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Die Weiße-Rose-Orgel – unscheinbar und doch historisch

Einmal im Jahr hat die Weiße-Rose-Orgel ihren großen Auftritt. Als Gedenkinstrument ist sie dafür geschaffen, den Anliegen der Weißen Rose auch heute eine Stimme zu verleihen.  

Die angestrahlte Orgel an der Ostwand des Lichthofes. Oft wird sie übersehen. Foto: Cynthia-Lane Feiler

Von Cynthia-Lane Feiler

Dunkel ist der Raum, nur ein helles weißes Licht wirft Schatten auf die schwarzgekleideten Schauspieler*innen, wie von einer Taschenlampe angeleuchtet. Sie bewegen sich eingeschüchtert und beängstigt durch den Lichthof, bis sie immer panischer umherirren und schließlich von der Schaufläche davonrennen. Das Schauspiel begleiten die tiefen unruhigen Klänge der Orgel. Die Pfeifen werden in blauem Licht über dem schwarzen Raum erleuchtet, während die Melodie schneller und in höheren Tönen erklingt. Plötzlich erhellt der Lichthof an seinen beiden Seiten. Seile fallen von den obersten Stockwerken und mit ihnen ein Regen aus Blättern. Die Orgelklänge hallen nach, während man dem Blätterrauschen zuhört, bis sich ein Meer davon am Boden befindet.

Der Lichthof als historischer Ort

Am Abend des 22. Februars findet jährlich die Gedenkfeier der Weißen Rose im Lichthof der Universität statt. Es ist der Todestag der Widerstandskämpfer*innen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst. Im Lichthof verteilten sie 1943 ihre Flugblätter. Darin riefen sie zum Aufstand gegen den Nationalsozialismus auf, wofür sie hingerichtet wurden. Als Gedenkelement wurde die Orgel 1960 an der Ostwand des Lichthofs eingebaut. 

„Das Besondere der Orgel ist der Raum, indem sie eingebaut worden ist“

Am Wochenende vor der Veranstaltung kam Markus Harder-Völkmann, der Restaurator der Orgel, um die Orgel zu warten. Aufgrund des Lockdowns ist es im Unigebäude menschenleer und still. In dieser einsamen Atmosphäre stimmte er mehr als 150 Pfeifen und machte die Orgel fit für ihren Auftritt. Jeder Winkel der Orgel wurde bereits von ihm bearbeitet, als er sie 2012 komplett restaurierte. Denn die Orgel lag 50 Jahre lang im Dornröschenschlaf und fand keine Beachtung für ihren Zweck. „Eine besondere Konzertorgel ist die Weiße-Rose-Orgel nicht“, offenbart der Orgelbauer, „das Besondere der Orgel ist der Raum, indem sie eingebaut worden ist.“ Nicht nur der Lichthof als Gedenkort ist die Besonderheit. Ein offen gebauter Raum mit weitläufigen Gängen von mehreren Stockwerken lässt jeden Ton lange hallen. Nicht jedes Musikstück ist angesichts des Halls dieser Orgel auch für sie geeignet. 

Ein eingespieltes Team

Jürgen Geiger, der Organist der wiederkehrenden Gedenkveranstaltung, ist Teil der Gruppe, die das Programm gestalten. Zusammen mit dem Regieleiter Thomas Ritter spricht er die Stimmung ab, die eine Orgelsequenz haben soll. Aus der Musikliteratur wählt er die Musikstücke. Zwischendurch wird improvisiert. „Man muss darauf achten, dass es am Ende eine Einheit bildet mit dem, was passiert“, betont der Konzertorganist. Für die theatralische Gestaltung konzipiert Thomas Ritter mit einer Gruppe motivierter Schauspieler*innen alle zwei Jahre die Szenen neu. Jahr für Jahr ist es ein künstlerisches Zusammenspiel aus Originalzitaten und szenischen Darstellungen, untermalt von Lichttechnik und Orgelklängen.

Dieses Jahr nur als Livestream

Normalerweise würde das Publikum im hinteren Teil des Lichthofs sitzen. Dieses Jahr gibt es nur ein Kamerateam. Gänzlich kann der Gesamteindruck durch eine Kamera nicht ersetzt werden. Der Regisseur Thomas Ritter sieht eine Chance darin: „Meine Hoffnung ist es, dass andere es sehen können, die es sonst nicht sehen.“ Zeitzeug*innen, die den Weg zum Gebäude gar nicht machen würden oder Interessierte, die nicht in München sind, konnten sich dadurch den Livestream anschauen.

Weiße-Rose-Orgel als Teil eines Kunstschauplatzes 

Doch nicht nur zum Gedenkkonzert kommt die Weiße-Rose-Orgel zum Einsatz. Immer wieder wird der Lichthof von den Veranstalter*innen der Uni-Kunst in einen Kunstschauplatz verwandelt, an dem die Orgel mit ihren Klängen teilnimmt. Besonders bei der Begleitung von Stummfilmen nimmt sie die nostalgische Rolle eines Orchesters ein. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war es in Kinos üblich, mit einer Konzertorgel für die musikalische Untermalung zu sorgen. 

Für Markus Harder-Völkmann ist es das Schönste an der Orgel: „Da ist viel Technik hinter einer Orgel, um sie wie ein Klarinetten- oder Trompetenspiel klingen zu lassen, sodass es ein Ensemble ist, das von einem Menschen bespielt wird.“

Die Weiße-Rose-Orgel hat ihren festen Platz als Gedenkinstrument zurückerobert. Auch wenn ihre Pfeifen im Alltag unscheinbar an der Ostwand zu sehen sind, ist ihre besondere Stellung als Erinnerungsobjekt an die Geschichte der Widerstandskämpfer*innen mindestens einmal im Jahr präsent. 

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