Online Unileben

“Du gehörst hierhin – an die Uni”

Vergangenen Oktober hat sich das Anti-Klassismus-Referat der Studierendenvertretung gegründet. Drei Studierende aus nicht-akademischen Elternhäusern berichten von ihren Erfahrungen an der Uni und ihrem Einsatz für mehr Chancengleichheit.   

Logo des Anti-Klassismus-Referats: Da Referat erst vergangenen Oktober ins Leben gerufen wurde, mussten die Sitzungen bisher online stattfinden. Foto: Anti-Klassismus-Referat

Von Helena Borst

Stephanie hat sich lange gewünscht, an die Uni zu gehen. Jetzt ist sie 28 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft im ersten Semester. Dass sie damit zu den Älteren zählt, liegt nicht an ihrer Unentschlossenheit. Die Uni musste so lange warten, weil Stephanie erst arbeiten ging, um sich das Studium selbst zu finanzieren. Ihre Eltern könnten sie da wenig unterstützen, erzählt sie im Videogespräch. Nach ihrem älteren Bruder ist Stephanie die Zweite in der Familie, die den akademischen Weg einschlägt. Zusammen mit anderen Studierenden der ersten Generation engagiert sie sich im Anti-Klassismus-Referat an der LMU.

Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft

Die Gruppe fand sich erst im Oktober vergangenen Jahres zusammen. Ins Leben gerufen wurde das Referat durch Felix Gaillinger, der Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie studiert und sich intensiv mit sozialer Herkunft und ungleichen Teilhabechancen auseinandergesetzt hat. „Gerade stehen wir noch am Anfang unserer Arbeit. Wir befinden uns sozusagen in der Selbstfindungsphase“, sagt der Masterstudent. Ziel ist es, einen Raum für Beratung, Vernetzung und Aufklärung zu schaffen. Dazu gehört auch, sich mit dem Begriff des Klassismus auseinanderzusetzen. „Klassismus beschreibt eine Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit“, heißt es in dem Sammelband Solidarisch gegen Klassismus. Francis Seeck, eine der beiden Herausgeber*innen des Buches, hielt Ende Januar einen digitalen Vortrag am Anti-Klassismus-Referat. Diese und ähnliche Veranstaltungen ermöglichen es individuelle Erfahrungen in einem gesellschaftlichen Kontext zu verorten und dadurch ein Bewusstsein für strukturelle Ungleichheit zu schaffen. 

Meist geschieht es auf subtile Weise. Dennoch: Diskriminierung haben alle Studierenden, die an dem digitalen Treffen teilnehmen, schon erfahren. Stephanie hat ihren Abschluss auf dem dritten Bildungsweg gemacht. Von ihren Lehrer*innen wurde sie mehrfach gefragt, ob sie sich bei ihrer Entscheidung, studieren zu wollen, auch wirklich sicher sei. Wenn Dozierende lateinische Fachbegriffe ganz selbstverständlich verwenden, muss sie sich noch heute selbst versichern: „Du gehörst hierhin – an die Uni.“ Von der Familie kommt dieser Zuspruch selten. Doch für Kinder aus einem nicht-akademischen Elternhaus gehört mehr dazu als Mut und Eigenmotivation, um den Weg an die Uni einzuschlagen. Neben dem fehlenden sozialen Netzwerk erschweren vor allem finanzielle Hürden den Zugang. Daher versteht sich das Anti-Klassismus-Referat nicht nur als Plattform für Aufklärung und Austausch, sondern berät Studierende auch bei konkreten Fragen. Über allem steht das Ziel, Arbeiter*innenkindern durch strukturelle Änderungen das Einschlagen des akademischen Wegs zu erleichtern.

Anti-Klassismus in der Hochschulpolitik

Über die individuelle Unterstützung hinaus bringt sich die Gruppe in die Hochschulpolitik ein und ist mit anderen Referaten an der LMU vernetzt. Zusammen fordern sie eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit. „Jetzt, wo die Vorlesungen ohnehin online stattfinden, wäre es einfach die Veranstaltungen aufzuzeichnen. Das würde den Stundenplan deutlich flexibler machen”, sagt Felix. Er fragt sich, warum das bislang noch nicht von allen Dozierenden umgesetzt wird. Außerdem setzt sich die Gruppe dafür ein, dass die Nothilfe für Studierende, Laptops oder FFP2-Masken ohne umfangreiche Bedürftigkeitsprüfung ausgegeben werden. Allgemein sollten bei Fragen der Gleichberechtigung an der Uni finanzielle Aspekte und Erfahrungen mit Klassismus stärker berücksichtigt werden. Bisher finde das Thema Klassismus zu wenig Aufmerksamkeit im akademischen Raum. Beispielsweise vermisst Prannavan, der Geschichte und Englisch auf Lehramt studiert und sich ebenfalls für das Anti-Klassismus-Referat engagiert, die Möglichkeit, sich mit Chancenungleichheit im Bildungssystem auseinanderzusetzen. 

Stephanie bekräftigt ihn in diesem Punkt: „Man muss nicht selbst von Diskriminierung betroffen sein, um sich für fairere Strukturen einzusetzen.“ Daher sind auch Studierende, die sich nicht als Working-Class Academics verstehen, beim Anti-Klassismus-Referat willkommen. Denn es geht gerade darum, die Trennung zwischen verschiedenen Klassen aufzubrechen. 

 

So könnt ihr Kontakt zum Anti-Klassismus-Referat aufnehmen:
Über die LMU Seite: https://www.stuve.uni-muenchen.de/stuve/referate/anti-klassismus/index.html
Facebook: https://www.facebook.com/antikla.LMU
Instagram: https://www.instagram.com/antiklassismus.lmu/?hl=de
Mail: anti-klassismus@stuve.uni-muenchen.de

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