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Kaschieren oder Konfrontieren? – Namen mit NS-Hintergrund bei juristischen Standardwerken

Erst vor kurzem gab der Beck-Verlag bekannt, die Namen seiner nach Juristen mit aktiver NS-Vergangenheit benannten Standardwerke zu ändern, was in der öffentlichen Debatte der letzten Zeit vermehrt gefordert worden war. Philtrat hat bei Hans-Georg Hermann, Professor an der juristischen Fakultät der LMU und Fachmann für Rechtsgeschichte, nachgefragt, wie er diese Debatte um nationalsozialistische Altlasten in der Rechtswissenschaft wahrnimmt.

Prof. Dr. Hans-Georg Hermann: Professur für Bürgerliches Recht, Deutsche Rechtsgeschichte, Bayerische Rechtsgeschichte und Juristische Zeitgeschichte. Foto: Tobias Ostner

Das Gespräch führte Tobias Ostner 

Herr Professor Hermann, weshalb müssen sich selbst die großen tradierten Namen in der juristischen Welt langfristig – wenn auch über Jahrzehnte stabil – einem Umbruch stellen? 

Alles unterliegt natürlich einer späteren historischen Perspektive. Historisierung gehört zum Geschäft und in der Rechtsgeschichte erst recht. Inwiefern man damit dann Verantwortung verbindet oder Handlungsbedarf für die aktuelleren Generationen, ist eine andere Frage. 

Derzeit ergeben sich solche Umbrüche in verschiedenen Bereichen – auf der großen politischen Ebene, aber auch im Umfeld der Universitäten. Jüngst wurden die Namen juristischer Standardwerke stark diskutiert, beispielsweise des Palandt [Kurzkommentar zum Zivilrecht, insb. dem BGB; Anm. d. Red.] oder auch des Schönfelder [Zivilrechtliche Textsammlung, u.a. mit dem BGB; Anm. d. Red.]. Wie haben Sie hier die aktuelle Entwicklung verfolgt? 

Sie entgeht mir nicht – ich halte Sie aber bis zu einem bestimmten Grad für überaktiv. Warum? Bei den genannten Beispielen handelt es sich im Wesentlichen um Produktnamen – fast ich hätte gesagt um Markennamen. Hier kann die Welt oder wir als Juristen meinen, was wir wollen: es ist zuvörderst eine Verlagsentscheidung, da irgendetwas zu ändern. Inwiefern wir dies auf der Diskursebene für modellierungsbedürftig halten, ist wiederum eine andere Frage, nämlich eine Gewichtungsfrage. Mir persönlich erscheinen manche Diskussionselemente schon wieder kontraproduktiv. 

In München existiert der Arbeitskreis für kritische Jurist*innen, welcher vor einiger Zeit über einen Vorschlag zur Umbenennung des Palandt informiert hat; etwa nach Otto Liebmann, der die ursprüngliche kleine Taschenkommentarfassung begründet hatte. 

Dies rekurriert auf Spezifika der Verlagsgeschichte, die uns wiederum nicht ganz zur Disposition stehen. Mir persönlich ist es lieber, mit so einem Namen konfrontiert zu sein, was entsprechende kritische Reflexe auslöst, als dann spätestens in der übernächsten Generation die Umbenennung als Kaschierung einer üblen Vergangenheit notieren zu müssen. Hier ist mir der Punkt der Signifikanz wichtig. Wenn man direkt auf den Namen verweisen könnte, müsste man nicht erklären: „Das war früher einmal die Entstehungsgeschichte“ – denn das verfängt nicht. Für uns als Juristen, bei denen ich eine kritische Distanz zum Fach, der eigenen Wissenschaft und vor allem der eigenen Praxis sehr gerne mag, hielte ich es für viel anregender, dass man so einen nie ganz heilenden Punkt hat. Dies fände ich eigentlich ergiebiger. 

Sie würden also sagen, dass der Name ein Schlaglicht auf das ursprüngliche Problem wirft und gerade deshalb eine Auseinandersetzung stattfindet. Bisher hat der Beck-Verlag seit 2018 im Vorwort eine Reflexion eingefügt. 

