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Queer sein endet nicht an der Schwelle zum Vorlesungssaal.

Wen vertreten wir – und welche Probleme sowie Bedürfnisse, Anliegen und Wünsche haben queere Studierende an der LMU? Ein Bericht über Diskriminierung im universitären Leben, was schon passiert ist und noch zu tun bleibt.

Das Queer-Referat setzt sich am CSD München für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt ein. Foto: Lena Redepenning

Ein Gastbeitrag von Philipp Agostini und Alexander Sobieska des Queer-Referats der Studierendenvertretung der Ludwig-Maximilians-Universität München.

“Warum ist ein Queer-Referat denn überhaupt notwendig?” oder “Niemand wird doch heutzutage mehr wegen der sexuellen Orientierung diskriminiert.” – solche Sätze hören wir oft, wenn wir mit Menschen sprechen, die mit unseren Themen wenig bis gar nichts am Hut haben oder ihnen politisch entgegensetzt sind. Diese Fragen und Aussagen, die oft nur als Strohmann dienen, um die Diskussion in einen wenig fruchtbaren Raum zu bringen oder die Legitimität der Interessenvertretung queerer Menschen anzuzweifeln, haben – nimmt man diese denn ernst – durchaus Berechtigung. Wen vertreten wir – und welche Probleme haben all jene Studierende, die in ihren Lebensrealitäten außerhalb des cis-/heteronormativen Spektrums stehen? Welche Bedürfnisse, Anliegen und Wünsche haben queere Studierende? 

Um diese Fragen beantworten zu können, haben wir als Queer-Referat der Studierendenvertretung an der LMU im letzten Jahr eine universitätsweite Umfrage unter queeren Studierenden zu deren Wahrnehmung der LMU als Ort und Institution, zu möglichen Diskriminierungserfahrungen im universitären Kontext sowie zu deren Anliegen und Wünschen durchgeführt.

Die LMU wird als offen und diskriminierungsfrei wahrgenommen – aber nicht von allen

Wie nehmen queere Studierende die LMU wahr? Hier zeigte sich ein gemischtes Bild. Die LMU wird zwar größtenteils als sicherer Ort zum Studieren und Arbeiten sowie als diskriminierungsfreier Raum wahrgenommen, jedoch stimmten einige Teilnehmer*innen dem nur bedingt oder auch gar nicht zu. Nachholbedarf sahen die Teilnehmer*innen insbesondere bei der Sichtbarkeit von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt an der Universität sowie bei der Frage, ob sich die LMU für die Belange queerer Menschen einsetzen würde. Die Bedürfnisse queerer Studierender würden von der LMU teilweise vernachlässigt. Uneinig waren sich unsere Teilnehmer*innen, ob sich die LMU klar gegen Diskriminierung positioniere und entsprechende Schritte dagegen unternehme. Umso klarer lässt sich folgender Zusammenhang ableiten: Wenn Menschen Diskriminierung erfahren haben bzw. je mehr Menschen negative Erfahrungen an der LMU gemacht haben, desto negativer wurde auch die Universität wahrgenommen.

38 Prozent der queeren Studierenden haben Diskriminierung an der LMU erlebt

Rund 38 Prozent unserer teilnehmenden Studierenden haben bereits Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen und/oder sexuellen Identität im universitären Kontext erlebt, etwa soziale Exklusion, Vorurteile, Beleidigungen, Drohungen und Gewalt. Die meisten Diskriminierungserfahrungen wurden in Lehrveranstaltungen gemacht und am häufigsten von Lehrenden ausgeübt.

Erschreckend ist, dass sich die meisten unserer Teilnehmer*innen nicht an entsprechende Stellen der Universität, beim Studentenwerk München oder der Studierendenvertretung meldeten, um Diskriminierungserfahrungen sichtbar zu machen und dagegen vorzugehen. Sie schwiegen. Die meisten hielten es nicht für nötig bzw. wichtig genug, sich Hilfe zu holen und sahen auch geringe Aussichten auf Erfolg. Viele befürchteten sogar negative Konsequenzen für sich oder auch nicht ernst genommen zu werden. Berichtet wurden darüber hinaus Scham oder sich unfreiwillig outen zu müssen, um sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Darüber hinaus kannte rund ein Drittel unserer Teilnehmer*innen die Beratungsangebote der LMU nicht.  

