Auch auf den Alltag von Frauenhäusern wirkt sich Corona aus. Doch zunächst ging die Zahl der Anrufe bei Hilfestellen zurück. Mögliche Gründe dafür, weshalb der Stresslevel der Bewohnerinnen jetzt besonders hoch ist und wie Beratung in Zeiten des Virus abläuft. Ein Gespräch.
Das Gespräch führte Clara Löffler
In der Corona-Krise sollen die eigenen vier Wände Schutz bieten, doch für Frauen können sie gefährlicher sein als die nächtliche Straße. Jede Vierte wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Partnergewalt. In Frauenhäusern finden manche von ihnen vorübergehend ein zweites Zuhause, wie Susanne Maier* von der Frauenhilfe München erzählt.
Die Frauenhilfe München bietet Frauen, die in ihrer Beziehung Gewalt erleben, seit 1978 Information, Beratung, Schutz und Begleitung. Frau Meier, was definieren Sie als Partnerschaftsgewalt?
Partnergewalt ist für uns Gewalt, die von einem aktuellen oder einem Ex-Partner ausgeht. Dazu zählt nicht nur die körperliche Gewalt, sondern gleichermaßen auch die psychische. Dann gibt es noch finanzielle Gewalt. Das heißt, dass Frauen, obwohl sie verheiratet sind und die Kinderbetreuung bei ihnen liegt, keinen Zugang zu Geld haben, auch nicht zu staatlichen Unterstützungsmöglichkeiten wie dem Kindergeld. Und auch digitale Gewalt gehört fast immer dazu. Oftmals wird das Handy kontrolliert oder der Partner hat sich das Passwort für Facebook und Instagram ausgedacht.
Fachleute vermuten, dass die Partnerschaftsgewalt während der Corona-Krise zugenommen hat. Wie erleben Sie das bei der Frauenhilfe?
Zunächst sind die Anfragen zurückgegangen. Das hat uns verwundert, aber bei näherer Betrachtung ist es verständlich, weil aufgrund der Ausgangsbeschränkungen die Familien immer zusammen zu Hause waren und es überhaupt nicht möglich war, in Ruhe zu telefonieren. Sicherlich wurde es nicht plötzlich friedlicher, aber die häusliche Gewalt trat weniger zutage. Das hat sich jetzt wieder geändert. Seit Anfang Mai, nach Lockerung der Beschränkungen, haben wir wieder eine Zunahme an Anrufen festgestellt. Die Frauen berichten dann, dass die Gewalt in den letzten Wochen zugenommen hat.
„Die Partnerschaftsgewalt kommt in allen sozialen Schichten vor“
Abgesehen von den beengten Wohnverhältnissen, welche Einflussfaktoren erhöhen das Risiko für Partnerschaftsgewalt?
Die Partnerschaftsgewalt kommt tatsächlich in allen sozialen Schichten vor. Die gibt es auch bei Rechtsanwälten und Ärzten. Auffällig aber ist, dass Menschen, die sozial besser gestellt sind und mehr Geld zu Verfügung haben, sich oft eine andere Lösung suchen können. Auch sie rufen bei uns an und brauchen Beratung, aber nicht unbedingt einen Platz im Frauenhaus, weil sie beispielsweise eine Ferienwohnung haben, in die sie sich zurückziehen oder, wenn sie hier aufgewachsen sind, haben sie hier Freundinnen und Familie, wo sie hingehen können. Für Migrantinnen hingegen bestehen diese Möglichkeiten oft nicht. Allerdings kann es je nach Gewaltsituation zu gefährlich sein, zu Freundinnen oder der Familie zu flüchten, denn häufig kennt der gewalttätige Partner die Adressen. Weitere Belastungsfaktoren sind Arbeitslosigkeit und psychische Erkrankungen. Insbesondere die Wohnsituation in München ist ein großes Problem. Viele würden sich gerne früher trennen, finden aber nicht gleich eine Wohnung.
Mit welchen Herausforderungen haben die Bewohnerinnen des Frauenhauses im Moment zu kämpfen, zusätzlich zu den Folgen der Partnerschaftsgewalt?
Es wohnen hier sehr viele Frauen mit ihren Kindern. Die Kindertagesstätten sind geschlossen oder bieten nur eine sehr eingeschränkte Betreuung an, die Kinder dürfen nicht zur Schule kommen, aber oft haben sie hier nicht die technische Ausrüstung für Homeschooling. Die größte Sorge der Frauen ist, dass die Kinder deshalb in der Schule nicht mehr mitkommen. Natürlich sind die Zimmer hier auch klein. Wenn dann 24 Stunden, sieben Tage die Woche drei Kinder und eine Mama in einem kleinen Raum wohnen, steigt das Stresslevel. Viele Frauen, die hier wohnen, arbeiten auch, was derzeit schwierig ist, wenn die Kinderbetreuung wegfällt.
Müssen spezielle Hygieneauflagen eingehalten werden?
