Die geplante bayerische Hochschulreform schlägt seit der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers im Oktober 2020 Wellen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Stellungnahmen und Kritik von verschiedenen Seiten. Über die Risiken und Chancen des Entwurfs wurde bei einem Webinar der Partei Bündnis 90/Die Grünen diskutiert.
Von Gözde Çelik
Die Hochschulen gehören an einigen Punkten reformiert. Von prekärer Beschäftigung über Forderungen nach Geschlechtergleichstellung hin zu Rufen nach mehr Nachhaltigkeit gibt es eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten.
Das Eckpunktepapier zur geplanten Hochschulreform stößt mit seinem Anspruch Forschung, Bildung und „Transfer“ zu vereinen jedoch an einigen Punkten auf Unmut und Zweifel. Zweifel, die der Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) versucht auszuräumen, wenn er sich in Livestreams Fragen aus dem Publikum stellt.
Noch ist der Gesetzesentwurf in der Bearbeitung. Anfang Mai gehe es in den Landtag. Jetzt sei also die Zeit für Diskussionen, so die Wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecherin der Grünen Verena Osgyan. Ihre Partei arbeitet an einem eigenen Entwurf der Reform, welche einen Gegenvorschlag zu dem bisher veröffentlichten Eckpunktepapier darstellen soll.
Eine Plattform für Austausch über die Anforderungen an eine „richtige“ Reform sollte ein, von Osygan moderiertes, Webinar am Freitag, 26. Februar, mit Paula-Irene Villa Braslavsky, Professorin für Soziologie an der LMU München, und Simone Derix, Professorin für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der FAU Nürnberg unter dem Leitmotiv „Bayerische Hochschulrechtsreform – aber richtig!“ bieten. Beide sind Unterzeichnerinnen eines kritischen offenen Briefes durch über 1000 bayrische Professor*innen an den Ministerpräsidenten Markus Söder und den Wissenschaftsminister Bernd Sibler (beide CSU).
Von Verwertbarkeit und dem Wert der Wissenschaft
Zunächst steht der zeitliche Rahmen der geplanten Reform in der Kritik. Dieser sei „ohne Not“ und zu denkbar ungünstigen Rahmenbedingungen während einer Pandemie, so Villa Braslavsky.
Auch lasse das Eckpunktepapier an vielen Punkten Problemzonen der bayerischen Hochschulen, wie beispielsweise die Prekarität des akademischen Mittelbaus, offen. Im Vordergrund steht das Leitmotiv eines „Dreiklang[s] von Forschung, Lehre und Transfer“.
Villa Braslavsky und Derix sind sich an diesem Punkt darüber einig, dass die Forderung hin zum ökonomischen und technologischen Transfer die Frage aufkommen lässt, was mit Fächern ist, welche sich nicht so einfach wirtschaftlich verwerten lassen. Der Wert der Wissenschaft sei in Gefahr, so Derix.
Villa Braslavsky warnt auch vor einer Deregulierung der Hochschulen, indem diese von Körperschaften, welche zugleich staatliche Einrichtungen sind, zu reinen Körperschaften des öffentlichen Rechts werden. Die Rhetorik einer „Entfesselung“ sei hier besonders problematisch. So weist sie auf die Vorzüge regulierender sowie demokratisierender Mechanismen von Gremien und Strukturen hin. Wirtschaftliche oder politische Verschränkungen hätten da nichts zu suchen. Allgemein sei der Gedanke einer Wissenschaft, welche „nützlich“ und somit verwertbar zu sein hat, mit Vorsicht zu genießen. Gerade mit Blick auf möglichen Missbrauch von Wissensproduktion, wie er in der Geschichte und Gegenwart nicht selten stattfand.
„Wir brauchen eine Stärkung der Lehre“
Zusätzlich wird die Gefahr einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ unter den Professor*innen mit Besorgnis beobachtet. So würde es, laut Eckpunktepapier, in Zukunft ein sogenanntes Gesamtlehrdeputat geben. Damit werde die bisher verpflichtende Anzahl an Semesterwochenstunden, welche Professor*innen in die Lehre investieren müssen, flexibilisiert werden. Je nachdem könnten sich einige sogar ganz davon befreien und nur noch forschen. „Wir brauchen eigentlich eine Stärkung der Lehre“, hält Derix entgegen. Denn in Bezug auf diesen Bereich sähe es im Eckpunktepapier noch recht dünn aus.
Zudem gebe es auch bei anderen Aspekten der bisherigen Hochschulstrukturen dringenden Verbesserungsbedarf. So betont Villa Braslavsky die Prekarität eines Großteils des Personals. Jenseits von wenigen, privilegierten Professor*innen-Positionen seien vor allem befristete Verträge gang und gäbe, welche keinerlei Sicherheit und Planungsmöglichkeit bieten. „Darüber macht sich dieses Papier keine Gedanken und das ist ein Skandal, weil das das größte Problem ist“, sagt Villa Braslavsky.
Es brauche auch mehr Diversität. Durch mehr Personen, die aus nicht akademischen Hintergründen an die Hochschulen kommen, mehr Frauen, mehr migrantische Stimmen und mehr Mitsprache von Personen mit Behinderung. Die Politik hätte die Chance dies als Leitmotiv aufzunehmen, betont sie weiter.
So sind grundlegende Verbesserungspunkte für die Hochschulen der Zukunft stark an das Wörtchen „Partizipation“ jenseits von festgefahrenen Hierarchien geknüpft. „Wissenschaft ist Teamarbeit“, stellt auch Derix gleich zu Beginn klar und findet wenigstens in dem Austausch, welcher durch die geteilte Kritik an dem Eckpunktepapier entstanden sei, einen positiven Aspekt.
Tobias Plessing, Professor für Ingenieurwissenschaften und Maschinenbau sowie Vorsitzender des Verbands der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an Fachhochschulen in Bayern, stößt zur Diskussion dazu und äußert in Bezug auf das Thema der Partizipation auch die Notwendigkeit einer verfassten Studierendenschaft, welche bis heute nur in Bayern nicht existiere. „Innovation kommt durch die Partizipation“, betont er.