Ein non-perfektes Interview mit Klaus Lemke
Von Marina Klimchuk und Nicola Wilcke
Mit tief in die Stirn gezogener Schiebermütze, weißem T-Shirt, Jeans und stark aufgetragenem Parfum wartet er bereits, um uns im Atzinger, der Studentenkneipe „backstage Universität“ ein schlichtweg perfektes Interview zu geben.
Er, der Promi, der ausgezeichnete Regisseur, ein alter Hase unter den Filmemachern, einer der wenigen seiner Sorte. Und wir, die Jugend von der „Eliteuniversität“. Schon am Telefon hatte sich angedeutet, dass es ein Interview der etwas anderen Art werden würde. Ohne Diktiergerät, stattdessen mit direkt ausformulierten Antworten vom Meister selbst – um uns die Schreibarbeit zu ersparen.
Alltag ist es für uns nicht, mit so jemandem wie Klaus Lemke lässig im Cafe zu sitzen. Zwar dürfte Lemke nicht mehr jedem in unserer Generation ein Begriff sein, in Deutschlands Filmszene hat er sich bereits vor 40 Jahren mit Filmen wie Amore und Rocker als extravaganter Andersdenkender etabliert. Auch uns lassen die Ausschnitte seines Werks Schmutziger Süden, die wir auf www.altonatv.de zu Gesicht bekommen, nicht unbeeindruckt. Typisch für Lemke spielen Laiendarsteller, zu sehen sind exzessive Sexszenen. Auf den ersten Blick ein Softporno. Auf den zweiten Blick ein Stück postmoderne Kunst, denn unbemerkt spielt sich viel allein in der Phantasie der Zuschauer ab. 2010 wurde das Werk mit dem Filmpreis der Stadt München ausgezeichnet.
„Baby, es geht um mich“
Das Bild von Lemke als „postmoderner“, stark auf Sex fokussierter Szenekünstler begleitet uns bis zum ersten Treffen mit ihm – ein Hugh Heffner-Verschnitt, ein Endsechziger, ständig umgeben von attraktiven jungen Frauen, die seine Enkelinnen sein könnten – fehlt nur noch der seidene Bademantel. Von Alter will Lemke aber nichts wissen. Im München-TV-Interview stellte er sich 2008 als Experte in Sachen Jugend vor: Er sei bis 62 jung gewesen und erst in den letzten Jahren erwachsen geworden. Daher könne er die jungen Menschen von heute so gut verstehen. Statt dem erwarteten, junggebliebenen Hugh Heffner-Double treffen wir einen toughen, fast ernsthaften Mann von Welt, der uns mit seiner rauchigen Stimme das Leben erklären will – irritierend, aber noch kein Hindernis für unseren Plan vom perfekten Interview. Seine erste Lektion erteilt er uns, indem er uns einen neuen Namen gibt: Baby. Doch darauf waren wir vorbereitet, denn alle weiblichen Gesprächspartner von Klaus Lemke werden rigoros „Baby“ genannt – was jedoch wie ein Rückgriff auf den 1980er Kulthit Dirty Dancing anmuten mag, dient lediglich dem Zweck, sich keine neuen Namen merken zu müssen. Nach einer halben Stunde im Atzinger verhandeln wir noch immer über die „Rahmenbedingungen“ für die Veröffentlichung: Zwar gewährt Lemke uns eines seiner seltenen Interviews – eines der zwei Interviews, die er jährlich gibt – allerdings sind seine Konditionen gewöhnungsbedürftig „Baby, hier geht es in aller erster Linie um mich!“, kündigt er an und obwohl er selbst immer wieder auf unsere Karriere als Journalisten zurückkommt („Wenn das Ding hier jetzt was Gutes wird, wisst ihr eigentlich, was das bedeutet? Ihr habt keine Ahnung, oder?“) dürfen wir keine Aufzeichnungen anfertigen, bevor nicht in Absprache mit ihm eine Frage entworfen wurde und er sich eine präzise, druckreife Antwort überlegt hat, die ihn zufriedenstellt. Eigentlich ist Lemke für die unkonventionelle, flexible Arbeit mit seinen Laiendarstellern bekannt – während unseres Interviews mag sich seine Maxime der ‚Spontanität‘ und ‚individuelle Kreativität‘ jedoch nicht so recht durchsetzen.
