Wie die anstehenden Hochschulwahlen an der Ludwig-Maximilians-Universität München trotz Pandemie stattfinden sollen und wie demokratisch die Abstimmung ist.
Von Stefanie Haas
Auch wenn allmählich eine neue Normalität Einzug erhält, wirkt es ein wenig befremdlich, dass dieser Tage, mit nach wie vor geschlossenen Unigebäuden, die Hochschulwahlen der Ludwig-Maximilians-Universität (siehe Kasten 1) und vieler anderer Universitäten stattfinden. Unweigerlich kommt die Frage auf, wie das Prozedere vor dem Hintergrund der Pandemie ablaufen soll. Als die Landesregierung im März die Beschränkungen für den Freistaat verkündete, war bereits klar: Dieses Jahr werden die Wahlen anders.
Laut LMU-Konvent-Vorsitzender Anna Lisa Beck sind die gravierendsten Änderungen der fehlende Wahlkampf sowie die Umstellung auf Briefwahl, denn für viele Fachschaften war es ohne den direkten Austausch schwieriger, Vorschläge einzureichen. „Für die Wahlen selbst steht selbstverständlich ein längerer Zeitraum als sonst zur Verfügung. Die Auszählung der Wahlergebnisse wird wie sonst auch über drei Tage stattfinden, wobei hier Änderungen vorgenommen werden, um den Hygienebestimmungen nachzukommen.“ An sich sei eine Briefwahl nichts Ungewöhnliches, merkt Oliver Jahraus, Vizepräsident für den Bereich Studium der LMU, an und verweist auf die Münchner Kommunalwahlen. Bedingt durch Covid-19 mussten die Bürger*innen ihren Entscheid zur Stichwahl des Stadtoberhauptes per Briefwahl abgeben.
Durch Corona fehlt der direkte Austausch
Bei den Hochschulwahlen werden bis zum 23. Juni, dem Stichtag für die Einsendung der Briefwahlunterlagen, sowohl die Vertreter*innen in den Fachschaften als auch die Fachschaftsvertreter*innen der 18 Fakultäten an der LMU gewählt. Von denen wiederum werden die Vertreter*innen für den Konvent der Fachschaften entsandt. Nicht-studentische Gruppen nehmen ebenfalls an den Wahlen teil. Sie wählen die Mitglieder der jeweiligen Fakultätsräte. Weiterhin werden im Konvent der Fachschaften die Vertreter*innen für den Senat und Hochschulrat gewählt beziehungsweise vorgeschlagen. |
Corona-bedingt hat sich das studentische Mitwirken, ebenso wie die Lehre, vom physischen in den digitalen Raum verlagert. Laut Beck fänden „99 Prozent der Sitzungen, die geplant waren, auch statt – nur digital“. Dass nicht alles reibungslos abläuft und nach wie vor viel Unsicherheit herrscht, läge daran, „dass niemand wirklich weiß, wie es langfristig weitergehen wird“.
Die Fachschaften bekommen ebenfalls zu spüren, wie Corona auch jetzt noch den Prozess behindern kann: „Aus der Sicht eines Kandidaten fehlt die Möglichkeit, Kommiliton*innen auf die Wahl aufmerksam zu machen und mit ihnen direkt darüber zu sprechen“, sagt Tobias Kuhn von der Fachschaft Japanologie. Diesen Umstand gibt auch Jahraus zu bedenken. „Normalerweise finden die Hochschulwahlen vor den Augen aller Studierenden statt – der Blickkontakt der Studierenden bei den Wahlen kann andere für das Mitwirken an der Universität mobilisieren“, so der Germanistik-Professor.
Dennoch könne man nicht behaupten, dass ohne Präsenz studentische Anliegen komplett wegfallen. Laut Beck haben alle Beteiligten trotz unterschiedlicher Probleme gemeinsam, dass sie sich mit der derzeitigen Lage schwertun, weshalb großes Verständnis untereinander bestehe.