Das wäre doch adäquat gewesen. Wie gesagt, ich finde das Kaschieren, das Vergessenselement, eigentlich schlimmer. Es mag noch so anständig motiviert sein. 

Finden Sie denn, dass das Vorwort genügt hat? Oft wird moniert, dass das Vorwort eben nur ein dünnes Blatt ganz vorne ist, das meistens nicht beachtet wird. Wenn man nur in die Bibliothek geht und ein Gesetz aufschlägt, wird man ja nicht mit der Geschichte konfrontiert. 

Das muss man auch nicht. Ich würde eine Erkennbarkeit ohne Aufdringlichkeit favorisieren und die Hoffnung haben, dass jeder Jurist im Laufe seines Studiums die einen oder anderen problematischen Aspekte kennengelernt hat. Das würde ich mir wünschen. 

Als ich einmal eine Veranstaltung eines Ihrer Kollegen besuchte, erwähnte dieser die NS- Vergangenheit des Professors Maunz [Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der LMU ab 1952 und Mitbegründer eines führenden Kommentars für das Grundgesetz; Anm. d. Red.], der mir bis dahin nur vom gleichnamigen Kommentar bekannt war. Bis dato wusste ich gar nicht, welch problematische Vergangenheit sich auch in der LMU über 1945 hinaus fortgesetzt hatte. 

Ja, da gibt es natürlich erhebliche Kontinuitäten. Diese personellen Aspekte hat mein eigener akademischer Lehrer, Hermann Nelsen, in einer ganzen Reihe von Dissertationen aufarbeiten lassen und von daher ist, auch was unsere eigene Geschichte der Fakultät betrifft, einiges passiert. Hierzu gehört beispielsweise auch das laufende Projekt „Geschichte der LMU und ihrer Fakultäten“ in Zusammenarbeit mit dem Universitätsarchiv. 

Kann man Ihrer Meinung nach sagen, dass eine gewisse Ehrung mit der Fortführung solcher Namen einhergeht? Auch im Hinblick auf nach historisch problematischen Persönlichkeiten benannte Straßen wird oft diskutiert, ob es nicht doch eine Ehrung ist, dass deren Namen so prominent in der Öffentlichkeit sichtbar sind. 

Ja, das ist in den Kommunen ein Problem, das umso virulenter ist, je größer eine Kommune und damit ihr Bedarf an Straßennamen ist. Dies ist auch in München schon in etlichen Fällen aufgetaucht. Das ist aber ein anderes Problem. 

Wegen des Mediums? 

Weniger, sondern wegen des Kontexts. Einen Straßennamen an einer Person zu orientieren, hat unbestreitbar einen ehrenden Charakter. Ein Buch, etwa ein Kommentarwerk, mit seiner wissenschaftsgeschichtlichen wie auch buchhändlerischen Etikettierung zu versehen, hat zunächst nichts Ehrendes, sondern bloß etwas Beschreibendes. Ich meine, der Maunz/Dürig/Herzog hätte als Kommentar ebenso in der Schublade verschwinden können, wenn das nicht ein guter Kommentar gewesen wäre. Damit sind wir dann bei einem weiteren Kernproblem: Ob wir eine Persönlichkeit ausschließlich nach ihrem Kontext im Dritten Reich beurteilen oder andere Aspekte mit in den Blick nehmen. Also dass es dummerweise ausgezeichnete Juristen gab, die sich im Dritten Reich über und über besudelt haben, aber nach 1945 dann unter Assimilierung an den Systemwechsel genauso Top-Juristen waren, ist ein wissenschaftsgeschichtliches Phänomen, welches vielleicht Zweifel an der Charakterfestigkeit der Juristen wecken kann, das aber noch nichts über die Qualität des wissenschaftlich Produzierten aussagt. Und das ist natürlich unsere Krux. 

Ehemaliges Haus der nationalsozialistischen „Akademie für Deutsches Recht“, heute zur LMU gehörig. Foto: Tobias Ostner

Im Fall von Professor Maunz könnte aber auch gesagt werden, dass sich seine politischen Tendenzen weit über 1945 hinaus fortgesetzt haben.

