghat, ein riesiger Waschplatz inmitten von Bombay, an dem zumeist die Bettwäsche der Hotels und Krankenhäuser gewaschen wird und damit zahlreichen Indern eine kleine Bezahlung einbringt. Munna und Shai spazieren durch eine Markthalle und während der Dhobi anscheinend im ersten Moment nicht versteht, warum die junge Amerikanerin so viele Fotos von dem für ihn alltäglichen Anblick der arbeitenden Stadtbewohner und Warenkörbe schießt, lässt Shai vernehmen :

I want to understand…”

An dieser sympathisch-naiven Vorstellung, eine fremde Kultur anhand von Fotografien und Gesprächen kennenlernen zu wollen, lässt der Film teilhaben. Genauso ehrlich und spontan wie die junge Protagonistin dem neuen Freund ihre Motivwahl erklärt, werden dem Zuschauer Szenarien aus dem bunten Großstadtleben präsentiert und Einblicke in unterschiedliche soziale Milieus gewährt.


Der Komponist Gustavo Santaolalla (Foto: Unbekannt)

 

In dem Werk der bis dato relativ unbekannten indischen Regisseurin Kiran Rao werden laute religiöse Zeremonien im Stadtzentrum aus der Perspektive eines unbeteiligten Passanten gezeigt und, da Shai von Anfang an mit Einheimischen verkehrt, bekommt man auch deren abgelegene Lieblingsplätze zu Gesicht. Die mit dezenter traditioneller Musik untermalten Szenen am Strand vor der Stadt und in den Straßen wirken nie verkitscht, sondern vielmehr wie ein authentisches Reisetagebuch einer vorurteilsfreien und leidenschaftlichen jungen Frau. Die Filmmusik stammt von Gustavo Santaolalla, der schon die Titelmusik für Babel und Amores Perros komponiert hat und 2006 für den Soundtrack zu 21 Gramm einen Oskar erhielt. Als Mitbegründer der argentinischen Gruppe Bajo Fondo Tango Club arbeitet Santaolalla schon seit längerem daran, traditionelle Musik mit elektronischen Tönen zu verbinden, was sich auch in Dhobi Ghat niederschlägt.

 

Neben der Begegnung mit Munna wird die emotionale Episode mit dem Künstler Arun erzählt. Hier wird ein Indien vorgestellt, dessen Bewohner schlicht mehr Geld haben und dementsprechend anders auftreten; sie müssen nämlich nicht mit Krankheiten umgehen, die in weiten Teilen der Welt lange besiegt sind, und die Mahlzeiten für die nächsten Tage sind auch gesichert. Shai taucht an dieser Stelle in die Kunstszene der Stadt ein und dem Zuschauer wird ein Mumbai gezeigt, in dem auf modernen Vernissagen Rotwein getrunken und bis spät in die Nacht hinein debattiert wird. Außerdem kommt es in der Künstlerwohnung von Arun zu einer spontanen Liebesnacht.

Nothing important starts in Bombay before 22 o`clock.“

In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Menschen auf den Straßen und Dächern Bombays den ganzen Tag ums Überleben kämpfen, wirkt diese Aussage eines mittelständischen Künstlers genauso oberflächlich, wie der Umgang Aruns mit dem Gefühlsleben der jungen Amerikanerin. Wie wir es von vielen modernen Beziehungen kennen, wird man auch hier Zeuge davon, wie Shai mit ihren romantischen Ambitionen von Arun alleine gelassen wird.


Das Dhobi Ghat in Mumbai (Foto: Nichalp)

Dhobi Ghat ist erfrischend unkonventionelles indisches Kino und schildert auf mehreren Ebenen das Motiv Sehnsucht. Von der Sehnsucht nach wenigstens etwas Geld, überhaupt einer Arbeit oder einem besseren Job, bis hin zu dem Streben nach einer erfüllten Liebe, ist in Indien alles zu finden, wie in Amerika oder den europäischen Staaten auch. Während sowohl die besser Verdienenden als auch die Wäscher und Straßenarbeiter am Feierabend Werbesendungen und Daily Soaps im Fernsehen angucken, hängt jedoch der für uns ungewöhnliche Schatten des Kastenwesens über allen gesellschaftlichen und sozialen Interaktionen. Indien ist immer noch Kulturshock – Mumbai ist eine Stadt mit bedenklicher Luftverschmutzung und erlebt regelmäßig den seuchenartigen Ausbruch verschiedener Infektionskrankheiten, da monsunbedingte Regenfälle immer wieder das bereits sehr unzureichende Kanalisationssystem vollkommen lahm legen. Während große Teile der Bevölkerung stetig weiter verarmen und in Slums ohne Strom und Trinkwasser leben, gibt es eben auch jene städtische Mittelschicht, in der Künstler wie Arun ihr Glück zu finden versuchen.

 

Wer sich für die indische Gesellschaft interessiert oder einfach nur einen gemütlichen Kinoabend im Herbst einlegen möchte, dem sei Dhobi Ghat – The Mumbai Diaries ans Herz gelegt. Nun ist der Film auch in den deutschen Kinos zu sehen und während Shai am Ende der Geschichte wieder die Heimreise in die USA antritt und ihre neuen Bekannten mit all ihren Wünschen und Sehnsüchten auf dem Subkontinent alleine lässt, können auch wir nach der Vorstellung wieder nach Hause gehen und uns vielleicht die Frage stellen, ob das, was auf den ersten Blick fortschrittlich und modern wirkt, auch immer so erstrebenswert ist, wie es einem verkauft wird. Mumbai Diaries ist nach Aussage der Regisseurin eine Hommage an das pulsierende Bombay; dabei verklärt der Film in Umsetzung, Sprache und ästhetischen Mittel den Blick auf die Stadt jedoch nie, sondern gibt einen mitunter schönen, vor allem aber stets ehrlichen und berührenden Eindruck der sich laufend verändernden Weltmetropole.

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