Laien sind die besseren Schauspieler
Zwar bietet er uns nach fünf Minuten Bekanntschaft das „Du“ an, richtig warm miteinander werden wir aber bis zum Ende nicht. Immer wieder reden wir aneinander vorbei. Sobald wir denken, wir hätten verstanden, worauf er hinaus will, reagiert er völlig anders als erwartet. Lemke – für uns jetzt Klaus – scheint seine Meinung als Maßstab aller Dinge verinnerlicht zu haben, von dem er nicht abzubringen ist. Ein faszinierender Gesprächspartner, hätte man ihn auf der Straße getroffen, in der Sauna, bei einem Sekt-Empfang. Eine Herausforderung im Zwiegespräch – später sagt Lemke selbst, er habe bewusst unsere Grenzen getestet, wollte wissen, wie viel Biss wir haben, wann wir aufgeben. Fragen, die uns beschäftigen, lehnt er ab – im festen Glauben, den Lesern damit einen Gefallen zu tun: „Der Leser will im Dunkeln gelassen werden, Aussagen selber interpretieren können – heutzutage wird viel zu viel erklärt. Da bleibt gar kein Platz für die eigene Phantasie.“ Lieber gibt er uns Auskunft über seine Motivation, ausschließlich mit jungen Laiendarstellern, statt mit professionellen Schauspielern zu drehen. Zwar experimentiere jeder mit unterschiedlichen Vorstellungen von sich selbst, doch „nur bei jungen Leuten unter 27, die noch nicht wissen, wo’s lang geht, prallen diese krass unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander. Das ist das, was mich interessiert. Jemand, der weiß, was er will – ist nicht Film für mich.“ Professionelle Schauspieler inszenierten nur, Laien dagegen könnten wirklich etwas darstellen. Selbst von ihm entdeckte heutige Berühmtheiten wie Iris Berben, Cleo Kretschmer und Wolfgang Fiereck haben – für ihn ihren Reiz verloren, nachdem sie seine „Gladiatorenschule“ durchlaufen hatten und inzwischen etablierte Schauspieler sind.
München ist „abgefilmt“
Im Laufe des Gesprächs finden wir allerhand Neues über unsere konventionelle, „unrevolutionäre“ Internet-Generation, das Phänomen des „weiblichen Geschlechts“ und die Qualität von amerikanischen Filmen heraus. Es stellt sich heraus, dass seine große Bewunderung für die Streifen aus Übersee der Antrieb schlechthin war, eigene Filme zu drehen. Immer wieder suchte er diese Coolness auch in Deutschland, und fand sie schließlich in Hamburg: Lemkes Meinung zufolge hat die „Sprache des Kiez“ etwas Besonderes, ist durch ihre lockere, unkomplizierte Art vergleichbar mit dem Englischen. Früher war München der Schauplatz seiner Spielfilme, doch von der bayerischen Landeshauptstadt hat er sich schon längere Zeit abgewendet, mittlerweile sei hier alles von ihm „abgefilmt“, da gebe es nichts Neues, Unvorhersehbares, Spannendes mehr. Was Lemke in München hält? Das fragt sich er seit 30 Jahren. Und aus reiner Wut darüber, dass er keine Antwort darauf findet, ist Schmutziger Süden in München entstanden. Und während wir miteinander reden, bleibt da doch diese eine Frage, die uns beschäftigt: Ist der Mensch, der da vor uns sitzt, einfach ein Freak, der es liebt, sich in Szene zu setzen? Wie viel Wahrheit steckt in Lemkes wagemutigen Thesen über München, der Stadt, die sich nach einem „lauwarmen Whirlpool mit zwei staubtrockenen Lesben“ anfühlt? Über die globale Erderwärmung, die er als Datenfehler identifiziert? Über die Mädchen, die alle nur das eine wollen – Liebe. Und gleichzeitig alles dafür tun, sie nicht zu bekommen, weil sie körperliche mit seelischer Liebe verwechseln.
Momentaufnahme einer einzigartigen Persönlichkeit
Während im Atzinger die Schicht gewechselt wird und Lemke einen zweiten Caffè Americano bestellt, nimmt unser Interview trotz harter Zensur immer noch keine gelungene Form an, obwohl unser Partner mit dem Resultat zunächst nicht unzufrieden ist. Ein Interview, das eigentlich gar kein Interview ist, ein stundenlanges Gespräch in die Leere, ein Generationenkonflikt, eine Enttäuschung, irgendwie auch eine Bereicherung. Die intime Momentaufnahme einer einzigartigen Persönlichkeit. Auch im Nachhinein ist unsere Erfahrung mit Klaus Lemke schwierig in Worte zu fassen. Ob uns sie uns als angehende Journalisten weitergebracht hat? Einerseits waren wir wissbegierig und neugierig, welche journalistischen Kniffe Klaus Lemke beherrscht. Wir wollten etwas lernen, ließen uns ganz auf ihn und seine ‚gewöhnungsbedürftigen Gesprächstaktiken‘ ein, ließen Kritik über uns ergehen – stets mit dem Ziel vor Augen, doch noch ein unterhaltsames, informatives und in sich geschlossenes Interview zu bekommen. Andererseits blieb uns keine Wahl, als uns während des Gesprächs immer wieder neu auf ihn einzustellen, wenig später ganz von vorn zu beginnen und innerhalb kürzester Zeit eine komplett andere Art von Text zu verfassen. Somit hat Klaus Lemke selbst uns zu Laiendarstellern im eigenen Interview gemacht: Wir waren gezwungen, spontan Improvisationstalent im Umgang mit ihm und seiner Interviewtechnik unter Beweis zu stellen. Dies zeugt nun von Kunstverständnis in seinem Sinne, das er wieder in seiner nächsten „haischwarzen Komödie“ Drei Kreuze für einen Bestseller unter Beweis stellen wird.
(Foto: Klaus Lemke)
(erschienen in Philtrat 2/2010 (Juli 2010))