Selbstverständlich, das ist hochproblematisch und es war ein Glücksfall, dass durch zwei Zugriffsmöglichkeiten auf seinen Nachlass dies überhaupt erst wirklich publik geworden ist; ebenso die Ambivalenz dieser mindestens zwei Seelen, die in dieser Brust anscheinend gelebt haben, von denen eine braun war und es auch in der Tönung ungefähr geblieben ist. Dies ist aber auch etwas, was man mit Gewinn feststellen kann: Es ist ein Erkenntnisgewinn, dass die wissenschaftliche Leistung und der persönliche, subkutane Charakter nicht notwendigerweise miteinander verflochten sind. Er hat ja diese rechten Positionierungen nicht unter seinem Namen ins Spiel gebracht, da wollte er sich nicht so exponieren. Das sind „Mehrgleisigkeiten“, mit denen wir umgehen müssen. 

Bis er gestorben ist und dann dieser Artikel erschienen ist, in dem ihm Gerhard Frey [Dt. rechtsextremer Politiker und Verleger, für den Maunz anonym Artikel schrieb; Anm. d. Red.] ausdrücklich gedankt hat, haben dies ja auch viele Personen nicht erwartet. 

Das haben auch viele nicht gewusst. 

Weil sie nicht damit gerechnet haben? 

Weil man nicht damit rechnen musste. Weil gerade bei Maunz das, was er nach 1945 produziert hat, für die neuen Bedingtheiten und Prämissen state of the art war – das war gut. Er arbeitete unter neuen Prämissen perfekt weiter. Dass er innerlich vielleicht stehen geblieben ist, ist tatsächlich ein Problem, das wir zur Kenntnis nehmen müssen und zu dem wir uns natürlich auch verhalten müssen. Die Folgefrage, die sich dann stellt, ist, ob es angezeigt ist, deshalb den Werknamen zu modifizieren. 

Eine solche Umbenennung will der Beck-Verlag nun hinsichtlich des Schönfelder, des Palandt, des Blümich und eben des Maunz/Dürig vornehmen. Würden Sie dennoch davon ausgehen, dass diese Debatte eine positive Auswirkung hinsichtlich des Umgangs mit der Vergangenheit hatte? 

Es ist natürlich immer ein positives Moment, wenn man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt und dann Konsequenzen daraus zieht, die sich verantwortlich darstellen. Es ist natürlich nicht verkehrt, wenn man bewusst eine solche Tradition beendet und eine neue beginnt. Das Entscheidende ist, dass man es bewusst macht. Bei einer ebensolchen reaktiven Geschichte wird man nicht sagen können, das ist falsch. Auf die Bedenken habe ich aber schon hingewiesen, die man haben könnte: dass damit vielleicht ein bisschen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. 

Würden Sie hinsichtlich der Rechtswissenschaften insgesamt sagen, dass sich seit der Zeit, in der sie studiert haben, etwas getan hat in der Art und Weise, wie mit der Vergangenheit umgegangen wird? 

Es hat sich insoweit etwas getan als die Personalverbindungen natürlich jetzt so nicht mehr bestehen. Also Lehrer-Schüler-Beziehungen – Personen, die im Dritten Reich arriviert waren und deren Schülergeneration sind mittlerweile schon längst emeritiert und zu einem guten Teil auch verstorben. Die darauf folgende Enkelgeneration agiert dann doch mittlerweile mit einer gewissen historischen Ferne. Also ich sehe die Münchner Fakultät nicht mehr als Maunz- und Larenz-Fakultät [Karl Larenz war ein dt. Zivilrechtler mit NS-Bezug, der ab 1960 an der LMU lehrte; Anm. d. Red.]. Wirklich nicht mehr. Das ist jetzt unsere Fakultät. 

Haben Sie einen Wunsch, wie Sie sich die künftige Auseinandersetzung mit diesen Themen am liebsten vorstellen würden? 

Ja und zwar einfach wach, präsent. Immer wieder hinsehen, wenn sich etwas ergibt. Nicht „Schwamm drüber“, sondern aufmerksam gegenüber einem Faktor der Zeitgeschichte, welcher immer noch Virulenz entfaltet, weil die Herausforderungen überzeitlich sind, die uns das Erbe des Dritten Reichs hinterlassen hat. 

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