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Kampf der Giganten

Auf dem Max-Joseph-Platz traten am Freitag die beiden Komponisten-Schwergewichte Verdi und Wagner gegeneinander an

Anlässlich des 200. Jubiläums der beiden bekanntesten Opernkomponisten überhaupt – die Rede ist selbstverständlich von Richard Wagner und Giuseppe Verdi – hat die Bayerische Staatsoper vor ihrer Haustür einen spektakulären Open-Air-Wettstreit ausgerichtet. Wer also hat das Rennen gemacht – der volksnahe Verdi oder der innerliche Wagner?  

Es ist herbstlich kühl auf dem Max-Joseph-Platz vor der Bayerischen Staatsoper. Trotzdem haben sich am heutigen Freitagabend über 7.000 Menschen hier eingefunden, um dem musikalischen Kampf der Giganten der Operngeschichte zu lauschen. Die Verdi-Fans sind ganz in rot gekleidet, die Wagnerianer haben sich in blau gehüllt. Anders als beim amerikanischen Wahlkampf geht es jedoch sehr gesellig zu zwischen den gegnerischen Lagern: Einige Gruppen und Pärchen präsentieren sich souverän zweifarbig.

Nach einem einstündigen Warm-up, das aus der Feder des zeitgenössischen Komponisten Moritz Eggert stammt und nicht so recht zu Verdi oder Wagner passen will, geht der langerwartete Wettstreit schließlich los. Zwei riesenhafte Marionetten, die von der berühmten katalanischen Regie-Gruppe La Fura dels Baus erdacht wurden, werden an Kränen in die Höhe gewuchtet – die Verdi-Puppe ausgestattet mit charakteristischem Zylinder und Vollbart, Wagner mit dem traditionellen Barett. Zwischen den beiden imposanten Figuren entspinnt sich sogleich ein Streitgespräch über ihre jeweiligen Biographien und ihre so unterschiedliche Vorstellung von Musik: „Gesamt-kunst-werk? Das kann ja kein Mensch aussprechen“, witzelt Verdi, gesprochen von Stefan Hunstein, worauf Wagner, dem Wolfgang Pregler seine näselnde Stimme leiht, wenig schlagfertig kontert: „Na, hör doch mal hin.“ Es folgen mehrere Medleys aus den bekanntesten Opernwerken der beiden Musiker, die von spektakulären artistischen Darbietungen untermalt werden. Als Passagen aus Verdis Mac Beth erklingen, schwingen sich drei funkensprühende Hexen auf Besenstielen in die Luft und zu Wagners Walkürenritt steigt gar ein weißes Pferd, dargestellt von drei mutig strampelnden Akrobaten, in den Nachthimmel über der Oper empor. Zu jedem musikalischen Thema ist in einer anderen Ecke des großen Platzes ein neues Spektakel zu bewundern; sogar das Dach des angrenzenden Gebäudes wird zur Bühne umfunktioniert, als darauf eine rote und blaue Figur ein – zugegebenermaßen etwas unkoordiniertes – akrobatisches Tänzchen wagen. Ein leuchtendes Spiel aus Licht, Figuren und Farben, bei dem es dem Publikum gar nicht langweilig werden kann.

Was bei diesem gewaltigen Bilderrausch jedoch zu kurz kommt, das ist ausgerechnet die Musik. Die unvergesslichen Melodien aus Wagners Tannhäuser und Verdis Traviata werden lieblos anzitiert; die Stimmen, die doch das Wesen jeder Oper ausmachen, nur angedeutet. Tatsächlich hat an diesem Abend kein einziger Sänger seinen Weg auf eine der ausladenden Bühnen gefunden. Stattdessen tummeln sich unzählige Statisten in und um die Oper herum, die zwar den Augen das Geschehen eindrucksvoll illustrieren, der Musik aber keinerlei Bedeutungsebene hinzufügen.

Auch die Bezeichnung „Wettstreit“ hat die Veranstaltung im Grunde nicht verdient. Denn am Ende der 45-minütigen Darbietung wird kurzerhand die Muse Euterpe vom Dach des tempelförmigen Opernhauses herabgelassen, um als Dea ex machina eigenmächtig ein wohlverdientes unentschieden“ zwischen den beiden Kontrahenten zu verkünden. Das Publikum wird gar nicht erst gefragt. Ihr Versprechen, während des Events eine „Entscheidung gemeinsam herbeizuführen“ lässt die Staatsoper damit einfach unerfüllt. Sowohl Wagner als auch Verdi haben so heute Abend einen etwas zweifelhaften Sieg errungen – klarer Verlierer ist dabei mit Sicherheit die Musik.

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