Online Unileben

Datengeister

Stellte man sich die Frage, wo der studentische Zeitgeist vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte geblieben ist, könnte man auf einige zynische Antworten kommen. Was die LMU jedenfalls anbelangt, spukt er an einem Ort, den viele nicht kennen – im Universitätsarchiv. Über den Verbleib analoger Daten im digitalen Zeitalter.

© Illustration: Felix Zenz

Von Felix Zenz

Neben Verzeichnissen über Studenten, Vorlesungen und Dozenten befinden sich im Universitätsarchiv Flugblätter, Chroniken und Studentenmagazine, aber auch unerwartete Gegenstände wie Insignien, Gemälde oder Löffel, die alle ihre eigene Geschichte tragen. Der interessierte Leser kann dazu auf der Seite des Universitätsarchivs jeden Monat einen ganzen Artikel über ein ausgewähltes Stück lesen. Oft handelt es sich dabei um zunächst unscheinbare Schriftstücke.

Im April dieses Jahres war das Stück des Monats ein Antrag von 1969, in welchem die Anschaffung eines drei Millionen DM teuren Systems zur Speicherung von knapp über 100 KB Daten des Archivs erwogen wird. Der Anlass für die kürzliche Auswahl dieses Dokuments war, dass im Universitätsarchiv München nun tatsächlich mit der Einrichtung eines elektronischen Informationssystems begonnen wurde. Auch wenn deshalb die Originale nicht verschwinden, wird man dazu übergehen, dort alles in Nullen und Einsen zu codieren. Schließlich hat man eine 1865 ausgestellte Erlaubnis von der römischen Indexkongregation zum Lesen verbotener Bücher dann nicht mehr auf Papier vor sich liegen, sondern liest sie sich bequem auf seinem Smartphone durch.

Nun ist das zunächst einmal durchaus praktisch und nur zeitgemäß. Viele sind schon einmal rechts vom Eingang des Hauptgebäudes an dem Vorlesungsverzeichnis vorbeigegangen, das da heute so deplatziert wirkt, dass man es für ein modernes Kunstwerk halten könnte. Auch wenn es so mancher angesichts der Tücken des LSF-Systems für einen kurzen Moment in Erwägung ziehen würde, gibt es an der LMU wohl keine Studenten, die ihre Semester-Planung mit diesem Wälzer durchführen oder überhaupt nur etwas darin nachschlagen würden.

Aus einem nostalgischen Blickwinkel heraus gesehen sind Digitalisate allerdings ziemlich unbefriedigend. Und noch schlimmer: Man verliert den Bezug zu den Daten und den Überblick über sie, wenn sie erst einmal ganz selbstverständlich digitalisiert wurden. Manche Leute nehmen dann sogar an, ihre immateriellen Daten würden irgendwo oben in den „Clouds“ schweben, weil man nicht sehen kann, dass die Geisterwelt der Daten sich unter der Erde abspielt, statt im Himmel. Und da huschen die Datengeister dann irgendwo unter dem Atlantik durch die Gegend und nisten sich zu Millionen in kleine Kisten ein, die überall auf der Welt verteilt sind.

Jetzt ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vor Kurzem bei uns in Kraft getreten, mit der Absicht, dass man sich juristisch und gesellschaftlich bewusst macht, dass Daten ja, ihrem lateinischen Wortsinn nach, früher einmal etwas Gegebenes und nicht etwas Genommenes gewesen waren. Und schlagartig wurde Juristen, schlaflosen Informatikern und jeder und jedem mit einem E-Mail-Postfach klar, wie schlecht wir Datengeister eigentlich greifen und sehen können. Eins steht allerdings fest: Die wir riefen, die Geister, werden wir nun nicht los. Wir werden uns also wohl oder übel damit arrangieren, dass irgendwann alles auch digital vorliegen wird. – Alles, außer vielleicht unser Studentenausweis.

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