Die LMU ist auf einem guten Weg – dieser muss noch zu Ende gegangen werden

Angesichts der Ergebnisse unserer Umfrage sind wir der festen Überzeugung, dass diese Zahlen – besonders der Anteil derjenigen, die bereits Diskriminierungserfahrungen im universitären Kontext erlebt haben, zu hoch ist. Hier müssen Konzepte etabliert werden, um die Situation in allen Bereichen und auf allen Ebenen zu verbessern. Es braucht etwa ein zentrales Antidiskriminierungskonzept und einen transparenten Beschwerdeprozess sowie Fortbildungen für alle Beschäftigten der Universität zu Diversität und Antidiskriminierung. Es müssen geschlechterneutrale Toiletten eingerichtet werden, diversitätssensible, insbesondere geschlechtergerechte Sprache sollte in allen Bereichen angeregt werden und es müssen praktische Lösungen speziell für die Probleme von trans*, inter* und nicht-binären Studierenden erarbeitet werden – ein paar Stichwörter: Namensänderungen und Geschlechtseinträge.  

Queere Menschen sind Teil der universitären Gemeinschaft und müssen stärker gehört werden. Strukturelle Probleme werden zwar auf kurze Sicht bleiben, müssen aber Schritt für Schritt angegangen werden. Auch wenn zwischenmenschliche Diskriminierung weiter passiert, kann die Universität präventive und reaktive Lösungen erarbeiten. Und am wichtigsten: Die LMU muss Farbe bekennen und Flagge zeigen – auch im wahrsten Sinne des Wortes.

Queer sein ist keine private Angelegenheit

Viele Kommentare unserer Umfrage suggerierten, dass selbst die Beschäftigung mit diesem Thema eine Zumutung für die “Mehrheitsgesellschaft” sei, dass “private Angelegenheiten” privat bleiben sollten und in einer öffentlichen, universitären Einrichtung des Lehrens, Forschens und Arbeitens nichts zu suchen hätten. Doch wer das denkt, irrt. 

Queer sein – und das in seinen verschiedenen Facetten, ob bisexuell oder nicht-binär, lesbisch oder inter*, schwul oder trans* – ist keine Frage des Lebensstils, der an der Wohnungstür endet. Unsere Umfrage zeigt, dass auch an unserer Universität ein zu großer Teil von Studierenden diskriminierende Erfahrungen machen muss, resultierend daraus, wie und wen sie lieben oder wie sie sich selbst identifizieren. Es steht wohl außer Frage, dass wir diesen Umstand nicht tolerieren können und ein stärkeres sowie entschiedeneres Engagement gegen Diskriminierung oberstes Gebot sein sollte.

Queer sein ist Teil der Identität von Studierenden, Forschenden, Lehrenden und aller sonstigen Mitglieder der Universität und bereichert unser Miteinander. Die LMU hat sicherlich bereits viele Weichen gestellt, um ein positives Klima zu begünstigen. Dennoch muss ein Bekenntnis zu Werten wie Toleranz, Akzeptanz, Diversität, Offenheit und Inklusion noch stärker gelebt, öffentlich bekundet und vertreten werden. Worten müssen dann auch Taten folgen. 

Unsere Aufgabe, also die Aufgabe des Queer-Referats, definiert sich dementsprechend: Gerade angesichts der Probleme, Bedürfnisse und Anliegen, die queere Studierende an der LMU haben, verstehen wir uns als treibende und vermittelnde Kraft in einer Entwicklung, die unsere Universität zu einem diversen, offenen und inklusiven Ort für alle machen soll. 

 

Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.

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