Wenn man im Haus unterwegs ist, muss man eine Maske tragen. Die Frauen durften sich während der Quarantäne nur mit Frauen aus der eigenen Gemeinschaftsküche treffen, aber nicht auf den jeweiligen Zimmern. Übernachtungen außerhalb oder Familienbesuche fanden ebenfalls nicht mehr statt. Auch auf persönliche Beratungen haben wir so weit wie möglich verzichtet. Das haben wir telefonisch gemacht oder im Garten, bei einem Spaziergang mit Abstand. Manchmal geht es aber nicht anders. Wenn man in der Krise ist, kann man nicht immer nur telefonieren.
Wie schützt die Frauenhilfe ihre Klientinnen vor ihren Partnern beziehungsweise Ex-Partnern?
Wenn die Frau noch in der Wohnung ist, schauen wir zunächst einmal, wie sie sich dort schützen kann. Zunächst raten wir den Frauen dazu Öffentlichkeit zu schaffen, mit einer Nachbarin oder einer Freundin ihres Vertrauens über die häusliche Situation zu sprechen. Wissen diese Bescheid können sie im Notfall, wenn sie von der akuten Gewalt mitbekommen, auch die Polizei rufen. Bei körperlicher Gewalt raten wir immer dazu, auch die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen, zum Beispiel damit nach dem Gewaltschutzgesetz der Mann die Wohnung verlassen muss. Es kann aber auch zu gefährlich sein in der Wohnung zu bleiben. Oft ist es der Fall, dass der Mann sich überhaupt nicht an das Kontaktverbot hält und die Frau weiter bedroht, oder, dass sich nach Ablauf des Kontaktverbots die Gewalt fortsetzt. Dann muss man andere Schritte einleiten und schauen, dass sie so schnell wie möglich in ein Frauenhaus kommt. Zum Glück gibt es nicht nur unser Haus, sondern noch zwei in und zahlreiche außerhalb von München. Die Adresse erfahren die Frauen erst ganz kurz vor Einzug und dürfen sie auch nicht weitergeben. Das Haus ist baulich gesichert und rund um die Uhr sind Mitarbeiterinnen vor Ort.
„Wenn dann 24 Stunden, sieben Tage die Woche drei Kinder und eine Mama in einem kleinen Raum wohnen, steigt das Stresslevel“
Die Stadt München finanziert die Frauenhilfe. Wurde im Rahmen der Corona-Krise mehr Geld zur Verfügung gestellt?
Nein, aber auch nicht weniger. Dadurch, dass wir wie gewohnt weiterarbeiten und genauso viele Frauen betreuen, blieb das alles gleich. Von Einsparungen sind wir zum Glück nicht betroffen. Das Thema erreicht mittlerweile relativ gut die Öffentlichkeit und zahlreiche Studien belegen, dass es zu wenige Frauenhausplätze in Deutschland gibt. Das wird auch bei uns deutlich. Wir haben immer eine Warteliste. Dass sofort eine Frau beim Erstanruf hierher kann, kommt so gut wie nie vor, aber so sollte es eigentlich sein. Von daher werden bundesweit eher mehr Plätze geschaffen, aber nicht bei uns, weil wir baulich nicht mehr Frauen aufnehmen können.
Welche Schritte können Angehörige unternehmen, wenn sie den Verdacht haben, dass eine Frau in ihrem Umfeld Partnerschaftsgewalt ausgesetzt ist?
Ich würde vorschlagen, nicht unbedingt den Mann damit zu konfrontieren, aber die Frau direkt anzusprechen, sie zu informieren welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt und zu versuchen ihr die Scham zu nehmen. Es kann jeder Frau passieren. Das ist kein Zeichen von geringer Intelligenz, einer niedrigen sozialen Schicht und auch überhaupt keine Frage des Alters. Dann sollte man sie ermutigen, sich in Beratung zu begeben. Zudem ist es wichtig aufzuzeigen, dass es massive gesundheitliche Folgen haben kann, wenn man Partnergewalt lange mitmacht, körperliche Folgen, aber auch psychische.
Was sind, neben dieser Scham, Gründe, warum sich viele Frauen nicht helfen lassen?
Oftmals sind es finanzielle Gründe, dass sie Existenzängste haben, wie es nach der Trennung weitergeht. Für Frauen, die gemeinsame Kinder mit dem gewalttätigen Partner haben, sind diese oft ein Grund, dass sie sagen, sie wollen nicht den Kindern den Vater wegnehmen und sie aus dem gewohnten Umfeld reißen. Dabei vergessen sie oft, dass die Kinder das alles mitbekommen. Sie wachsen in der Atmosphäre von Gewalt auf und das belastet und schädigt sie nachhaltig.
*Name geändert
Dieser Artikel ist Teil unseres Online-Schwerpunkts „Gemeinsam“. Aufgrund der Corona-Krise haben wir uns dazu entschieden, dieses Semester auf eine gedruckte Ausgabe zu verzichten, stattdessen veröffentlichen wir Artikel unter diesem Thema. Die Ausbreitung des Virus hat das Studierendenleben von heute auf morgen verändert: Wie wirkt sich das auf den Uni-Alltag aus? Wie auf Lehre und Leben? Und vor allem: Welche Lösungen im Umgang mit dem Virus werden an Hochschulen gefunden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns.