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„Einer muss ja doch schließlich mal damit anfangen“

Die „Weiße Rose“ Gedächtnisvorlesung 2013

Auch siebzig Jahre nach den Schrecken des Nationalsozialismus wird den Opfern dieser Zeit gedacht. Zusätzlich zur Dauerausstellung zur „Weißen Rose“ im Untergeschoss des Hauptgebäudes der LMU gibt es jedes Jahr eine Gedächtnisvorlesung, die dieses Jahr einen ganz besonderen Redner hatte: Bundespräsident Joachim Gauck.

 

Da hieß es, schnell zu sein, denn schon einen Tag nach der offiziellen Einladung der LMU waren die Karten fürs Audimax vergeben. Wer aber zufällig am Mittwoch zur rechten Zeit am rechten Ort war, konnte sich, da nicht alle Karten abgeholt worden waren, doch noch eine sichern. Nur nach Vorlage des Personalausweises, der Eintrittskarte und unter strengem Blick des Sicherheitspersonals wurde der Einlass gewährt.

Gauck hatte 1996 schon einmal die Gedächtnisvorlesung gehalten, damals noch als Bürger ohne repräsentatives Amt. Und wie schon Richard von Weizsäcker und Johannes Rau hatte er nun auch als Bundespräsident die Ehre, diese Aufgabe zu erfüllen.

Gauck begann seine Vorlesung mit einem Zitat Sophie Scholls: „Einer muss ja doch schließlich mal damit anfangen.“ Diese Worte hatte sie am 22. Februar 1943 bei ihrer Anhörung an den Präsidenten des sogenannten „Volksgerichtshofs“, Roland Freisler gerichtet. Noch am selben Tag wurde sie mit ihrem Bruder Hans Scholl und anderen Mitgliedern der studentischen Widerstandsgruppe zum Tode verurteilt und hingerichtet. „Ermordet, weil sie hingeschaut, sich empört und gehandelt haben. Weil sie auch andere dazu bewegen wollten, hinzusehen und nicht mehr zu schweigen“ betonte Gauck.

Er sprach sich dafür aus, sich auch heute nicht hinter Ohnmachtserklärungen wie „Was nützt es, wenn ich anfange, solange die anderen nicht mitziehen?“ zu verstecken. In der Erinnerung an die Gräueltaten jener Zeit, so appellierte er,  sollten wir nicht in Ehrfurcht erstarren vor denen, die sich dagegen gewehrt haben, sondern lernen, auch „nein“ zu sagen, wenn ein „ja“ so viel einfacher erscheine. Wir können uns die Frage nicht beantworten, wie wir damals gehandelt hätten, aber wir haben heute die Möglichkeit, uns neu zu entscheiden. „Natürlich – “ so sagte Gauck, „es ist unbequem, daran erinnert zu werden, was möglich gewesen wäre, zum Teil mit schlichter Menschlichkeit.“

 

Mehr als ein „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ 

 

Erst 1968 wurde im Grundgesetz verankert, dass jeder Deutsche das Recht zum Widerstand hat, wenn er die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr sieht. So muss man heute lernen, „den Mut zu Eigenständigkeit und Andersartigkeit“ zu entwickeln und unsere Werte im Herzen zu tragen, in dem die tiefe Überzeugung wächst, dass man die Fähigkeit besitzt Gutes zu tun. Gauck betonte, dass wir heute die Freiheit wieder hätten, die das Volk damals nach der Weimarer Republik „ziemlich freiwillig aufgegeben hatte.“

Gauck ermutigte seine Zuhörer: „Es ist doch euer Land, gestaltet es mit, nach euren Kräften.“ Schon vor zwanzig Jahren, berichtete er, habe Richard von Weizsäcker beklagt, dass Bürger sich Politik eher servieren ließen als Träger derselben zu sein. Damals war das Wort „Politikverdrossenheit“ zum Wort des Jahres gewählt worden. Doch für Gauck gehören Politik und Bürger unmissverständlich zusammen, denn er beschreibt Politiker als Bürger mit einer besonderen Verantwortung und Verpflichtung im Auftrag der übrigen Bürger. Er forderte dazu auf, sich politisch mit mehr als einem „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ zu engagieren. „Wir brauchen demokratische Parteien und Bürger, die geschlossen jene ächten, die andere ächten. Wir tolerieren keine antimuslimischen, antisemitischen, antideutschen, rechtsextremistischen oder fundamentalistischen Äußerungen und Aktivitäten. Wir treten entschlossen denen entgegen, die aus ideologischen oder religiösen Gründen Fanatismus und Gewalt ins Land tragen. Wir dulden weder Ausgrenzung noch Gewalt – von niemandem gegen niemanden, gleichgültig, ob sie von Minderheiten unter Einheimischen oder Zugewanderten ausgehen. Der Kampf gegen Vorurteile, Verachtung und Hass ist eine bisweilen unangenehme, mühevolle, an manchen Orten auch gefährliche tägliche Herausforderung. Aber nur dort, wo Zivilgesellschaft stark ist, können sich menschenfeindliche Haltungen nicht ausbreiten.“

Gauck sprach außerdem davon, dass die Erinnerung zu bröckeln beginne. Zeitzeugen gebe es nur noch wenige. Eine von ihnen ist Hildegard Hamm- Brücher, die unter den Zuhörern sitzt. Sie ist Mitglied des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“ und war eine Kommilitonin von Sophie Scholl. Sie habe, so Gauck, „Gesicht gezeigt“, sie, die „als junger Mensch erlebt hat, dass Wegsehen und die ‚ich kann ja doch nichts ändern’- Mentalität zur Schuld fast aller Deutschen wurde“. Darum ist es wichtig, dass wir nicht nur wissen was war, sondern auch sehen, was ist. Wo gegen Rechtlosigkeit und Diktatur gekämpft werden muss und dass wir uns dabei immer in Erinnerung rufen, wofür die, derer wir heute gedenken, damals ihr Leben ließen.

 

Die ganze Vorlesung findet sich auf der Homepage des Bundespräsidenten.

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