Verfasste Studierendenschaft: das ewige Lied
Zu derzeitigen Schwierigkeiten bei der Durchführung von Wahlen kommt Kritik am hiesigen System. Zwar werden den Studierenden, wenn sie zur Wahl gehen, Mitspracherechte eingeräumt, jedoch wird oft mit der Abwesenheit einer Verfassten Studierendenschaft (VS, siehe Kasten 2) fehlende Beteiligung bemängelt. Bayern ist das einzige Bundesland ohne VS. Dadurch wird den Studierenden gemäß bayerischem Hochschulgesetz der Einfluss auf die Zusammensetzung der Studierendenvertretung (StuVe) verwehrt.
Diesen Umstand moniert auch Aymeric Baehrel von der Fachschaft Politikwissenschaft: „Zum Beispiel fehlen wir Studierende in vielen Gremien, beziehungsweise sind nur beratend dort und haben kein Stimmrecht. Somit können wir bei vielen Themen, die uns Studierende betreffen, nicht mitreden.“ Die derzeitige Situation sei daher nicht nur undemokratisch, sondern auch umständlich, da, sämtliche Mittel, die der StuVe zur Verfügung stehen, vom Wissenschaftsministerium zugewiesen werden. Kuhn: „Ausgaben müssen also jedes Mal aufs Neue erfragt werden, was ein mühseliger Prozess sein kann.“
Die Verfasste Studierendenschaft (VS) ist die Vertretung aller Studierenden an einer Hochschule. Ihre Ausgestaltung hängt vom jeweiligen Landeshochschulgesetz ab. 1977 wurde die VS bundesweit abgeschafft; die meisten Bundesländer haben sie aber wieder eingeführt, zuletzt Baden-Württemberg 2012. Das besondere an einer VS ist neben einer eigenen „Verfassung“, die von den Studierenden festgelegt wird, die finanzielle Unabhängigkeit, ermöglicht durch einen geringen Beitrag pro Semester von allen Studierenden. Zur Einführung einer VS in Bayern gab es zuletzt 2017 im Landtag eine Abstimmung, die Staatsregierung lehnte den Vorschlag jedoch ab. |
Jahraus hingegen erkennt in der Einführung einer VS „keine Verbesserung“. Neben der fehlenden rechtlichen Grundlage dazu solle man sich darauf konzentrieren, wie man die Mitwirkung der Studierenden verbessern kann. Dies sei jedoch nicht zwingend das Ziel einer VS, hält Jonas Federl, LMU-Vertreter in der Landes-Asten-Konferenz (LAK) Bayern, dagegen. „Es geht um die Bündelung von Informationen, den Austausch zwischen den Hochschulen und die Möglichkeit, sich einheitlich zu positionieren. Das gibt uns die Mittel, auf für uns relevante politische Prozesse, die nun mal überwiegend auf Landesebene stattfinden, Einfluss zu nehmen.“ Abhilfe könnte die VS also schon schaffen.
Die Landesvertretung genießt Anerkennung
Jedoch betont Federl: „Die LAK ist mittlerweile in der Position, auf die politischen Parteien des bayrischen Landtages zuzugehen und hat einen, nicht unerheblichen, Grad an Anerkennung.“ Jahraus stimmt zu: „Da, wo es direkt um die Belange der Studierenden geht, sind sie mit die stärkste Gruppe.“ Dies beträfe etwa den Ausschuss Studium und Lehre oder die Jury bei Lehr- und studentischen Forschungspreisen.
Zweifellos hat auch die VS Fehler. Vom Grundproblem der Mobilisierung abgesehen, wird neben niedriger Wahlbeteiligung oft eine geringe Wirkung bemängelt. Es scheint, dass weder eine Pandemie noch ein Systemwandel größere Veränderungen mit sich bringen, wenn Protagonist*innen sich zurückziehen. Denn wie für andere Wahlen gilt für Hochschulwahlen: Je mehr sich beteiligen, desto größer ist die Legitimation der Gewählten. Es liegt letztlich auch an allen, die potenziell mitreden könnten, von ihrem Recht Gebrauch zu machen.