Jugendbotschafter*innen der Entwicklungsorganisation ONE haben vor Kurzem EU-Abgeordnete getroffen, unter ihnen auch LMU-Studentin Natalia Loyola Daiqui. Sie warben dafür, sich stärker gegen extreme Armut und vermeidbare Krankheiten zu engagieren.
Ein Gastbeitrag von Natalia Loyola Daiqui
Da stehen wir nun, aufgeregt und erwartungsvoll. Das Europäische Parlamentsgebäude am Place du Luxembourg in Brüssel ragt vor uns weit in die Höhe. An vielen Tagen halten sich mehr als 10.000 Menschen darin auf – und heute, am 5. November 2019, werden wir zu ihnen gehören. Wir sind eine Gruppe von rund 30 jungen Aktivist*innen aus sechs verschiedenen EU-Ländern, allesamt in unserer Funktion als ONE-Jugendbotschafter*innen. Unser gemeinsames Ziel: die EU dafür in die Pflicht nehmen, ihren Beitrag zur Bekämpfung von extremer Armut und vermeidbaren Krankheiten zu leisten. Wir wollen an existierende Versprechen erinnern, an die Rolle der EU in der Welt und daran, dass es bei der Armutsbekämpfung nicht um Almosen, sondern um eine Frage der Gerechtigkeit geht. Wir haben einen langen Tag vor uns.
Kein Ende extremer Armut ohne die EU
Zusammen mit ihren Mitgliedsstaaten ist die EU die weltweit größte Geberin von Entwicklungsmitteln. Damit kommt ihr eine ganz besondere Rolle im globalen Kampf gegen extreme Armut zu. Über den Umfang und den Einsatz ebendieser Mittel wird gerade diskutiert. Die Verhandlungen zum EU-Siebenjahresbudget sind gerade in vollem Gange. Der sogenannte „Mehrjährige Finanzrahmen“, für die Jahre 2021 bis 2027 umfasst die gesamten EU-Ausgaben, also auch den Etat für Entwicklungszusammenarbeit. Hier sollte die EU klotzen und nicht kleckern.
An dieser Stelle kommen wir Jugendbotschafter*innen ins Spiel: Im Laufe des Tages werden wir uns mit über dreißig Europa-Abgeordneten treffen, um mit ihnen über die entwicklungspolitische Agenda der EU zu sprechen. Gleichzeitig wollen wir sie überzeugen, zu Mitstreiter*innen gegen extreme Armut zu werden und unser „ONE Vote“-Versprechen zu unterzeichnen. Damit verpflichten sie sich öffentlich dazu, sich in der EU für die Menschen einzusetzen, die am stärksten von extremer Armut betroffen sind. Denn eines ist klar: Ohne eine ehrgeizige EU werden wir die UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 nicht erreichen können.
Wir leisten Überzeugungsarbeit bei den Abgeordneten…
Konkret bedeutet das: Wir sprechen mit den EU-Abgeordneten über die entwicklungspolitischen Prioritäten, die gesetzt werden müssen, um extreme Armut bis 2030 zu beenden (SDG 1, siehe Infokasten). Das ist möglich – seit 1990 hat sich die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, bereits um 60 Prozent reduziert. Damit wir hier weiter vorankommen, ist für die Zukunft weiterhin ehrgeiziges Handeln notwendig – einerseits hinsichtlich des Investitionsvolumens, andererseits zur konkreten Verwendung der Mittel. Wir pochen darauf, dass im Budgetplan verbindliche Ziele dafür festgelegt werden, dass die Mittel für die Menschen eingesetzt werden, die sie am nötigsten brauchen und in die Bereiche fließen, in denen sie am effektivsten im Sinne der Armutsbekämpfung wirken. Um Armut zu beenden, müssen insbesondere Frauen und Mädchen gestärkt werden. Besonders wichtig sind auch Investitionen in Bildung und Gesundheit.
Die Vereinten Nationen haben sich auf 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 geeinigt. Dazu gehören das Ende extremer Armut und Hunger, die Schaffung von Frieden, der Ausbau erneuerbarer Energien, Nahrungsmittelsicherheit, und die Bekämpfung des Klimawandels. |
All das stellen wir den EU-Abgeordneten in Kleingruppen vor. Die Parlamentarier*innen hören zu, fragen nach und erzählen ihrerseits von Erfahrungen aus der Entwicklungspolitik auf nationaler oder EU-Ebene. Darüber hinaus erkennen sie meist den Zusammenhang zu anderen Zielen, für die sie politisch eintreten. Angeregt durch unsere Impulse möchten sie auch andere Kolleg*innen ansprechen, die ebenfalls mit dem Thema befasst sind. Die Mitarbeiter*innen der Abgeordneten machen eifrig Notizen. Am Ende der Gespräche stellt sich die große Frage: Wird der oder die Abgeordnete sich auch offiziell bereit erklären, unsere Forderungen zu unterstützen und unser „ONE Vote“-Versprechen unterzeichnen? Viele zücken gleich den Stift und unterschreiben. Einige zögern, der politische Berater solle da noch einmal drüber schauen.
… und kreieren dabei die größte Fraktion im EU-Parlament
Insgesamt haben wir an diesem Tag 24 Abgeordnete überzeugen können, sich öffentlich für eine starke EU-Entwicklungspolitik einzusetzen. Zusammen mit den Unterstützer*innen, die wir bereits vor den Europawahlen im Mai gewinnen konnten, kommen wir auf insgesamt 204 Abgeordnete, die ihren politischen Einfluss inner- und außerhalb des Plenarsaals dazu nutzen wollen, den Kampf gegen extreme Armut auf EU-Ebene voranzubringen. Die politische Gruppe, die sich der Armutsbekämpfung verschrieben hat, stellt damit die ‚größte Fraktion‘ im EU-Parlament – noch vor der Europäischen Volkspartei (EVP), die 182 Abgeordnete zählt (mitzuverfolgen über den MEP-Tracker).
Laut Weltbank gilt als extrem arm, wem pro Tag weniger als 1,90 US-Dollar zur Verfügung stehen. Neben der Höhe des Einkommens ist auch der Zugang zu Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Informationen entscheidend. Heute leben knapp zehn Prozent der Weltbevölkerung (rund 700 Millionen Menschen) in extremer Armut. |
Am Ende des Tages sind wir erschöpft, aber zufrieden. Jede*r von uns hat drei oder vier Abgeordnete getroffen und an die Türen von vielen weiteren geklopft, in der Hoffnung auf ein spontanes Treffen. Der heutige Tag ist aber lediglich ein kleiner Teil eines großen Vorhabens. In den nächsten Monaten werden wir die Budget-Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat mitverfolgen und die Abgeordneten an ihr Versprechen erinnern. Wir werden uns an die jeweiligen nationalen Regierungsmitglieder wenden, damit auch sie sich für ehrgeizige entwicklungspolitische Ziele der EU einsetzen. Es wird noch viel zu tun sein. Fürs Erste verlassen wir aber das gläserne, im Dunkeln des Abends angeleuchtete Parlamentsgebäude und machen uns auf den Heimweg.
Natalia Loyola Daiqui ist 23 Jahre alt und studiert Jura und Philosophie an der LMU München. Als Jugendbotschafterin bei ONE engagiert sie sich auf lokaler wie europäischer Ebene für ein Ende von extremer Armut und vermeidbarer Krankheiten. Für kommendes Jahr sucht ONE wieder Jugendbotschafter*innen, bewerben kann man sich hier bis zum 16. Dezember 2019.